wissen Sie eigentlich noch genau, wo Sie gerade sind? Sagen Sie jetzt bitte nicht im Internet, auch wenn das vermutlich die einzig richtige Antwort ist – vorausgesetzt Sie lesen unseren Newsletter online. Darüber hinaus aber kann man zuweilen schon durchaus irritiert bis dissoziiert sein. Auch bei Cicero. Nehmen Sie nur mal folgende Überschrift: „Das Wahlchaos geht weiter“. Denkt man da nicht automatisch an die USA? An Biden, Trump und die Schlacht um die Midterms? Weit gefehlt. Der Text, der sich hinter dieser Headline verbirgt, handelt von Berlin und der Chaos-Wahl vom September 2021. Die nämlich schlägt weiter Wellen. Diese Woche beschäftigt sich der Bundestag mit der Frage, ob und wie weit in Berlin die Bundestagswahl wiederholt werden muss. Das ist problematischer, als es aussieht, meint der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler in einem Gastbeitrag. Die Überschrift über unseren USA-Text lautet übrigens: „Die republikanische Partei ist eine leere Hülle geworden“. Das nämlich sagt der einstige US-Botschafter John Kornblum. Nach dem überraschenden Ergebnis der Midterm Elections sieht Kornblum einen schmutzigen Kampf zwischen Donald Trump und Ron DeSantis kommen. „Das Wahlchaos geht weiter“, hätte als Überschrift also gepasst. Aber Kornblum geht es in dem Interview auch noch um etwas anderes: Er kritisiert die „ängstlichen Europäer“. Dabei hat der Deutsche Bundestag heute nach hitziger Debatte das von der Ampel-Regierung geplante „Bürgergeld“ abgesegnet. Dass SPD, Grüne und FDP sämtliche Kompromissvorschläge der Union abgelehnt haben, hat Methode, meint Cicero-Autor Hugo Müller-Vogg, der hinter der Entscheidung einen regierungsamtlichen Etikettenschwindel vermutet. Kümmern wir uns also lieber mal um Fußball: Auch da steht ja nicht alles zum Besten. Dennoch meint unser Kommentator Matthias Heitmann, dass der Proteststurm gegen die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar nicht nur Jahre zu spät kommt, er pfeift auch völlig am Thema vorbei. Letztlich ist er nichts anderes als ein Zeichen westlicher Verunsicherung. Für Heitmann ist somit klar: Ja, ich schaue die WM! Aus Überzeugung! Für unseren Autor Mathias Brodkorb wäre das vermutlich nichts. Der hat aus Überzeugung lieber mal ein paar philosophische Bücher vom Nachtisch geräumt. Jürgen Habermas zum Beispiel. Der, so Brodkorb, wolle mit seiner Kritik an den sozialen Medien eine Kluft in seinem Werk schließen. Und Richard David Precht und Harald Welzer wiederum sehen Abgründe zwischen Volk und Medien. Alle drei jedenfalls sehen die Demokratie gefährdet, wenngleich aus unterschiedlichen Richtungen. Kein Wunder, dass man da nicht mehr so genau weiß, wo man gerade ist. Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |