Wird sie oder wird sie nicht? Kurzes Verfallstag-Update
Wird sie oder wird sie nicht? von Torsten Ewert Sehr verehrte Leserinnen und Leser, es ist das Ereignis dieser Woche: das Fed-Meeting, das morgen und übermorgen stattfindet. Die spannende Frage ist, ob die Fed erneut die Zinsen erhöhen wird oder nicht. (K)eine klare Sache Aus Sicht der Märkte ist „eigentlich“ alles klar – mit aktuell 76%-iger Wahrscheinlichkeit erwarten die Anleger eine Zinspause: Quelle: CME FedWatch Tool Das sieht nach einer klaren Sache aus – ist es aber nicht. Um das zu verstehen, werfen wir einen Blick auf den Verlauf der Leitzinserwartungen für das Juni-Meeting seit Anfang Mai: Quellen: MarketMaker mit Daten von CME FedWatch Tool, eigene Berechnungen Am 3. Mai fand das vorangegangene Fed-Meeting statt, bei dem der Leitzins auf 5,00-5,25 % erhöht wurde (senkrechte gestrichelte Linie). Seitdem stiegen die Leitzinserwartungen für das Juni-Meeting stetig an – bis sie Ende Mai die Möglichkeit eines weiteren Zinsschritts im Juni andeuteten. Erstaunliche Markterwartungen Das war einigermaßen erstaunlich, denn in dieser Zeit rückte der Zahlungsausfall der USA immer näher, der dadurch drohte, weil sich Regierung und Kongress nicht auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze einigen konnten. Glaubten die Anleger wirklich, dass die Fed den Leitzins erhöht hätte, wenn die USA zahlungsunfähig geworden wären? Aber gut, es könnte ja sein, dass sie eine Einigung vielleicht schon vorweggenommen haben. Doch dem steht entgegen, dass in der letzten Mai-Woche, als sich die Politiker tatsächlich geeinigt haben, die Leitzinserwartungen schlagartig zurückgingen (siehe Pfeil) – und seitdem auf diesem niedrigen Niveau blieben. Der Rückgang der Erwartungen ergibt Sinn, denn mit der Einigung können die USA ihre Verpflichtungen wieder in vollem Umfang erfüllen. Dazu muss die Regierung allerdings neue Schulden machen und neue Anleihen ausgeben. Zudem muss sie die Reserven füllen, die sie durch „außerordentliche Maßnahmen“ seit Januar ausgereizt hat – so lange hat das US-Finanzministerium das Land am Zahlungsausfall vorbeimanövriert. Achtung, Anleihe-Flut! De facto werden die USA also in den kommenden Wochen so viele Anleihen ausgeben wie sonst in einem halben Jahr. Das bedeutet eine Flut von Neuemissionen, die schlagartig den Markt überschwemmen. Das erhöht das Angebot an Staatsanleihen, und bekanntlich drückt ein hohes Angebot die Preise. Im Fall von Anleihen sind das die Kurse, wodurch im Gegenzug die Zinsen steigen. Und tatsächlich spiegelt sich diese Erwartung auch in den Marktrenditen wider: Quellen: MarketMaker mit Daten von VWD Seit dem Fed-Meeting im Mai stiegen die Renditen. Mit diesem Anstieg haben aber die Anleger offenbar vor allem ein höheres Risiko bei US-Staatsanleihen infolge des Schuldenstreits eingepreist. Denn nach der Einigung fielen die Renditen zunächst wieder (siehe Pfeil). Danach ging der Anstieg weiter, womit die erwartete Anleihe-Flut eingepreist wurde. Gut, dieser Anstieg blieb bisher weit unter den Höchstständen der vergangenen Monate mit zum Teil mehr als 4 % zurück. Das lässt sich aber damit begründen, dass dem höheren Angebot der nächsten Zeit ein geringeres Angebot seit Januar gegenübersteht. Anleiheinvestoren waren also in den vergangenen Monaten gewissermaßen auf Entzug gesetzt, so dass die kommende „Flut“ nur die bisherige „Ebbe“ ausgleicht. Was Sinn ergibt und was nicht Aber grundsätzlich ergeben die Bewegungen der Marktrendite Sinn. Was bleibt, ist der unverständliche Anstieg der Leitzinserwartungen (vorheriger Chart) im Mai, der nicht dazu passt. Schließlich sind höhere Marktrenditen gleichfalls eine Belastung für die Wirtschaft. Die Fed müsste also tatsächlich nicht die