Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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13. Oktober 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
dies ist ein Newsletter zum gedämpften Lobpreis des Bundesverfassungsgerichts. Dieser Newsletter lobt also das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe und er lobt die aktuellen Bestrebungen im Bundestag, die Stellung und den Status dieses Gerichts grundgesetzlich besser abzusichern als bisher. Diese Absicherung hat das höchste Gericht in Karlsruhe verdient: Ohne dieses Gericht wäre die Bundesrepublik eine andere Republik. Sie wäre eine Republik, in der das Recht weniger Bedeutung und die Grundrechte weniger Glanz hätten. Deutschland wäre ein Land mit steileren Machthierarchien und niedrigerer Rechtsqualität. Die Bundesrepublik wäre eine Republik, in der die Parteien noch mehr Macht, die Bürgerinnen und Bürger dagegen weniger Freiheiten und die Minderheiten weniger Rechte hätten. Vor allem Letzteren ginge es schlechter: Strafgefangenen, Pazifisten, Homo- und Transsexuellen, nicht-ehelichen Kindern, den Armen dieser Gesellschaft. Zudem wären in der Geschichte dieser Republik viele politische Skandale unentdeckt geblieben, wenn nicht die höchsten Richterinnen und Richter die Meinungs-und Pressefreiheit gestärkt hätten. Man kann sich das Bundesverfassungsgericht also nicht wegdenken, ohne dass der Erfolg der Bundesrepublik entfiele. Das Gericht hat dem Land gutgetan und es tut ihm gut.

Aber natürlich ist auch Karlsruhe nicht der Ort der immerwährenden Weisheit, dort ist nicht der Weisheit allerletzter Schluss zu Hause. Auch das höchste Gericht macht Fehler. Die Rechtsprechung zu Corona beispielsweise war kläglich; bei den größten Grundrechtseingriffen in der Geschichte der Republik hat sich das Grundrechtsschutzgericht ziemlich herausgehalten; das höchste Gericht hat geschwächelt. Aber es wäre ein schwerer Fehler, das Gericht wegen solcher Fehler nicht so gut zu schützen, wie es nur irgend geht. Die Grundregeln für das Gericht, das die Grundrechte schützen soll, müssen im Grundgesetz ausdrücklich und klar geregelt sein. Sie stehen bisher nur in einem einfachen Gesetz, dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz; so ein einfaches Gesetz kann jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden. Das birgt die Gefahr – wie in Polen und Ungarn geschehen –, dass eine autokratische Regierung das Verfassungsgericht des Landes in seinen Griff nimmt und zu diesem Zweck das einfache Gesetz einfach mit einfacher Mehrheit ändert. Da wird dann zum Beispiel einfach ein neuer Senat mit neuen Richtern gebildet, dem dann alle wichtigen Fälle zugewiesen werden. Dergleichen soll also in Deutschland jetzt dadurch erschwert werden, dass die bewährten Grundregeln für das Verfassungsgericht in die Verfassung geschrieben werden. Das hätte schon längst geschehen sollen.

Zündhölzer verstecken: das reicht nicht

Die Regierungsparteien SPD/Grüne/FDP und die CDU/CSU-Opposition reagieren mit den geplanten Änderungen des Grundgesetzes auf die Gefahren, die von einem weiteren Erstarken der AfD ausgehen – das betrifft auch die Wahl der Richter. Und hier wird es kritisch. Es ist so, dass die eine Hälfte der 16 Bundesverfassungsrichter im Bundestag, die andere Hälfte im Bundesrat gewählt wird; jeweils ist (so das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht) eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Wenn die AfD so stark werden sollte, dass sie mit einer Sperrminorität die Wahl im Bundestag blockieren kann, soll für diesen Fall dann ersatzweise anstelle des Bundestags der Bundesrat die Richter wählen. Das ist eine Notmaßnahme, aber keine Lösung. Das ist der Versuch, die Zündhölzer vor dem potenziellen Brandstifter zu verstecken. Es zeigt sich hier die ungute Scheu davor, das zu tun, was eigentlich geboten ist, um umfassende Klarheit zu schaffen: Beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf ein Verbot der AfD zu stellen. Über diesen Antrag auf ein Parteiverbot muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das zeigt den Rang dieses Gerichts. Ein Verbotsantrag gegen die AfD schützt auch die rechtsstaatliche Zukunft des Verfassungsgerichts, er schützt seine Lauterkeit.
SZPlus Prantls Blick
Rote Roben, braune Roben
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Ich wünsche Ihnen schöne Herbsttage, ich wünsche Ihnen einen möglichst goldenen Oktober

