In diesem Artikel befasse ich mich mit den konkreten Auswirkungen und den Schlussfolgerungen, die sich für uns als Anleger daraus ergeben. Besonders in den USA, aber auch in Europa, sind aktuell ganze Branchen kollektiv von der Pleite bedroht, wie z.B. die Luftfahrt- und Tourismus-Industrie, das Hotel- und Gaststätten-Gewerbe und natürlich die Öl- und Gas-Industrie. Der Öl-Preis hat in dieser Woche seinen freien Fall zunächst ungebremst fortgesetzt. Ein Barrel der maßgeblichen Nordseeöl-Sorte Brent Crude kostete am Mittwoch im Tief nur noch 20,37 US-Dollar. Bis am Freitag um 16 Uhr hatte sich der Preis dann wieder auf 24,02 US-Dollar erhöht. Das entspricht dennoch einen Wochenverlust von heftigen 20,5%. Luftfahrt-Industrie vom Zusammenbruch bedroht! Doch damit nicht genug: Als Folge der aktuellen Situation und mangels alternativer Refinanzierungsmöglichkeiten haben insbesondere in den USA bereits viele Unternehmen damit begonnen, ihre Kreditlinien in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen und damit den Geschäftsbanken in erheblichem Maß Liquidität zu entziehen. Der bekannteste Name dabei: Boeing Boeing (ISIN: US0970231058) | | 5-Jahres-Chart | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 20e/21e/22e | Kurs | 850471 / BA | 53 Mrd. EUR | Schätzungen ausgesetzt! | 100,41 USD | Der bereits durch den 737 MAX-Skandal angeschlagene Flugzeug-Hersteller hat letzte Woche angekündigt, verfügbare Kreditlinien in Höhe von 13,8 Milliarden US-Dollar abzurufen, wird aber voraussichtlich trotzdem massive Staatshilfen zum Überleben benötigen. Die Rede ist aktuell von mindestens 60 Milliarden US-Dollar nur für die US-Luftfahrt-Industrie (weltweit ca. 200 Milliarden US-Dollar schätzt die internationale Luftfahrtvereinigung IATA). Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2008/2009 haben die USA im Zuge des Troubled Asset Relief Programs (TARP) insgesamt etwas mehr als 400 Milliarden US-Dollar - vorrangig zur Rettung ihrer Finanzinstitute - aufgewendet. Hilfe erscheint dringend geboten, denn laut dem renommierten Centre for Aviation (CAPA) würden ansonsten bereits Ende Mai die meisten Fluggesellschaften insolvent sein. Auch die großen Unternehmen der Kreuzfahrt-Branche, Carnival Corporation (CCL), Royal Caribbean Cruises (RCL) und Norwegian Cruise Line Holdings (NCLH) haben bereits ihre zur Verfügung stehenden Kreditlinien abgerufen. Hier gilt ebenfalls, dass ohne relevante Einnahmen die gesamte Branche binnen weniger Monate vor der Pleite stehen würde. Carnival PLC (ISIN: GB0031215220) | | 5-Jahres-Chart | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 20e/21e/22e | Kurs | 120071 / CUK | 1,53 Mrd. EUR | Schätzungen ausgesetzt! | 11,78 USD | Nach Börsenschluss am Mittwoch gab zudem auch Expedia, eines der größten Online-Reisebüros, die fast vollständige Inanspruchnahme seiner Kontokorrentkreditlinie von 2 Milliarden US-Dollar bekannt. Corona löst auch in anderen Branchen eine Schockstarre aus! Ganz ähnlich sieht es für den ohnehin schon durch den Trend zum Online-Shopping in den vergangenen Jahren arg gebeutelten Einzelhandels-Sektor aus. In den USA dürfte insbesondere die finanziell schwer angeschlagene Warenhauskette JC Penney eines der ersten Opfer der umfassenden Schließungsmaßnahmen sein. Aber auch Anlegerliebling Tesla und die alteingesessene Konkurrenz wie Ford, General Motors und FiatChrysler werden sich angesichts vorerst geschlossener Werke erheblichen finanziellen Herausforderungen stellen müssen. Dies gilt selbstverständlich auch für die großen europäischen und asiatischen Hersteller, wie z.B. Volkswagen, Daimler, BMW, Renault und Toyota. Ähnlich wie bei den Flugzeugbauern, wird auch hier die Zuliefer-Industrie massiv betroffen sein. Selbst bei Öl-Giganten wie Exxon, Royal Dutch Shell, Total oder Chevron deuten mittlerweile zweistellige Dividendenrenditen auf die zunehmende Angst der Anleger vor einer baldigen Senkung der großzügigen Ausschüttungen hin. Und sogar im kalifornischen Silicon Valley stehen aktuell viele Büros leer und