The Ocean Race | Southern Ocean Etappe - Alles Weicheier heute, oder was? | YACHT-Woche – Der Rückblick | Die Woche in BildernLese-Empfehlungen der Redaktion | | | | Liebe Leserinnen und Leser, | dieses Wochenende startet die dritte Etappe im The Ocean Race, die von Kapstadt nach Itajai in Brasilien führt. Sie ist mit knapp 13.000 Seemeilen das längste und härteste Teilstück. Es geht zum ersten Mal in der Historie des Rennens, das 1973 als Whitbread Round the World Race begann, in einem Rutsch vorbei an den drei großen Kaps. Der kürzeste Weg führt dicht am antarktischen Eis entlang. Aus Sicherheitsgründen wird daher von der Wettfahrtleitung eine virtuelle Eisgrenze definiert, die nicht passiert werden darf. | Wassertemperaturen im niedrigen einstelligen Bereich, oftmals graues trübes Wetter und vor allem von West nach Ost ziehende Tiefdruckgebiete bestimmen den Bordalltag ebenso wie die Navigation. Die Crews sind bemüht, die Depression an ihrer Front zu erwischen und dort die Windwelle mitzureiten, möglichst lange mit dem Starkwind oder Sturm mit zurasen, was durch die hohen Geschwindigkeiten der Imocas von bis zu 30 Knoten lange funktioniert und so extreme 24-Stunden-Leistungen ermöglicht. Über 500 Seemeilen werden des Öfteren möglich sein. Der Rekord für die 60-Fuß-Yachten liegt bei derzeit bei irrwitzigen 558 Seemeilen in 24 Stunden. | Nicht die 500 Seemeilen plus, aber die Etappe und das Seegebiet setzen Erinnerungen bei mir frei. 1989/90 war ich auf der deutschen „Schlüssel von Bremen“ dabei, dem Projekt der umtriebigen Segelkameradschaft „Das Wappen von Bremen“, welche die logistischen und finanziellen Hürden einer Weltregatta übersprungen und die Teilnahme mit wechselnden Crews und Skippern organisiert hatte. Ein herkulischer Akt für einen Verein. | Die längste Etappe dieser 5. Auflage des Rennens führte von Punta del Este in Uruguay durch den Southern Ocean bis nach Fremantle in Australien, Südatlantik und südlicher Indischer Ozean in einem Rutsch, 7260 Seemeilen direkter Weg. 36 Tage brauchten wir. Das war durchaus hart, zeitweise. Eisgates gab es nicht, jedes Boot durfte so weit nach Süden, wie es der Skipper für richtig hielt. Begrenzender Faktor war neben dem realen Eis die Gefahr, ein Tief an der Unterseite zu erwischen, das hätte Gegenwind bedeutet. Also erlebten wir den Southern Ocean mit allem: Eisberge in ihrer vollen Pracht, die gefährlichen, weil schlecht sichtbaren Growler, Rauschfahrt durch den Nebel, ein Wachgänger nur als Ausguck abgestellt. Ein Mann-über-Bord-Manöver in der Nacht verlief gut für uns. In der Flotte gingen während der Etappe sechs Personen über Bord, alle konnten wieder an Bord geholt werden, aber auf der englischen „Creighton’s Naturally“ traf Desaster auf Pech. In einer Patenthalse brach ein Backstag, das Boot halste nochmals durch, riss beide Grindersäulen aus dem Deck. Zwei junge Segler wurden von Bord gewaschen. Einer von ihnen verstarb nach der Bergung. Anthony Phillips wurde später auf See bestattet. | | Beine, Arme, Groß- und Spibäume brachen, Segel, Schoten und Schotten rissen. Die Segelmanöver waren so kompliziert, aufwendig und fehlerträchtig (geil wars!), wie zu jener Zeit eben gesegelt wurde, als man noch Spinnaker in der Halse wechselte und dabei