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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 27.09.2021 | Wolken und Schauer bei bis zu 22°C. | ||
+ Das sind die aktuellen Wahlergebnisse im Überblick + Eine Analyse zur Abgeordnetenhaus-Wahl + In Berlins Wahllokalen herrschte Chaos + |
von Lorenz Maroldt |
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Eine interaktive Karte mit allen Berliner Wahlergebnissen nach Wahlkreisen und Stimmbezirken finden Sie hier. Was das politisch bedeutet, auch mit Blick auf die möglichen Koalitionen, schauen wir uns gleich mal an. Vorher aber noch ein Blick auf das Ergebnis der Bundestagswahl: | |||||
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Fünf verschiedene Koalitionen sind hier rechnerisch möglich: eine davon unter Führung der Union (und damit ohne die SPD), drei unter Beteiligung der FDP, drei mit den Grünen – Rot-Grün-Rot ist raus. Die neuen Machtverhältnisse machte Christian Lindner am Abend in der „Berliner Runde“ klar: Er lud Annalena Baerbock vorab zu Koalitionsgesprächen zwischen der FDP und den Grünen ein – wenn die beiden sich einig sind, suchen sie sich am Ende den größeren Partner aus. Eine interaktive Bundestagswahlkarte mit allen Einzelergebnissen finden Sie hier. | |||||
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Auch bei der BVV-Wahl gewannen die Grünen mit 3,3 Punkten berlinweit am meisten dazu (insg. 20%). Die SPD bleibt mit 21,8% am stärksten, verliert aber 1,6 Punkte. Auf den weiteren Plätzen: CDU 18,4% (minus 0,2), Linke 13,9% (minus 1,3), AfD 8,1% (minus 5,5), FDP 6,7 (plus 1,1). Für die Verteilung der Bezirksbürgermeister ergibt sich damit folgendes Bild: Die SPD gewinnt Spandau, Neukölln und Treptow-Köpenick. Die Grünen gewinnen Pankow, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. Die CDU gewinnt Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Marzahn-Hellersdorf. Die Linke gewinnt Lichtenberg. Alle Einzelergebnisse aus den Bezirken finden Sie hier auf unserer interaktiven Karte. Außerdem erscheinen heute Nachmittag Sonderausgaben aller 12 Tagesspiegel-Bezirksnewsletter mit Ergebnissen, Analysen, Stellungnahmen und Kommentaren. Hier können Sie sich über ihre Lieblingsbezirke informieren (die Anmeldung ist kostenlos). | |||||
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Auch das Ergebnis des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen steht fest – und ist deutlich: Bei 1,7 Millionen abgegebenen gültigen Stimmen entfielen 56,3 auf „Ja“, 39% auf „Nein“. Am deutlichsten fiel das Ja-Votum in Friedrichshain-Kreuzberg aus (72,4%), am wenigsten Zustimmung gab es in Steglitz-Zehlendorf (44%). | |||||
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Pünktlich zum Volksentscheid gab gestern Abend übrigens das Immobilienunternehmen Heimstaden die Übernahme von 14.000 Akelius-Wohnungen in Berlin bekannt – und kündigte an, die volle Grunderwerbssteuer in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags zu zahlen (Verzicht auf einen „Share deal“). Auf den erworbenen Grundstücken will Heimstaden auch neue Wohnungen bauen. Nach dem Aus für den Mietendeckel hatte das schwedische Unternehmen auf Nachforderungen verzichtet und seine gesellschaftliche Verantwortung betont. | |||||
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Wir kommen zurück zur Abgeordnetenhauswahl: Auch wenn die Bürgermeisterinnenfrage bis in die Nacht offenblieb, war das politische Ergebnis schnell klar: Für eine grundlegend andere Koalition als die rot-rot-grüne gibt es in Berlin keine Mehrheit, jedenfalls keine ausreichend stabile. Dafür hat die SPD zu wenig hinzugewonnen, dafür blieb auch die CDU zu schwach. Oder anders gesagt: Eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP entspricht nicht dem kumulierten Willen der Wählerinnen und Wähler. Es gibt keine Wechselstimmung im Land Berlin. Und noch zwei Ergebnisse waren am Abend schnell klar: Berlin will nicht weniger Grün, sondern mehr: Niemand gewann klarer hinzu als Jarasch. Und Berlin will weniger braunschimmerndes Blau: Keine Partei verlor mehr als die AfD. Das Kokettieren mit anderen Koalitionen wird Giffey Punkte gekostet haben. Den Kurswechsel, den sie ihrer Partei aufzwang, trugen viele noch mit; die Idee einer Koalition der SPD mit CDU und FDP war ein paar entscheidende Grade zu wendig. Die Aussicht auf ein solches Bündnis wirkt offenbar abschreckend in Berlin, jedenfalls