Zinsen erhöhen – das übernimmt aktuell der Markt für sie! Daher ist nicht klar, warum es im Mai höhere Leitzinserwartungen gab und warum sich das geändert hat. Vielleicht schlagen sich diese Erwartungen aus irgendwelchen Gründen nicht mehr in den Fed Fund Futures nieder, sind aber weiterhin latent vorhanden. Denn in den Marktrenditen sind sie sehr wohl zu erkennen! Das zeigt der Vergleich der Anstiege der Marktrenditen für Anleihen unterschiedlicher Laufzeiten seit dem jüngsten Zwischentief Mitte Mai: Quellen: VWD, eigene Berechnungen Anleihen kürzerer Laufzeiten zeigen deutliche höhere Renditeanstiege als Anleihen länger Laufzeiten. Das könnte ein Indiz für einen Zinsanstieg „am kurzen Ende“, also eine Leitzinserhöhung sein. Ich wäre daher nicht überrascht, wenn die Fed am Mittwoch – entgegen der vermeintlichen Markterwartungen – einen weiteren Zinsschritt unternimmt. Warum die Gefahr für die Aktienmärkte besonders groß ist Das dürfte heftige Turbulenzen auslösen, vor allem an den Aktienmärkten. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind zuletzt hauptsächlich Tech-Werte stark gelaufen. Sie profitieren von einer Zinspause oder gar Zinssenkungen in besonderem Maße, da bei diesen Aktien der „Zins-Hebel“ am größten ist. Aber sie leiden auch am stärksten unter Zinserhöhungen, was wir 2022 gesehen haben, als die Fed ihren laufenden Zinserhöhungszyklus begann. Eine „überraschende“ Zinserhöhung am Mittwoch sollte also dem Nasdaq 100, aber auch dem S&P 500 (in dem Tech-Werte aktuell mit 27,6 & gewichtet sind) einen kräftigen Dämpfer verpassen. Übrigens: Es wäre nicht die erste und die einzige Überraschung in Sachen Zinsen im Juni. Die Zentralbanken Kanadas und Australiens haben in der Vorwoche schon mal ihre Zinsen (weiter) erhöht – beide Male „unerwartet“ … Zweitens käme eine solche negative Zins-Überraschung – wieder einmal – genau vor dem großen Verfallstag am Freitag. Sie würde also hektische Absicherungsmaßnahmen auslösen. Es dürfte dann bis zu den verschiedenen Verfallsterminen sehr turbulent zugehen. Die „Fed-Falle“ über die ich in der Vorwoche schrieb (siehe Börse-Intern vom 05.06.2023) würde dann wieder einmal zuschnappen. Trader sollten also entsprechend umsichtig agieren und längerfristig orientierte Anleger können erst einmal abwarten: Entweder gibt noch bessere Einstiegskurse oder klare Kaufsignale. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert
Kurzes Verfallstag-Update von Torsten Ewert An der Konstellation zum Verfallstag hat sich gegenüber der Vorwoche (siehe Börse-Intern vom 05.06.2023) nichts geändert: Die Positionierung an der Terminbörse ist weitgehend gleichgeblieben und der DAX bewegt sich weiterhin im Kursbereich um 16.000 Punkte. Allerdings hat er heute zunächst erneut einen kräftigen Kurssprung gemacht und damit die 16.000-Punkte-Marke wieder überschritten: Aus Sicht des Verfallstagsdiagramms der Vorwoche ist er damit wieder in die gelbe Zone vorgedrungen in der die Stillhalter versuchen dürften, den Kurs wieder unter diese runde Marke zu drücken. Das kann man bereits an dem langen „Docht“ der heutigen Tageskerze erkennen. Es bleibt also dabei: Das optimale Kursziel für die Stillhalter liegt bei 15.500 Punkten. Dieses Niveau könnte bei einer Zinserhöhung der Fed (siehe Beitrag oben) problemlos erreicht werden. Ohne die Mithilfe der Fed ist ein Abrechnungsniveau unterhalb von 16.000 Punkten für den DAX am wahrscheinlichsten. Und nur, falls es überraschend positive Nachrichten gibt (z.B. von den morgigen US-Inflationsdaten), sollte der DAX weiter in Richtung seines Allzeithochs laufen. Ein Ausbruch auf ein neues Allzeithoch bis zum Freitag wäre dagegen das Überraschungsszenario.
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