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
SZPlus
Die Götter von heute und die Opfergaben, die sie verlangen 
In der römischen Antike bezeichnete die Formel "Do ut des / Ich gebe, damit Du gibst" das Verhältnis der Menschen zu den Göttern: Es wurde den Göttern geopfert und dafür eine Gegengabe erwartet, die es ohne das Opfer nicht geben würde. Die Götter von heute sind Weltkonzerne. Zu ihnen gehört der US-Pharmakonzern mit dem schönen Namen Eli Lilly; Namensgeber war ein Apotheker in Indianapolis, der das Unternehmen, das heute 42 000 Mitarbeiter hat, im Jahr 1876 gründete. Lilly ist höchst erfolgreich, Lilly brachte Insulin und Penicillin auf den Markt, es forscht und wirtschaftet profitabel; der spätere US-Präsident George Bush senior war dort einige Jahre Geschäftsführer. 

Zum erfolgreichen Wirtschaften tragen offenbar staatliche Opfergaben bei. Eine solche Gabe schildert soeben die Süddeutsche Zeitung: Die Bundesregierung hat sich laut internen Dokumenten der Forderung des Pharmakonzerns Eli Lilly gefügt, ein Gesetz, nämlich das im Ministerium von Gesundheitsminister Karl Lauterbach ausgearbeitete Medizinforschungsgesetz, zugunsten und nach den Wünschen des Konzerns zu ändern. Daraufhin flossen Milliarden-Investitionen des Konzerns nach Deutschland: Lilly kündigte an, 2,3 Milliarden Euro in den Bau einer Produktionsanlage in Alzey (Rheinland-Pfalz) zu investieren. Der neue Produktionsstandort soll 2027 in Betrieb genommen werden und bis zu tausend Arbeitskräfte beschäftigen. Im April 2024 begann der Bau; den symbolischen ersten Spatenstich besorgten Bundeskanzler Olaf Scholz, Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die damalige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (alle SPD). Interne Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung, NDR, WDR und der Journalistengenossenschaft "Investigate Europe" vorliegen, legen dar, welchen Druck der Pharmakonzern zuvor auf die Politik ausgeübt hat: Christina Berndt, Markus Grill und Harald Schumann fassen die Erkenntnisse zusammen und beschreiben eindrucksvoll, wie der Druck der Industrie funktioniert und welche Spuren er im Gesetz hinterlassen hat.
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Ein westdeutsches Fotoalbum
Es ist das erste Mal, dass ich einen Text mit dem Satz "Für uns Ältere ist …" beginne. Also: Für uns Ältere ist dieses Buch eine Lebensgeschichte, eine Biographie. Es ist eine große Bildergeschichte, ein dickes Fotoalbum darüber, wie unser Land war, als wir klein waren und groß geworden sind. Wir blättern auf 336 Seiten durch unser Leben. Das Buch ist ein Buch zum Spazierengehen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik; es ist ein Buch, das uns zeigt, wie wir geworden sind, was wir sind; es ist ein Buch, das zum Sinnieren animiert; ein Buch, das in eine Welt blickt, die so unendlich weit weg zu sein scheint – zum Beispiel dann, wenn man Ludwig Erhard im Kanzleramt sitzen oder die VW-Käfer herumkurven sieht. Manche der Bilder sind auch von beklemmender Aktualität: so etwa das Bild von den Protesten gegen die Wiederbewaffnung aus dem Jahr 1955. "Verhandeln ist besser als Säbelrasseln" steht auf dem Transparent. Es könnte dies auch ein Protestplakat sein gegen die Aufrüstungspolitik heute, in den Zeiten der Berliner Republik und des Ukraine-Kriegs. Das Buch illustriert die Geschichte der Bundesrepublik vom Wiederaufbau bis zur Wiedervereinigung. Die Fotohistoriker Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer haben die Fotografien zusammengetragen, viele davon waren bisher unveröffentlicht. Ich selbst habe für das Buch einen begleitenden Essay beigesteuert. Das Buch hat 336 Seiten, es zeigt 338 Fotos.

Die Bonner Republik: Vier Jahrzehnte Westdeutschland. 1949-1990 in Fotografien. Das Buch ist im September 2024 beim Bonner Greven-Verlag erschienen. Es kostet, gebunden in Leinen und mit Schutzumschlag, 50 Euro.
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