Plus: Der Schriftsteller John Irving im großen Interview
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13. April 2023
Guten Tag,

»Wie rettet man einen Menschen?

Die Geschichte beginnt im Jahr 2017, als ich in einem Berliner Flüchtlingsheim, in dem ich recherchiere, eine afghanische Familie mit vier Kindern kennenlerne. Wir freunden uns an. Sie kommen zur Einschulung unserer Tochter, wir gehen zusammen ins Konzert, ich vermittle ihnen eine Wohnung und dem Sohn Ehsan Hosseini einen Job, und bis heute haben wir eine Whats­app-Gruppe namens ›Uno Uno‹, weil wir das oft miteinander spielen.

Dass 2015 so viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, fand ich nicht immer unproblematisch. Die Haltung, die manche dieser Menschen gegenüber Frauen und Juden zeigten, irritierte mich. Umso mehr wollte ich dieser Familie helfen. Der Vater war sanft zu seinen Töchtern, und auf Spaziergängen machten sie an Stolpersteinen Halt.

2020 ziehen mein Mann und ich mit unseren drei Kindern nach Neuseeland, der Kontakt zu unseren afghanischen Freunden wird loser. Am 17. August 2021, kurz nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul, videotelefonieren wir, und sie erzählen uns von Jalil Mokhtar Bangala, dem Bruder der Mutter, Vater von drei Kindern, der in der Terrorabwehr des afghanischen Innenministeriums gearbeitet hat. ›Könnt ihr uns helfen, ihn da rauszuholen?‹, fragt Ehsan. ›Wir haben Angst, dass er sonst stirbt.‹

›Existentielle Schuld‹. So bezeichnen Psychologen das schlechte Gewissen, das einen umtreibt, weil die eigenen Lebens­umstände viel besser sind als die von anderen. Mit Neuseeland und Deutschland sind zwei der sichersten und wohlhabendsten Länder meine Heimat, und wenige Monate vor dem Gespräch teilte ich ein Zitat von Toni Morrison auf Instagram. ›If you are free, you need to free somebody else. If you have some power, then your job is to empower somebody else.‹ Wenn du frei bist, musst du jemand anderen befreien. Wenn du etwas Macht hast, ist es deine Aufgabe, jemand anderen zu ermächtigen.

Hatte ich mehr als Gratis-Anstand in mir? Oder konnte ich nur schlaue Sprüche in sozialen Medien teilen?

›Wir werden alles tun, um sie nach Deutschland zu holen‹, antworte ich Ehsan.

Am 8. Oktober 2021 schickt uns Jalil ein Foto von sich, seiner Frau und den drei Kindern vor dem Brandenburger Tor.

Über die sieben Wochen dazwischen will ich schreiben. Selten sonst habe ich so viel gelernt. Über Politik und die Menschen, über Vertrauen und unsere blinden Flecken. Zugleich merke ich, dass ich den Eindruck vermeiden will, eine Samariterin zu sein. Und deshalb wird es in diesem Text auch darum gehen, warum viele Leute sich fast schämen, wenn sie versuchen, uneigennützig zu helfen.

Aber wie rettet man denn nun einen Menschen aus Afghanistan?«
Rettung aus Kabul

Was Sie oben gerade gelesen haben, ist der Beginn einer Reportage meiner Kollegin Verena Friederike Hasel; ihr im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdiger Text erscheint diese Woche im SZ-Magazin. Ich habe die Entstehung begleitet, war vor ein paar Monaten sehr angetan von dem Themenvorschlag, habe mit der Autorin Aufbau und Länge beraten und einen Termin für die Textabgabe vereinbart. Dann kam die Redigatur, das Fotografieren, die Prüfung der Fakten im Text, das Layout.

Wenn man sich über so lange Zeit mit einem aufwändigen Text über ein relevantes Thema beschäftigt, dann kann man sich irgendwann kaum noch vorstellen dass er von Leserinnen und Lesern links liegen gelassen wird. Dass dieser Text im gedruckten SZ-Magazin überblättert, in der digitalen Ausgabe nicht angeklickt wird. Dass er untergeht in den sozialen Medien. Aber die Gefahr besteht natürlich, sie ist sogar sehr groß. Was lässt sich dagegen tun? Vielleicht als Erstes schon mal dies: Ihnen in diesem Newsletter den Anfang des Textes ans Herz gelegt zu haben. Ich bin guter Dinge, dass Sie  weiterlesen werden.

Ihr Timm Klotzek
Chefredakteur
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