Fabriken der Halbleiter-Industrie wurden geschlossen, nachdem die Behörden über weite Teile der San Francisco Bay Area eine Art Ausgangssperre („Shelter in Place Order“) verhängt haben. Banken: Änderungen bei den Bilanzvorschriften zur Unzeit! Die acht größten systemrelevanten amerikanischen Banken wie Bank of America, JP Morgan Chase, Citigroup, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Wells Fargo, State Street und Bank of New York Mellon haben auf die bedrohliche Situation bereits reagiert und in einem ersten Schritt alle Aktien-Rückkäufe vorerst ausgesetzt. In der nächsten Stufe dürften dann die Dividenden auf den Prüfstand gestellt werden und in allerhöchster Not müssten sich die amerikanischen Banken einmal mehr an den Staat um Hilfe wenden. Den USA (und auch anderen Staaten) bleibt in dieser Situation keine Wahl. Ohne massive Hilfen für die betroffenen Branchen würde es zu einer gigantischen Serie an Insolvenzen und in der Konsequenz enormen Kreditausfällen für die Banken kommen. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass in den USA vor kurzem die Bilanzierungsregeln für Verluste aus Kreditgeschäften geändert worden sind. Der neue CECL-Standard (Current Expected Credit Losses) gilt seit dem 01. Januar 2020 für Großbanken und zwingt diese dazu, erwartete Kreditverluste mittels Modellrechnung über die gesamte Laufzeit des Portfolios nunmehr auch ohne bereits eingetretene Zahlungsausfälle in ihrer Bilanzierung zu berücksichtigen. Die Einführung des neuen Standards hat bereits ohne die Auswirkungen der aktuellen Krise bei der Großbank JP Morgan die Wertberichtigungen im Kreditportfolio zum 1. Januar um 4,3 Milliarden US-Dollar ansteigen lassen. Höhere Wertberichtigungen beeinflussen entsprechend negativ die Kapitalausstattung der Kreditinstitute, die wiederum ausschlaggebend für die maximal mögliche Höhe an Kreditvergaben ist. Tatsächlich haben letzte Woche sowohl die US-Notenbank (als auch die EZB) bereits eine Lockerung der Kapital- und Mindestliquiditätsquoten beschlossen. Die Rating-Agentur Fitch warnte aber am Mittwoch bereits, dass diese Maßnahmen durch die neuen, verschärften Bilanzierungsregeln massiv konterkariert würden. Fitch erwartet, dass diese vorübergehend außer Kraft gesetzt werden, um den Banken mehr dringend benötigen Handlungsspielraum zu verschaffen. Primäres Ziel der Notenbanken in den kommenden Wochen und Monaten wird daher die Aufrechterhaltung des Finanzsystems sein, insbesondere die Gewährleistung ausreichender Liquidität bei den Geschäftsbanken. Sollten diese Bemühungen sich als nicht ausreichend erweisen, könnte es sogar zu noch drastischeren Maßnahmen kommen – in den USA wird bereits seit einigen Tagen die Verteilung von sog. „Hubschraubergeld“ in einer Größenordnung von rund 250 Milliarden US-Dollar direkt an die Bevölkerung diskutiert. Auf diese Weise soll der Umweg über das Geschäftsbankensystem vermieden und der Konsum ganz direkt stimuliert werden. Damit würde man in den USA dem Beispiel Hongkongs folgen. Dort wurden kürzlich für jeden volljährigen Einwohner umgerechnet rund 1.200 US-Dollar an Soforthilfe bereitgestellt. Das auf einem Gedankenexperiment des großen National-Ökonomen Milton Friedman beruhende Konzept des Helikoptergeldes wurde im Jahr 2016 in einer Studie der Deutschen Bank untersucht, die unter dem Strich die Maßnahme als potenziell wirksam und vergleichsweise einfach umsetzbar einschätzte. In Europa steht insbesondere Bundesbank-Präsident Weidmann dem Instrument seit jeher ablehnend gegenüber, insbesondere da er die Verteilung von Helikoptergeld nicht durch das Mandat der EZB gedeckt sieht. Zudem brachte der oberste Wirtschaftsberater der US-Regierung, Larry Kudlow, am Mittwoch die direkte Beteiligung des Staates an hilfebedürftigen Unternehmen ins Spiel. Das war schon während der Finanzkrise 2008/2009 teilweise zum Tragen gekommen. Mein Fazit: Wird den Notenbanken angesichts dieser nie dagewesenen Situation die Stabilisierung des Weltfinanzsystems gelingen? Mit weiter exponentiell