Sehr geehrte Damen und Herren,
der 1. September ist ein denkwürdiges Datum: Auf den Tag vor 85 Jahren hat Nazideutschland Polen überfallen. Und in Thüringen wird die AfD zur stärksten Kraft gewählt, in Sachsen rangiert sie knapp hinter der CDU. Das lässt sich nicht mit dem Stempel „Rechtsruck“ abtun, es ist weit mehr: Der Rechtsextremismus manifestiert sich in den Parlamenten.
Das wird insbesondere in Thüringen Folgen haben: Ob eine Regierung ohne AfD-Beteiligung zustande kommt, ist offen. Macht hat die AfD aber ohnehin. Sie wird mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag besetzen; damit hat sie eine Sperrminorität. Sie kann alles blockieren, was eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht: Verfassungsänderungen, die Wahl von Mitgliedern des Verfassungsgerichts und mehr. Sie wird Deals erzwingen, ihr Programm und Personal zur Verhandlungsmasse machen. Sie sagt selbst, dass sie die anderen Parteien vor sich hertreiben will.
Sachsen kann nicht entspannt, aber entspannter auf die nächsten Wochen und diese Wahlperiode schauen. Die AfD hat hier die Sperrminorität knapp verfehlt. Der Weg für Verfassungsänderungen und vor allem für die längst überfällige Reform der direkten Demokratie wird schwierig, ist aber offen. Auch ist der Landtag bunter geworden.
In der DDR wurde, wenn es um die Mängel und den Mangel ging, unterschieden zwischen Sozialismus und „real existierendem Sozialismus“. Hinter den Wahlergebnissen liegen offenbar Enttäuschungen über die Mängel der real existierenden Demokratie. Und den Mangel an Möglichkeiten, mitzureden und mitzugestalten.
Dabei haben die Menschen durchaus Interesse an der Politik, das zeigt die hohe Wahlbeteiligung in beiden Ländern. Nun sind endlich Innovationen gefragt; Mut, auszuprobieren, wie Menschen sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen können. So kann Vertrauen wieder aufgebaut werden.
Die Schubladen von Mehr Demokratie sind voll mit Ideen und Konzepten. Da ist das Wahlrecht und unser Vorschlag für eine Proteststimme: Sie könnte ein Angebot sein für Menschen, die von allem die Schnauze voll haben. Wir könnten die Kommunen zu Laboren machen für ein modernes Wahlrecht. Bürgerinnen und Bürger sollten bei der Gesetzgebung mitwirken können. In zehn Bundesländern fehlen Öffentliche Petitionen, auch in Sachsen. Bürgerräte könnten etabliert und zur Normalität werden.
Allein werden wir das nicht schaffen. Es braucht eine gestärkte Zivilgesellschaft. Gestern hat die AfD den Spiegel befragt: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die stärkste Kraft im ganzen Land?“ Der Spiegel hat geantwortet: „Ja, die AfD ist die stärkste Kraft im Land. Aber da hinten, hinter den sieben Bergen, da ist die Zivilgesellschaft, und die ist jetzt aufgewacht, sie ist x-mal stärker als du.“ Sie hat gelernt, aufzutreten gegen den Rechtsextremismus. Jetzt wird sie lernen müssen, einzutreten für konkrete politische Ziele.
Und nicht zu vergessen: Auch mit Volksbehren kann man die Dinge bewegen. So lassen sich Wahlrechtsreformen durchsetzen oder die direkte Demokratie stärken. Es braucht dazu nur, genau, eine starke Zivilgesellschaft.
Mit herzlichen Grüßen