auch noch der Blooper zu shiften war, als es tack-gybe sets gab, bei dem der Spibaum für einen Teil des Manövers in Lee der Genua stand oder aufwendige Bergemanöver für den Spi, namens Kaiser oder Kiwi Drop. Als man Segel ineinander an einem Stag wechselte. | Das Boot war aus heutiger Sicht ein Grauen für den Einsatzzweck: ein 63 Fuß langer Einzelbau von Baltic Yachts, die ehemalige „SiSiSi“. Eher schwer, weil bereits 1983 als Semifahrtenboot gebaut und mit der Technik der Achtziger üppig bestückt. Bedeutete: Drahtschoten, die schon mal auf den Winschtrommeln Funken schlugen und deren gebrochene Kardeele sich als sogenannte Fleischhaken in selbiges bohrten. Die Drähte musste man an die Schothörner schrauben, mit dem 19er-Schlüssel aufs Vordeck. Platzende Hydraulikschläuche, sich in eine Koje ergießendes synthetisches Öl, das in Wunden besonders brannte. Das Boot war ein Topprigger, 22 Segel an Bord, acht am Baum frei fliegende Spis bis runter zum 60-prozentigen Sturmspi mit Dyneema-Seilen in den Lieken. Und im allerbesten IOR-Stil fuhr das Boot natürlich nicht wie auf Schienen, sondern geigte gerne vor dem Wind. | Und dann die Klamotten. Musto war damals im Ernst die einzige Wahl, auf der siegreichen holländischen „Flyer“ hatten sie die Details mitentwickelt. Gutes Zeug für die damaligen Verhältnisse. Dennoch: Du hast geschwitzt und gefroren nicht nur wie die Sau, sondern das auch noch gleichzeitig, warst eigentlich trocken, aber dennoch nass auf der Haut. Atmungsaktivität gab es noch nicht. Das Wasser um den Nullpunkt; die Temperatur unter Deck tief einstellig, eine Heizung gabs nicht. Und wer nass war, behielt die Klamotten im Schlafsack an, trockenschlafen nannte man das. Die Kälte hatte ein Gutes: Die Gerüche waren wohl noch passabel. | Aber: Wir erlebten lange, herrlich aussteuerbare und zum Surfen gut nutzbare Wellen, Gischt auf grünlich leuchtendem Wasser, endlos wirkende Nächte in absoluter Finsternis oder unter unfassbar prächtigem Sternenhimmel, die Freude, loszufahren, sich an den Bordalltag und die lange Strecke zu gewöhnen, das Ankommen. Die Befriedigung, einen 21 Tonnen schweren Verdränger in Gleitfahrt durch die Wellen zu dirigieren, ihm auch schon mal Geschwindigkeiten von über 20 Knoten unter Sturmspi und gerefftem Großsegel abzuverlangen. Ebenso unvergessen der Anblick von Orcas (na gut, die sieht Segler heute anders …), Sturmvögeln oder Albatrossen, die auf Augenhöhe dicht hinter dem Boot segelten. Und dann erst die Eisberge in ihrer vielfältigen Schönheit aus Formen, Farben und Licht. All das war jede Unannehmlichkeit wert. | Und heute? Eis werden sie nicht sehen, besagter Limits wegen. Und vor überkommendem Wasser helfen die komplett überdachten Cockpits. Prima Sache: Die Segler bleiben trocken und fit, sie behalten besseren Überblick, Wasser hat weniger Chance ins Schiff zu geraten, das Cockpit bleibt frei von den Wassermassen. Und der Aufbau hilft durch seinen Auftrieb, das Boot im Falle einer Kenterung schneller wieder aufzurichten, was es im Kentertest beweisen muss. Mehr Volumen im Deckshaus bedeutet somit auch weniger nötiges Kielgewicht, ein Umstand, der zu der ausgeprägten Hütte auf Boris Herrmanns „Malizia Seaexplorer“ führte. Und müssen die Segler doch mal die Schutzhütte