Zunächst sah alles gut aus. Die Aktie war am Montag und Dienstag im Vorfeld der für Mittwoch erwarteten Quartalszahlen deutlich gestiegen, im Hoch bis auf exakt 125 Euro. Die Zahlen am Mittwoch sind gut, meiner Ansicht nach sogar sehr gut ausgefallen. Es gab einen Umsatzanstieg um 37%, ein Anstieg des Transaktionsvolumen um 38%, ein Anstieg des operativen Gewinns auf EBITDA-Basis ebenfalls auf 38%, ein Anstieg des freien Cashflows um satte 60% und das Ergebnis nach Steuern schnellte um 53% in die Höhe. Damit liegt Wirecard sogar leicht über den Konsensschätzungen der Analysten. Die Prognose fürs Gesamtjahr wurde bestätigt, könnte aber übertroffen werden, weil man eben nach neun Monaten sehr gut im Plan liegt. Ganz neu war der Ausblick für den operativen Gewinn in 2020 mit 1,0 bis 1,12 Milliarden Euro. Erstmals soll also hier die Milliarden-Marke überschritten werden. Die Konsensschätzung der Analysten liegt hier bei 1,047 Milliarden Euro. Das heißt im Mittel ist der Ausblick von Wirecard sogar etwas höher. Kurstechnisch gab die Aktie dann aber am Mittwoch nach, was wohl daran lag, dass einige Anleger mit einer erneuten Prognoseanhebung gerechnet hatten, die dann aber ausblieb. Dass es dann aber am Donnerstag und Freitag weiter nach unten ging, dürfte andere Ursachen haben – und sie dürften wieder mal im Lager der Shortseller zu suchen sein. Die Shortquote schoss ja im Oktober massiv nach oben: Der oberste Chart zeigt die Relation von Kursverlauf zur Zahl der geshorteten Aktien. Man erkennt zuletzt ganz klar, dass der Kurs quasi entgegengesetzt zu den leerverkauften Aktien performt hat: Man kann das so interpretieren, dass je mehr der Druck durch die Shorties zugenommen hat, umso schwächer der Kurs sich entwickelt hat. Klar, je mehr Leerverkäufer die Aktie shorten, sprich: verkaufen, umso stärker wird ja auch der Verkaufsdruck. Die untere Abbildung zeigt das "Total MTM Net" (MTM = Mark-to-Market; Net = Netto). Es zeigt den Netto-Buchgewinn an, den die Leerverkäufer mit ihrer Position bisher erzielt haben. Der beträgt im Moment knapp 10 Millionen Euro: Quelle: Bloomberg/Ihor Dusaniwsky, Twitter Bisher war unklar, was die Shortseller dazu bewegt hat. Sie müssen ja Gründe dafür haben, warum sie Millionen von Wirecard-Aktien neu leerverkaufen. Nun gibt es eine weitere Attacke, die etwas Klarheit bringt, wo die Leerverkäufer Angriffspunkte sehen: In einem "Research"-Bericht einer Seite mit Namen MCA-Mathematik.com, die ganz dem Wirecard-Bashing gewidmet ist, wird folgendes behauptet: Die beiden in Singapur aktiven Töchter von Wirecard, Wirecard Asia Holdings (WDAH) und Wirecard Singapur (WDSG) hätten regelmäßig ihre geprüften Geschäftsberichte zu spät vorgelegt. Die 2018er-Berichte seien für beide Töchter weiter ausstehend. WDSG hätte bereits den 2017er-Bericht erst im Oktober 2019 veröffentlicht und damit mehr als ein Jahr zu spät und habe deshalb auch nur ein eingeschränktes Bestätigungsvermerk von Wirtschaftsprüfer Ernst & Young erhalten. MCA Mathematik "befürchtet" deshalb, dass die Singapur-Töchter von Wirecard eine neue Lizenz, die Finanzdienstleister ab 1.1.2020 brauchen, nicht erhalten werde. Hintergrund ist hier der Singapur Payment Services Act 2019, der im Februar verabschiedet worden ist. Hier der Link zu dem Artikel... Würden die Vorwürfe stimmen, wäre das natürlich eine ernste Bedrohung für das operative Geschäft von Wirecard. Eventuell hat sich ja auch Goldman Sachs-Analyst Mohammed Moawalla von den Vorwürfen etwas beeinflussen lassen. Er hat Wirecard zuerst von der "Conviction Buy"-Liste gestrichen und am Freitag das Kursziel von 230 auf 175 Euro zusammengestrichen. Er sieht Risiken bei den Untersuchungen in Singapur und hinsichtlich des Ergebnisses bei der ja von Wirecard selber in Auftrag gegebenen Sonderprüfung durch KPMG. Die Kaufempfehlung hat er zwar beibehalten. Allerdings sorgt die Kurszielsenkung natürlich für Unsicherheit, weil nicht klar ist, ob der Analyst vielleicht mehr weiß oder ob er einfach das Kursziel näher an den aktuellen Kurs anpassen will – wie das bei Analysten ja nicht unüblich ist. Die Wachstumsdynamik im operativen Geschäft schätzt er in jeden Fall als robust ein. Was ist nun von den Vorwürfen zu halten? Zunächst einmal: Der Autor bleibt – wieder einmal – anonym genauso wie die Urheber der MCA Mathematik-Seite. Bereits das reduziert die Glaubwürdigkeit. Es ist gut möglich, dass die Angriffe auch diesmal wieder direkt von Shortseller Fraser Perring oder dessen Umfeld kommen. Perring steckte ja hinter dem Zatarra-Pseudonym von dem 2016 der letzte Shortangriff auf Wirecard ausging und auch die Seite Southern Investigative Reporting Foundation bezog nach eigenen Angaben ihre Informationen teilweise von Perring. Neue interessante Hintergründe zu Fraser Perring selbst gibt es eben auf dieser Seite. