der ländliche Raum gilt als Sehnsuchtsort. Ihm eilt der Ruf voraus, dass dort die bessere Luft geatmet werde, das Tierreich vielfältiger sei, das soziale Leben noch in Takt, die Portionen in den Gasthöfen größer und die wohltuende Stille erst. Auch ich bin gerne auf dem Land. Ob nun auf dem Balkon meiner Familie im Unterallgäu, im Wald auf der Suche nach Pilzen oder unterwegs mit dem Rad; gerne auch mehrere Tage, wie demnächst, wenn es mich mal wieder mit reiner Muskelkraft von München über Innsbruck an den Gardasee zieht. Aber ich weiß auch: Der romantische Ruf ist nicht immer deckungsgleich mit der Realität. Nehmen wir die Stille. Während ich diesen Newsletter, auf dem Balkon sitzend, für den Sonntag vorschreibe, es ist Samstagmittag, ist es mit der Stille nicht weit her. Laut hallt der Allgäuer Dialekt zwischen den großen Einfamilienhäusern mit den gepflegten Gärten wider, wenn sich die Dorfbewohner über ihre Zäune hinweg unterhalten. Der große Nachbarshund jault, während Herrchen im Schweiße seines Angesichts den Rasen mäht. Das Radioprogramm – Bayern 1, wie immer – wird regelmäßig übertönt von vorbeifahrenden Traktoren. Und während der Geruch des in der Zubereitung befindlichen Gulaschs in meine Nase strömt, mache ich mir wegen meines Kollegen Ferdinand Knauß ernsthafte Gedanken über das Kneipensterben auf dem Land und darüber, ob die Ampelregierung wirklich ran will an Omas Häuschen. Nein, das Landleben ist nicht nur romantisch. Wie das Leben in Gänze eben. Nehmen wir die Debattenunkultur, die in der westlichen Welt seit Jahren schon um sich greift. Anlässlich der Rezession hat sich zum Beispiel auch mein Kollege Ralf Hanselle lesenswerte Gedanken gemacht. Denn die aktuelle Krise hat einen intellektuellen Unterbau: Mit der sogenannten Wokeness hat sich eine Gesellschaft an das eigene Limit gedacht, schreibt Hanselle. Doch der Preis für das hippe Denken ist längst viel zu hoch. „Ist Robert Habeck Deutschlands größter Klimasünder?“, lautet derweil die Überschrift eines ebenso lesenswerten Artikels unseres Gastautors Hans Albrecht, der am Mittwoch erschienen ist. Albrecht ist studierter Mediziner und Jurist sowie renommierter Finanzinvestor und Gründer von Carlyle Europe und Nordwind Capital. Dass Habeck ehrgeizige Klimaziele hat, gesteht er dem Bundeswirtschaftsminister zu. Doch die Frage bleibt, ob seine Pläne tatsächlich den gewünschten Effekt erzielen werden: den CO-Ausstoß stark zu reduzieren. Ein Blick ins Ausland zeigt: Unideologische Energiepolitik ist viel kostengünstiger – und besser fürs Klima. Nachgedacht hat diese Woche auch unser Kolumnist Jens Peter Paul. Über Rammstein und die Vorwürfe gegen Frontmann Till Lindemann. Denn was nach einem Naturereignis aussieht, der Erfolg von Rammstein, ein bestauntes und beneidetes Wunder, ist Ergebnis harter Arbeit und einer langjährigen Vorbereitung. Und doch wird es nach den Vorwürfen gegen Lindemann so wie bisher nicht weitergehen können. Jens Peter Paul hat sich zum Beispiel gefragt: Ist Lindemann ein glücklicher Mensch? Ein Thema, bei dem es auch um die Frage des Weitermachens geht, hat uns diese Woche intensiver beschäftigt: die Auflösungserscheinungen bei der Linkspartei. Der Linken-Politiker Klaus Ernst etwa sieht seine Partei auf dem Weg zur ökoradikalen Umweltbewegung. Im Interview mit Alexandre Kintzinger erklärte er am Montag, warum er das für falsch hält. Einer möglicherweise in Gründung befindlichen Wagenknecht-Partei beizutreten, ist für ihn eine realistische Option. Und wenn Sie mich fragen, mehren sich derzeit die Hinweise, dass es zu einer solchen Parteigründung bald kommen wird. Hier mein Kommentar und hier noch ein weiterer Text zum Thema von Mathias Brodkorb. Moment! Was höre ich da über die Klänge des Rasenmähers hinweg? Engelsgleich hallt es „Essen ist fertig!“ aus der Unterallgäuer Küche meines Vertrauens. Das Gulasch steht zum Verzehr bereit. Wir, Sie und ich, lesen uns also nach meiner Fahrradtour, nach meinem Sommerurlaub wieder. Vorausgesetzt, ich beschließe nicht, zu bleiben, wo es romantischer und wirklich stiller ist. Im schönen Tirol zum Beispiel – oder oberhalb von Limone Sul Garda. Hauptsache irgendwo, wo die Ampelregierung nicht auf mein noch zu erwerbendes Chalet zugreifen kann. Denn Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ihr Ben Krischke, Leitung Digitales |