Die Story war so schön, der arme Robinhood (-Anleger) gegen den bösen mächtigen Short-Seller. Und am Ende gewinnt der Kleine, der Schwache, während der vom gierigen Großkapital gesteuerte Hedgefonds Pleite geht. Geldumverteilung von oben nach unten. Zu dumm, dass auch hinter vielen Aktionen der Redditeers Manipulationen stehen und Hedgefonds und große Investoren sich hier frühzeitig (genug) positionierten, um die wirklich fette Kohle abzugreifen. Die Zeche zahlt, wie fast immer, der Kleinanleger, der auf den fahrenden Zug aufspringt und meint, er könne „an der todsicheren Sache“ auch noch Geld verdienen. „Kurssturz: Wertpapier auf dem Weg zu seinem Papierwert.“ – Ron Kritzfeld – Doch das läuft so nicht. Wie bei jedem klassischen Schneeballsystem verdienen diejenigen am meisten, die ganz am Anfang dabei sind und alle nachfolgenden Spieler bezahlen dann die Gewinne der vorherigen. Bis zu einem gewissen Punkt verdienen alle an der Sache Geld. Der (Kurs-) Gipfel ist erreicht, wenn nicht mehr genügend frisches Geld zugeschossen wird, dann bricht das Kartenhaus in sich zusammen. Bei Meme-Aktien entsprechend der Kurs. Die Aktie schoss raketengleich in die Höhe, immer mehr Anleger sprangen auf und dann geht es genauso schnell wieder nach unten. Auch Du, Evotec? GameStop, AMC oder BlackBerry sind nur einige dieser Aktien, die seit Monaten die Gemüter erhitzen und für große Kursgewinne und enorme Geldverluste stehen. Und auch das deutsche Biotech-Unternehmen Evotec gehörte kurzfristig mal zum erweiterten Kreis der Meme-Aktien. Mit dem Unterschied, dass hinter Evotec Substanz steckt, Lizenz- und Kooperations-Verträge mit großen Pharma-Unternehmen und ein funktionierendes Geschäftsmodell. Für Zocker macht das keinen Unterschied. Sie benutzen die Aktien als Spielball, als Wettschein. Für Anleger ist der Unterschied jedoch elementar. Ein funktionierendes Geschäftsmodell ist die Basis, auf der sich Anleger in einem Unternehmen engagieren, unabhängig von der Bewertung seiner Aktien. Denn nicht die Entwicklung des Aktienkurses in den nächsten Tagen oder Wochen steht im Fokus, sondern die Entwicklung des Unternehmens in den nächsten Monaten und Jahren. Wer auf den Verlauf des Evotec-Charts in den letzten 5 und sogar 10 Jahren schaut, sieht dort quasi einen einzigen Erfolgsweg, wenn auch unter Schwankungen. Und nur 2 Jahre weiter zurück, 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise findet sich der Startschuss dieser außergewöhnlichen Reise: Das Allzeittief bei 0,55 Euro gefolgt vom Amtsantritt des heute noch amtierenden CEO Dr. Werner Lanthaler – der die Aktie bis auf die aktuellen 45 Euro geführt hat. Das Unternehmen wurde allerdings bereits 1993 gegründet und fand im November 1999 den Weg an die Börse. Nur wenige Monate später, am 2. März 2000 markierte die Aktie bei 92,50 Euro ihr Allzeithoch. Es war die Zeit vor dem Platzen der Internetblase, die Zeit des Neuen Markts, die Zeit des zweiten Biotech-Hypes. Und die Zeit des Börsenwahnsinns, bevor der Crash kam und die Pleite für so viele einstige Hoffnungswerte. Häufig wird die heutige Hausse der Technologie-Aktien mit dem Jahr 2000 verglichen, aber dieser Vergleich hinkt doch gewaltig. Damals kamen Firmen an die Börse, die so gut wie keine Umsätze machten, keinen Cashflow generierten und außer Hochglanzprospekten und volltönenden Zukunftsvisionen nicht viel zu bieten hatten. Die Parallele zu heute wird oft von jenen gezogen, die sich auf das KGV verlassen. Denn damals wie heute machen viele der Wachstums-Firmen unterm Strich keine Gewinne. Das KGV wurde bereits 1985 vom heutigen Star-Investoren und Selfmade-Milliardär Ken Fisher entzaubert und als völlig nutzlose Bullshit-Kennzahl geoutet. Da sie aber so leicht zu errechnen ist und so schön einfache Vergleiche zwischen unterschiedlichen Aktien anstellen lässt, und man nahezu null Aufwand hat, um mit ihr eine Aktie zu bewerten, ist sie so beliebt. Wer’s genau(er) wissen will, kann sich im Archiv den „Geldanlage-Report“ vom 27. Juni 2020 vornehmen, in dem ich unter dem Titel „Vergiss das KGV“ hierzu ausführliche Erläuterungen gegeben habe. Mein Fazit war: „Der Cashflow ist die wahre Macht“ und dass er die wohl beste Kennzahl für die Bewertung von Aktien darstellt. Und das ist der (eine) entscheidende Unterschied zwischen 2000 und 2021: Heute erzielen die Unternehmen Cashflows mit ihren