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass die Informationen zu ihm unter dem Strich nicht gerade für seine Seriosität sprechen. Die Staatsanwaltschaft München hatte ja bereits im Dezember 2018 Strafbefehl gegen Fraser Perring erlassen wegen des Verdachts auf Kursmanipulation. Bezüglich des Inhalts handelt es sich letztlich wieder mal um eine reine Spekulation, der Markus Braun in der Analystenkonferenz bereits eine Absage erteilt hatte: Er sehe diesbezüglich keine Risiken und sei zuversichtlich, dass die Untersuchung bald abgeschlossen werden könne. Was auch ärgerlich ist: Im Zusammenhang mit den Anschuldigungen der Financial Times ist der Rechts- und Beratungsaufwand in den ersten neun Monaten 2019 von 30,4 auf 64,2 Millionen Euro angestiegen. Die Kosten für die im 4. Quartal begonnene unabhängige Prüfung von KPMG sind darin noch gar nicht enthalten. Ganz zu schweigen davon, dass das Management sich deshalb nicht uneingeschränkt auf das operative Geschäft konzentrieren konnte. Die Folgen davon lassen sich rein quantitativ schwer beziffern. Ungeachtet dessen wurde zuletzt auch die Kritik an Braun wieder etwas lauter: Während er im Handelsblatt-Interview einen Abschluss des KPMG-Berichts noch für Anfang kommenden Jahres in Aussicht stellte, steht im Quartalsbericht nun, der Abschlussbericht erscheine voraussichtlich Ende des 1. Quartals. Das heißt, wieder mal müssen sich die Aktionäre etwas länger gedulden. Zudem ist nach wie vor nicht ganz klar, um wen es sich denn nun bei den drei Megakunden handelt. Ende August hatte Braun ja gesagt, man habe "allein in den letzten vier Wochen drei Deals unterschrieben, die für sich genommen das Potenzial haben, das gesamte Transaktionsvolumen zu übertreffen, das 2018 über Wirecard abgewickelt wurde." Auf Nachfrage von Finanz-Szene.de verwies Wirecard nur auf einen Slide der neuen Investoren-Präsentation, in dem sich teils neue prominente Kunden fänden, die Wirecard in 2019 schon gewonnen habe. Wirecard AG (ISIN: DE0007472060) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 19e/20e/21e | Kurs | 747206 / WDI | 14,9 Mrd. EUR | 29 / 21 / 16 | 116,43 EUR | Meine Meinung: Die Behauptung von MCA-Mathematik, dass Wirecard wegen der ausstehenden Geschäftsberichte die benötigte Lizenz nicht oder nicht rechtzeitig erhalten würde, ist pure Spekulation. Das eingeschränkte Bestätigungsvermerk von Ernst & Young ist meiner Meinung nach ganz einfach damit zu erklären, dass die Untersuchung in Singapur eben noch läuft. Wirecard hat angesichts des erneuten Angriffs definitiv einen Vertrauensvorschuss verdient, denn die letzte Attacke lief komplett ins Leere. Auch von den Anschuldigungen der Financial Times ist bis jetzt unter dem Strich kaum etwas Nennenswertes übrig geblieben. Was die drei Großkunden betrifft: Vielleicht hat Markus Braun ja auch einfach ein bisschen Nachhilfe bei Tesla-Macher Elon Musk genommen und übertreibt manchmal etwas, um einen Gegenpol zu den Shortsellern zu setzen. Diese dürfen ja schließlich auch unbehelligt gewähren und ihre wilden Spekulationen in die Welt setzen. So oder so: Wir als Aktionäre werden weiter gute Nerven brauchen. Die Beschuldigungen mögen noch so spekulativ sein, die Quellenbasis noch so zweifelhaft: Institutionelle werden wohl erst wieder in großem Umfang investieren, wenn die Untersuchungen in Singapur und von KPMG abgeschlossen sind. Erst dann werden neue “Enthüllungen” nicht mehr greifen und die Leerverkäufer werden gezwungen sein, ihre Positionen wieder einzudecken. An der Tatsache, dass die Aktie fundamental unterbewertet ist besteht kein Zweifel (immer unter der Voraussetzung natürlich, dass die Bilanzen stimmen): Schaut man sich die Bewertung von Konkurrent Adyen an, könnte Wirecard auch doppelt so hoch stehen. Dieses enorme Potenzial macht den Reiz der Aktie aus und ist auch der Grund warum ich die Aktie selber im Depot habe. Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in folgenden genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Wirecard. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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