Über einen Mann, der 51 Jahre um die Welt radelte
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Illustration: iStock / by Malte Mueller
Guten Tag,

wie oft verspüren Sie Fernweh? Bei mir reicht ja leider der kleinste Anlass. Unlängst habe ich auf Instagram ein Video gesehen, in dem ein italienischer Sportreporter erzählt, dass der Kaffee im Presseraum von Olympia so schmecke, als wäre er mit Wasser aus der Seine zubereitet worden. Das ist ein bisschen fies, ein bisschen lustig, und hat eigentlich gar nichts mit Reisen zu tun. Aber in meiner Brust war direkt dieses Drängen. Ich wollte in Paris sein, in dieser verflucht schönen Stadt, notfalls sogar mit schlechtem Kaffee, ich würde sogar Seine-Wasser flaschenweise trinken, wenn ich dafür nur jetzt sofort da sein könnte. Und ich wollte gleichzeitig in Rom an einer Theke lehnen und den besten caffè meines Lebens für einen Euro trinken.

Fernweh ist wie ein Ziehen, das nie aufgehört. Erfunden hat den Begriff wohl ein Fürst mit dem klangvollen Namen Pückler-Muskau im Jahr 1835 – als Gegenstück zum Heimweh. Aber schon vorher haben Menschen dieses unstillbare Drängen gekannt. Goethe umschrieb es 1822 als »eine Sehnsucht ins Weite statt ins Enge«.

Heute möchte ich Ihnen aber eigentlich weder von Pückler-Muskau noch von Goethe erzählen. Sondern von dem 84-jährigen Heinz Stücke aus der Nähe von Paderborn, der vermutlich der größte Fernweh-Spezialist ist. Es hörte ja nie auf bei ihm. Stücke radelte als junger Mann im Jahr 1962 los, um die Ferne zu erkunden. Zwei Jahre wollte er unterwegs sein. Stattdessen wurden es 51 Jahre. »Irgendwie habe ich immer einen Grund gefunden, noch nicht nach Hause zu fahren«, erzählt er im Interview, das meine Kollegin Simone Kamhuber mit ihm geführt hat.

Ich habe selten eine so beeindruckende Lebensgeschichte gelesen. Knapp 500 000 Kilometer seiner Reise legte Stücke mit demselben Drei-Gang-Fahrrad zurück. »Das Fahrrad war meine Eintrittskarte in die Welt und ein billiges Fortbewegungsmittel«, sagt er. Stücke wurde auf seiner Reise in den Fuß geschossen, von Autos von der Straße abgedrängt, er sah in Kolumbien eine Anakonda, und wurde von Tse-Tse-Fliegen, Mücken und einem Schwarm Bienen zerstochen. Trotzdem war das Reisen für ihn das Höchste, wie er immer wieder in den schönsten Worten erklärt. Das inspirierende Interview können Sie hier lesen:
»Ich beschloss, alle Länder der Welt zu bereisen«
Heinz Stücke brach 1962 als junger Mann auf, um die Ferne zu erkunden – mit dem Fahrrad. Erst nach 51 Jahren, 196 Ländern und 648 000 Kilometern kehrte er in seinen Heimatort bei Paderborn zurück.
Zum Interview
Tja, jetzt haben Sie vermutlich Fernweh. Ich lass diese Sätze von Stücke einfach mal so stehen: »Viele Leute, die von meiner Geschichte hören oder auf einer meiner Ausstellungen waren, sagen mir, dass sie keine Lust mehr auf ihren Alltag hätten, dass sie ihr Leben umkrempeln wollten. Das ist das Großartige an diesem Jahrhundert: Wir können entscheiden, wie wir unser Leben gestalten.«

Ihre
Dorothea Wagner

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