Geschäfts-Modellen, sie haben zumindest die Möglichkeit, nachhaltig Erfolg zu haben. Der zweite Faktor ist das anhaltende Niedrigzinsniveau, das die Spielregeln komplett geändert hat – weil der Preis für das Risiko (der Zins) auf Null gesunken ist in Kombination mit der Geldflut, die die Märkte überschwemmt. Aber zurück zu Evotec, einem dieser Unternehmen, die mit Milliarden US-Dollar bewertet wurden, obwohl sie kaum Umsätze und schon gar nicht die Aussicht auf Profitabilität versprachen. Und folgerichtig implodierten, als die US-Notenbank die Zinsen deutlich erhöhte und damit den Liquiditätsfluss an die Börsen und in die „Hot Stocks“ stoppte, die ohne diese ständigen Kapitalspritzen schnell und reihenweise Pleite gingen. Evotec 2.0 Auch Evotec musste sich neu erfinden, musste Geschäftsbereiche abstoßen, immer wieder frisches Geld auftreiben. So wurschtelte man sich durch, bis die Finanzkrise dann beinahe endgültig den Stecker zog, weil nirgendwo mehr Geld zu beschaffen war. An dieser Stelle übernahm der Österreicher Dr. Lanthaler die Zügel und brachte Evotec in die Erfolgsspur. Heute ist Evotec ein Wirkstoffforschungs- und -entwicklungsunternehmen. Dabei gehen die Hamburger Forschungs-Allianzen und Entwicklungs-Partnerschaften mit Pharma- und Biotechnologie-Unternehmen ein und entwickeln mit diesen gemeinsam neue pharmazeutische Produkte. Evotec ist weltweit tätig und beschäftigt an seinen Standorten in Deutschland, den USA, Frankreich, Italien, Österreich und Großbritannien fast 3.600 Mitarbeiter aus 75 Nationen, darunter 3.000 Wissenschaftler. Im Hauptgeschäftsfeld Execute bietet Evotec eigenständige oder integrierte Wirkstoffforschungs- und -entwicklungslösungen basierend auf dem geistigen Eigentum seiner Kunden. Dabei werden alle Aktivitäten vom Target bis zur klinischen Entwicklung abgedeckt und man hat inzwischen mehr als 830 Partnerschaften, die zu 95% wiederkehrende Erlöse generieren. Im Segment Innovate bündelt Evotec eigene Wirkstoffforschungsprojekte, Forschungsprodukte und Plattformen in Eigenregie, teilweise aber auch in Zusammenarbeit mit Partnern. Hierbei geht es um sogenannte BRIDGEs (Biomedical Research, Innovation & Development Generation Efficiency), also Partnerschaften mit akademischen Institutionen mit dem Ziel, wissenschaftliche Forschungsprojekte in die pharmazeutische Wirkstoffentwicklung zu überführen. In diesem Segmente stehen höheren Risiken größere Chancen gegenüber. Die meisten Wirkstoffe scheitern schon in frühen Phasen und auch wenn sie es bis zu den klinischen Testphasen schaffen, bleiben die meisten noch auf der Strecke. Bekommt am Ende wirklich ein Wirkstoff eine Zulassung, sind zumeist 10 oder mehr Jahre vergangen. Und die Erlöse dieses einen Wirkstoffs müssen dann, dafür ist der Patentschutz so wichtig, die Kosten all der hunderten und tausenden von gescheiterten Wirkstoffen kompensieren. Corona und mehr Corona brachte der Pharma- und Biotech-Branche höchste Aufmerksamkeit, vor allem natürlich den Unternehmen, die mit Covid-19-Wirkstoffen punkten konnten. Hier ist Evotec nicht ganz vorne mit dabei. Dennoch konnte Evotec im Jahr 2020 den Konzern-Umsatz um 12,2% auf 501 Mio. Euro steigern, wobei auf Execute 373 Mio. und auf Innovate 106 Mio. Euro entfielen. Dabei wurden mit 20 führenden Pharma-Unternehmen 37% der Erlöse generiert, weitere 40% mit Biotechnologie-Firmen, 16% mit mittelgroßen Pharma-Unternehmen und 7% mit Stiftungen. Bristol Myers Squibb Celgene war der wichtigste Kunde und steuerte rund 10% der Erlöse bei. Das setzt sich auch in diesem Jahr so fort. Als Herzstück von Evotecs Forschungsarbeit gilt die Screening-Plattform mit sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC). Hierbei werden menschliche Zellen in Stammzellen zurückprogrammiert und können dann in jede beliebigen anderen Zellen verwandelt werden. Evotec hat mit seinen Partnern in den vergangenen Jahren eine der größten und komplexesten iPSC-Plattformen der Branche aufgebaut und das nun von Bristol Myers Squibb einlizensierte Prüfpräparat ist der erste große Erfolg für die iPSC-Plattform. Aus dieser Neurologie-Allianz mit BMS fließen zunächst 17 Mio. Euro und Evotec hat sich das Recht auf umfangreiche Meilensteinzahlungen und eine Umsatzbeteiligung gesichert, weil BMS nun per Lizenz eine von Evotec entdeckte Prüfsubstanz weiterentwickeln will. Darüber hinaus steckt Evotec