verlassen, dürfen sie sich über mittlerweile optimales Ölzeug freuen, das super-atmungsaktiv, warm und trocken ist. Sie hantieren mit angenehmem Hochleistungstauwerk, Draht gibt es nicht mehr. Und die Manöver sind weniger komplex: Die verschieden großen und unterschiedlich profilierten Segel werden ein- und ausgerollt, und als aufgerollte Tuchwurst gesetzt und geborgen. | | Ist also die lange Etappe durch südpolare Gefilde von der Kampf- zur Komfortzone mutiert? Nein! Die Segler werden gefordert wie nie zuvor. Die Geschwindigkeiten der Boote und ihre Bewegungen sind brachial, ebenso das Rucken, Beschleunigen und Abbremsen, das die Segler von den Beinen zu hauen vermag. Oder wie es Jack Boutell von 11th Hour Racing erzählt: „Von einer Seite des Bootes auf die andere zu wechseln, kann eine Minute dauern. Du musst Dich abstützen und auf den richtigen Moment für den nächsten Schritt warten.“ | Ein anderes Thema, das sich gegen die menschliche Physis richtet, ist das ohrenbetäubende, mit wachsendem Speed zunehmende Pfeifen der Foils, das Ohr und Hirn malträtiert. Der hydrodynamische Tinnitus lässt sich nur per Noise-Cancelling-Technologie in High Tech Kopfhörern etwas mindern. Zu den Bewegungen und dem Krach gesellt sich die Sorge, im Blindflug bei 30 Knoten und das zeitweise in Nacht oder Nebel ein UFO zu treffen, ein Unidentified Floating Object. Dagegen soll das KI-unterstützte Oscar-System mit Wärmebild und Nachtkameras im Masttopp helfen, aber das ist noch nicht stark erprobt und bewährt. | Nein, leichter haben es die Crews heute sicher nicht und früher war auch nichts besser, nur anders. Eines wird wohl bleiben: Man sagt, niemand kommt aus dem Southern Ocean heraus, ohne sich durch die Erfahrung verändert zu haben. Bei mir war es der Wunsch, dorthin zurückzukehren. Was hoffentlich noch passiert … | Fridtjof Gunkel, stellv. Chefredakteur YACHT | | Draufklicken zum Durchklicken | Die Woche in Bildern: | | Comeback für Abby Ehler: Kevin Escoffier hat die erfahrene Hochseeseglerin entgegen des ursprünglichen Plans für die kommende Etappe wieder an Bord geholt | | Lese-Empfehlungen der Redaktion: | | | | THE OCEAN RACE | Einen Tag bis zum Start der dritten Etappe - 12.750 Seemeilen warten | | Fotograf: A. Auriol/Team Malizia/The Ocean Race | Nach dem gestrigen In-Port-Race treffen die fünf Imoca-Teams heute die letzten Vorbereitungen bevor morgen um 13:15 voraussichtlich der Startschuss zur dritten Etappe fällt. Mit einer Distanz von knapp 13.000 Seemeilen erwartet die Segler die längste Etappe in der Geschichte des Rennens, von Kapstadt geht es vorbei an den drei großen Kaps nach Itajaí in Brasilien | | | | KLEINKREUZER “DOPAMIN” | Hübsch, bezahlbar und auch zum Selbstbauen | | Fotograf: YACHT/B. Scheurer | Die Sperrholz-Konstruktion aus der Bootsmanufaktur Lüneburg wird als Plan, Kasko oder segelfertig angeboten | | | SEENOMADEN | Die Abenteuer der Weltumsegler aus Österreich | | Fotograf: seenomaden.at | Doris Renoldner und Wolfgang Slanec, genannt Wolf, führen ein Leben zwischen Heimat und Ferne, zwischen Bord- und Landleben. Regelmäßig kehren die SegelAbenteurer zurück nach Österreich, um Vorträge zu halten, die ihre Reisen finanzieren | | |
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