ansteigenden Covid-19 Fallzahlen in den meisten westlichen Industrie-Nationen stehen wir offensichtlich noch mitten in der vielleicht bislang größten Herausforderung unseres Wirtschaftssystems mit aktuell sehr ungewissem Ausgang. In einigen Teilen der USA hat mittlerweile ein regelrechter Run auf Handfeuerwaffen eingesetzt, offensichtlich rechnen nicht wenige Bürger bereits mit Plünderungen und Aufständen für den Fall, dass der Regierung die Kontrolle entgleiten sollte. Immer öfter wurden zuletzt auch Forderungen nach dem Einsatz der Nationalgarde laut. Zudem meldeten am Mittwochabend in den USA erste Bankfilialen zur Neige gehende Bargeldbestände, nachdem große Anzahlen besorgter Kunden hohe Abhebungen getätigt hatten. Solange große Teile der Industrie-Nationen sich auf unabsehbare Zeit in Covid-19 Schockstarre befinden, dürfte die Lage an den Aktienmärkten weiter äußerst angespannt bleiben. Erst ein erkennbarer Rückgang der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus dürfte von den Akteuren an den Finanzmärkten als erstes Anzeichen für eine absehbare Rückkehr zur Normalität gedeutet werden. Genau an dieser Stelle gibt es aber durchaus Hoffnung: In Italien könnte schon am Wochenende oder Anfang kommender Woche ein deutlicher Rückgang der Ausbreitungsgeschwindigkeit sichtbar werden. Und zwar aus folgendem Grund: "Am Sonntag wurden die Lombardei und 14 weitere Gebiete im Norden Italiens weitgehend abgeriegelt. Einen Tag später realisierte die Regierung ihren Fehler und entschied sich, die Einschränkungen auf das ganze Land auszuweiten. Diese Maßnahmen funktionieren und haben die Ausbreitung des Virus bereits deutlich verlangsamt, aber denkt an die Erkenntnisse aus Wuhan: Es dauert 12 Tage, bis man dies auch in den Statistiken sieht!" Das obige Zitat ist ein – frei übersetzter – Auszug aus dem äußerst lesenswerten Artikel von Tomas Pueyo, der am Dienstag (10. März 2020) auf Medium erschienen ist. Das "Einen Tag später" im Auszug oben bezieht sich also auf den 9. März. Addiert man zwölf Tage kommt man auf Samstag, den 21. März. Das heißt, übers Wochenende könnten schon erste gute Nachrichten aus Italien kommen (wobei es in Italien auch noch etwas länger dauern könnte bis der Peak erreicht wird, weil die Bevölkerung weniger diszipliniert als in China sein könnte). Dennoch sollten bald die ersten «guten News» aus Europa über den Ticker laufen. Wie die Börse darauf reagiert ist eine andere Frage, aber kurzfristig könnte das schon für Erleichterung sorgen und auch bei den Anlegern das Sentiment verbessern. Und China ist ja eh schon zwei Schritte weiter. Sicher ist, dass die Welt die Covid-19 Pandemie überstehen wird, aber aktuell stehen ohne Frage Weltgemeinschaft und Weltfinanzsystem auf dem Prüfstand. Einige werden sich in Anbetracht der nicht enden wollenden, massiven Kursverluste eine Schließung der Börsen bis zum Ende der Krise wünschen. Aber auf diese Weise würden viele Marktteilnehmer der Möglichkeit beraubt, sich unter Umständen dringend benötigte Liquidität zu beschaffen – oder sich zu als günstig empfundenen Kursen im Aktienmarkt zu positionieren. Selbst wer auf die Handlungsfähigkeit von Regierungen und Notenbanken bedingungslos vertraut und das Ende der aktuellen Covid-19-Krise eher früher als später erwartet, sollte aktuell Positionen nur gestaffelt eingehen und dabei stets auf einen ausreichenden Liquiditätspuffer achten. Ich wünsche Dir in diesen schwierigen Zeiten insbesondere einen klaren Kopf, um die vor uns allen liegenden Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen. Was für den Alltag gelten sollte, lässt sich im Prinzip 1:1 auf Deine Investmentstrategie übertragen: Bleibe besonnen, vermeide unkalkulierbare Risiken und bewahre ein wenig Zuversicht für die Zeit nach Covid-19! Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in den genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels nicht investiert. Es können daher keine Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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