viel in den Aufbau einer Produktion von biotechnologisch hergestellten Wirkstoffen. Eine Anlage in den USA wurde kürzlich eröffnet, eine weitere im französischen Toulouse soll folgen. Die Fabrikation basiert auf einer Technologie des US-Unternehmens Just Biotherapeutics, das Evotec im Jahr 2019 übernommenen hatte. Ein guter Griff, denn die mittlerweile als Evotec-Just Biologics firmierende US-Tochter erhielt Anfang dieses Jahres einen Millionenauftrag durch das US-Verteidigungsministerium. Das Unternehmen soll nach Antikörpern suchen, unter anderem für einen Covid-19-Wirkstoff. Durchwachsene Zahlen!? Forschung & Entwicklung sind unabdingbar, belasten aber kurzfristig die Ergebnisse. Evotec sieht sich nach einem Umsatzplus in den ersten 6 Monaten 2021 weiter auf gutem Weg zu seinen Zielen – sowohl im laufenden Jahr als auch mittelfristig. So soll der Umsatz 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 14% auf 550 bis 570 Millionen Euro steigen, während ein Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von 105 bis 120 Millionen Euro erwartet wird nach knapp 107 Millionen im vergangenen Jahr. In den ersten 6 Monaten zogen die Erlöse um fast ein Fünftel auf knapp 280 Millionen Euro an. Das operative Ergebnis ging allerdings wegen höherer Investitionen sowie gestiegener Ausgaben für Forschung und Entwicklung um fast ein Viertel auf 36 Millionen Euro zurück. Dabei hatte die Corona-Pandemie weiterhin kaum Auswirkungen auf das Geschäft von Evotec. Alle Standorte konnten in der ersten Jahreshälfte ihren Betrieb fortführen. Allerdings gab es bei einigen erwarteten Meilensteinzahlungen von Partnern Verzögerungen, die das Ergebnis gedrückt haben. Diese sollten in der zweiten Jahreshälfte realisiert werden, so dass der Zeitverzug auf Jahressicht nicht ins Gewicht fällt. Ausblick Auf dem letzten Kapitalmarkttag wurden ehrgeizige Mittelfristziele verkündet und diese wurden nach den jüngsten Quartalszahlen bestätigt. Bis 2025 soll der Umsatz auf mehr als 1 Milliarde Euro anwachsen, also auf doppelt so viel wie 2020. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen soll auf mindestens 300 Millionen Euro steigen und damit auf rund das 3-fache des 2020er Werts. Mit 449 Mio. Euro ist Evotecs Kriegskasse zwar gut gefüllt, doch die Investitionen verbrauchen einiges an liquiden Mitteln. Daher steuert Evotec ein Zweitlisting an der US-Technologiebörse NASDAQ an und beantragte Anfang August die Notierung sogenannter Hinterlegungsscheine (ADS). Bei Vollzug dürfte das Interesse amerikanischer Investoren an Evotec merklich anziehen und so auch zu höheren Bewertungsmultiplen führen. Nicht dass diese jetzt etwa zu niedrig wären, aber nach oben gibt es ja bekanntlich kein Limit. Evotec SE (ISIN: DE0005664809) | Hier die Grafik vergrößern... | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 20/21e/22e | Kurs | 566480 / EVT | 7,3 Mrd. EUR | 757 / 99 / 169 | 44,16 EUR | Mein Fazit Mit Ausgabe der ADS könnte eine Kapitalerhöhung verbunden sein, was den Kurs erstmal belasten dürfte. Evotec schreibt Gewinne, wenn auch noch vergleichsweise geringe. Insofern verbrennt man kein Geld, sondern setzt die vorhandenen Mittel für Investitionen und Übernahmen ein. Daher sollten mögliche „Kursirritationen“ für langfristig orientierte Anleger kein Hinderungsgrund sein, sondern könnten eher eine willkommene Nachkauf-Chance bieten. Evotec hat schon lange in die Erfolgsspur zurückgefunden und verfolgt seinen Wachstumspfad konsequent. Bis zum Allzeithoch aus dem März 2000 hat der Kurs noch reichlich Luft. Im Gegensatz zu damals sprechen wir heute aber nicht mehr über heiße Luft, sondern über Rückenwind. Was nicht ausschließt, dass der Aktienkurs auch mal wieder längere Konsolidierungsphasen oder heftigere Korrekturen erleben wird. Solange Evotec seinem Erfolgsweg treu bleibt, stehen die Chancen gut, dass dem letzten Höchstkurs ein weiterer folgen wird. Wenn auch nicht unbedingt sofort...
Die heutige Ausgabe entstand wieder in Zusammenarbeit mit Michael C. Kissig, Value Investor und Betreiber des Blogs „iNTELLiGENT iNVESTiEREN“. | | Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in ein oder mehreren der oben genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels NICHT investiert. Es können daher KEINE Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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