nicht anziehend genug. Auch die Affäre um ihre Dissertation schleppte Giffey als selbst verschuldeten Malus mit in den Wahlkampf. Es ist keine Nebensächlichkeit, wenn die FU einer Spitzenkandidatin den Doktortitel entzieht. Die Arbeit wies Spuren von Betrug und Schlamperei auf. Das ist auch in Berlin nicht allen egal. So wird das Land Berlin demnächst sehr wahrscheinlich von einem Senat regiert, in dem vor allem die SPD und Grüne als annähernd gleichstarke Partnerinnen das Sagen haben. Auch inhaltlich passt das zusammen: Eine Tagesspiegel-Auswertung von Positionen der sechs Parlamentsparteien zu 60 inhaltlichen Fragen zeigt die größte Übereinstimmung bei SPD und Grünen. Einzige wichtige Ausnahme: die Verkehrspolitik. Auch zusammen mit den Positionen der Linken liegt Rot-Rot-Grün weit vor anderen Konstellationen. Ausnahme hier: die Wohnungspolitik. Die Verhandlungen werden also sicher härter als beim vergangenen Mal. Und eine wichtige Frage ist auch noch ungeklärt: Wie viele Konfliktpunkte gibt es zwischen Giffey und der SPD? Wie gut passen sie wirklich zusammen, wenn es mal ernst wird? Dass die SPD überhaupt in die Lage kommt, an führender Stelle über einen neuen Senat zu sprechen, hat sie Giffeys Geschick zu verdanken, die Illusion einer moderaten Veränderung zu erzeugen: nicht so radikal wie Linke und Grüne, sozialer als CDU und FDP. Auch hat Giffey die Bedeutung Berlins außerhalb des S-Bahn-Rings ernster genommen als die Grünen. Hier leben Zweidrittel der Stadtbewohner, mit sehr anderen Bedürfnissen und Lebensgefühlen. Giffey gelang es zudem, ihre Zeit als frühere Bürgermeisterin von Neukölln als Kompetenz herauszustellen, sich aber zugleich als Ex-Bundesministerin von allen politischen Fehlfunktionen Berlins zu distanzieren. Jetzt hat sie sie am Hals. | |||||
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Der Wahltag selbst verlief in Berlin so, wie man die Stadt kennt: schrecklich dysfunktional. Immerhin brachte uns das endlich mal wieder überregionale Aufmerksamkeit: Sowohl die ARD als auch das ZDF berichteten über die Berliner Pannenserie ausführlich in ihren Hauptnachrichten. Und auch der Bundeswahlleiter schaute ganz genau hin. Die Bilanz des Schreckens ist aber auch einmalig für eine Wahl in Deutschland: + Teilweise lagen Stimmzettel aus den falschen Bezirken vor. + Erste Hinweise auf die Zettelverwechslung gab es bereits um 10 Uhr aus Friedrichshain, aber bei der Wahlleitung war niemand zu erreichen. + In einigen Wahllokalen gingen bereits um 14 Uhr die Stimmzettel aus. + Kuriere, die Nachschub besorgen sollten, blieben im Marathonstau stecken. + Einige Wahllokalleiter machten sich mit dem Auto auf, um irgendwo neue Wahlzettel aufzutreiben – und kamen ebenfalls nicht durch. + Wahlhelfer gingen zu Fuß los, um anderswo Wahlzettel aufzutreiben. + Mancherorts betrug die Wartezeit auf neue Wahlzettel bis zu vier Stunden. + In anderen Wahllokalen gab es nicht genug Wahlkabinen. + Zuweilen wurden gekippte Tische, Pappen und Transkisten zu provisorischen Wahlkabinen umfunktioniert. + Stundenlang mussten die Menschen vor manchen Wahllokalen warten (der Regierende Bürgermeister kam mit 25 Minuten davon). + Etliche Wahlberechtigte gaben auf und gingen wieder. + Für ältere Menschen, die nicht länger stehen konnten, gab es selbst vor Schulen keine Stühle. + Wegen des chaotischen Verlaufs wurden viele Wartende noch weit nach 18 Uhr in die Wahllokale gelassen. + In Pankow wurden fast 200 Menschen um 19 Uhr wegen fehlender Wahlzettel nach Hause geschickt, obwohl sie hier seit dem Nachmittag in einer langen Schlange warteten. + Die letzten Wahlzettel wurden nach 20 Uhr in die Urnen gesteckt – die Wartenden waren vor ihrer Stimmabgabe umfassend über die aktuellen Hochrechnungen informiert. Eine unfassbare Szene spielte sich vor dem Wahllokal Münstersche Straße in Charlottenburg ab: Gegen 15.30 Uhr verkündete ein verzweifelter Wahlhelfer den Wartenden, dass es keine blauen Stimmzettel mehr gibt (Zweitstimme Abgeordnetenhaus). Wer aber auf diese Stimmabgabe verzichten wolle, könne jetzt reinkommen und wählen, was noch übrig ist. Einige Wahlberechtigte gingen darauf ein, andere gingen wieder weg, und manche warteten weiter auf Nachschub. Demokratie im Ausverkauf. Der Wahlschein als Bückware – soweit hat es Berlin also gebracht. Wo sind die UN-Wahlbeobachter, wenn man sie mal braucht? Das ist eine Einladung zu Anfechtung – Wiederholung (inklusive Pannen) nicht ausgeschlossen. Überraschend kam das Chaos nicht. Denn dass die Landeswahlleiterin mit ihrer organisierenden und koordinierenden Aufgabe überfordert ist, zumal bei einer solchen komplexen Wahl (ein Marathon, fünf Zettel, sechs Stimmen), war absehbar. Die Spitze der Innenverwaltung hatte die Beamtin nicht haben wollen, die Senatskanzlei auch nicht. Beim Rechnungshof musste erst eine Stelle für sie geschaffen werden, damit sie überhaupt irgendwo unterkommen konnte. Bereits nach der Bundestagswahl 2017 lautete eine Schlagzeile im Tagespiegel: „IT-Absturz, ungültige Stimmen, bundesweit Letzter bei der Auszählung: Berlins Landeswahlleiterin nimmt die Pannen gelassen.“ Diesmal hätten spätestens bei ihrem Aufruf an die Wählerinnen und Wähler, eigenen Stifte mitzubringen, alle Alarmglocken schrillen müssen. Was wäre eigentlich geschehen, wenn die Wahlbeteiligung höher gewesen wäre – und wenn nicht so viele Menschen (so viele wie nie zuvor) vorab die Möglichkeit zur Briefwahl genutzt hätten? Man mag es sich nicht vorstellen. Warum wurde nicht vorgesorgt für den erwartbaren Umstand, dass die Leute bei einem so umfangreichen Wahlvorgang wie diesmal (nie konnten mehr Stimmen auf einmal abgegeben werden) in den Wahlkabinen etwas länger brauchen würden als sonst? Eine ernsthafte Entschuldigung der politisch Verantwortlichen war übrigens bis jetzt nicht zu vernehmen. In der Hauptstadt der organisierten Unzuständigkeit ist das offenbar zu viel verlangt. Was es gab, war nur Schulterzucken auf hohem Niveau (und zwar so, dass die Ohren verdeckt sind): Er könne sich das auch nicht erklären, erklärte der Sprecher der Landeswahlleiterin. Mit anderen Worten: Da kannste nix machen. Was hier nicht vergessen werden sollte: Der Einsatz der Wahlhelferinnen und -helfer war unter diesen Umständen grandios (auch wenn einige Hundert einfach nicht auftauchten; dafür hatte es die Landeswahlleiterin wiederum versäumt, denjenigen abzusagen, die man meinte nicht zu brauchen. Nur: Warum wurde ihnen nicht auch zugesagt? Dass es Schwund geben wird, war doch zu erwarten). Ach ja, ein paar Maskenverweigerer gab es natürlich auch. Als die Wahlhelfer sie in einem Wahllokal nicht in die überfüllten Räume ließen, kam die Polizei und kündigte an, Zwang auszuüben – allerdings nicht gegenüber den Gefährdern, sondern gegenüber den Helfern. Nach zwei Stunden wurde dann ein Extraraum bereitgestellt. | |||||
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Und hier noch einige Wahlsplitter: + Die Wahlbeteiligung lagt mit 75,6% deutlicher höher als beim vergangenen Mal (plus 8,7). + Die Tierschutzpartei holte unter den „Sonstigen“ die meisten Stimmen (2,2%) – die vielen Plakate (mit weitem Abstand mehr als alle anderen kleinen Parteien) haben sich offenbar gelohnt. + Die Freien Wähler des Ex-FDP-Abgeordneten Marcel Luthe fielen mit 0,8% komplett durch – das Abgeordnetenhaus verliert damit seinen fleißigsten Anfragensteller. + Die Basis (Anti-Corona-Maßnahmen-Partei) holte 1,3% der Stimmen – das ist ungefähr so schlimm wie ein leichter Schnupfen. + Franziska Giffey holte in Rudow als Direktkandidatin 40,8% – ihr Wahlkreis war mal ein CDU-Hotspot. + Michael Müller hat’s geschafft: Er eroberte als Direktkandidat für den Bundestag mit 27,9% den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf (Zweite: Lisa Paus, Grüne). + Kevin Kühnert hat’s ebenfalls geschafft: Er eroberte als Direktkandidat für den Bundestag mit 27,1% den Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg (Zweite: Renate Künast, Grüne). + Auch Mario Czaja ist drin: Der Ex-Senator von der CDU gewann den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf gegen Petra Pau von den Linken (29,4% zu 21,9%). + Und außerdem: Armin Laschets Stimme bleibt drin: Obwohl der CDU-Kanzlerkandidat seinen Wahlzettel so offen in die Urne steckte, das jeder sehen konnte, was er angekreuzt hat, befand der Bundeswahlleiter: „Aus aktuellem Anlass: Ein bundesweit bekannter Politiker hat wie erwartet seine eigene Partei gewählt. Eine Wählerbeeinflussung kann darin nicht gesehen werden.“ + Aber Monika Herrmann hat es nicht geschafft: Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg konnte sich in ihrem heimatlichen Direktwahlkreis für die Abgeordnetenhauswahl nicht gegen den Linken-Kandidaten Damiano Valgolio durchsetzen (23.8% zu 24,7%). | |||||
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