| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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das Leben, diese Erkenntnis hat Søren Kierkegaard in seinem Tagebuch 1843 der Philosophie zugeschrieben, das Leben müsse rückwärts verstanden werden. „Aber darüber vergisst man den andern Satz“, fährt er fort, „dass vorwärts gelebt werden muss.“ Der berühmte Satz ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich Anfang der Woche die Nachrufe auf Mario Vargas Llosa las, die Versuche, das Werk und das Leben des großen Peruaners rückblickend zu verstehen. | Fridtjof Küchemann | Redakteur im Feuilleton. | |
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| Literaturkritik, zumindest Literaturkritik zu Lebzeiten, wird vorwärts gelebt. Natürlich folgt sie der Veröffentlichung eines Werks, aber sie geht doch davon aus, dass ein Gesamtwerk damit nicht abgeschlossen ist. Dass noch etwas kommen kann. Dass, was hier gerade zu entdecken ist und zu beurteilen, zwar vor dem Hintergrund dessen gesehen werden muss, was bereits rückwärts verstanden werden sollte, aber doch auch für sich und gerade jetzt. Vielleicht erklärt das den Unterschied in der Haltung zwischen so manchen Besprechungen der letzten Bücher von Vargas Llosa, die durchaus distanziert sein konnten, und den Nachrufen voller Wertschätzung. Weit über den simplen Grundsatz hinaus, über Verstorbene nur Gutes zu sagen. Man kann den Gedanken Kierkegaards noch auf eine andere Art auf Mario Vargas Llosa anwenden, auf sein Schreiben und die Literaturkritik. In deutscher Übersetzung ist der 2010 mit dem Literaturnobelpreis geehrte Schriftsteller erstmals 1966 in Erscheinung getreten, mit seinem ersten Roman, „Die Stadt und die Hunde“, drei Jahre zuvor im Original erschienen, vier Jahre nach dem Erzählungsband „Die Anführer“, der allerdings spät, erst im Jahr 2001, übersetzt worden ist. Ich habe im F.A.Z.-Archiv die Besprechung dieses Debütromans aus dem September 1966 gefunden – und in ihr, zu einer Zeit, als es noch wenig rückwärts zu verstehen gab im Werk dieses Schriftstellers, eine Vorausahnung künftiger Größe, wie Vargas Llosa sie schließlich eingelöst hat. *** Unsere Empfehlungen in dieser Woche: Ihn focht nichts an: Was den Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa politisch umtrieb Im Nachhinein: Der Suhrkamp-Autor Andreas Maier über Siegfried Unselds NSDAP-Mitgliedschaft Kunstfreiheit kann grausam sein: Jan Wiele kommentiert den Fall KiWi vs. Till Lindemann *** „Die radikale Talentprobe eines jungen Autors“ nennt Friedrich A. Wagner „Die Stadt und die Hunde“ von Mario Vargas Llosa vor bald sechzig Jahren im Feuilleton der F.A.Z., und er sorgt sich: „In Lima sind tausend Bände des Buches wegen seiner sozialen Kritik öffentlich verbrannt worden. Das macht nachdenklich. Nichts wäre betrüblicher, als wenn Öffentlichkeit und Gesellschaft in Peru, von dem jungen Autor auf die Anklagebank verwiesen, nun ihrerseits ein bedeutendes nationales Talent in Acht und Bann tun.“ Später sieht Friedrich A. Wagner Vargas Llosa als „radikales Temperament, seine literarische Kraft vorläufig noch übersteigernd“, als „Aufrührer mit einer souveränen, affektgeladenen Verachtung aller gesellschaftlichen und moralischen Tabus“. Wenn das nicht vielverheißend klingt! Allein mehr als zwanzig Romane hat Mario Vargas Llosa zeitlebens veröffentlicht. Und doch ist, fragt man Andreas Platthaus, den Literaturchef der F.A.Z., „Die Stadt und die Hunde“ aus dem Jahr 1963 der beste Einstieg in das Werk des Schriftstellers geblieben: „Ein Debütroman“, sagt mein Kollege, „der schon vor Erscheinen hohe Literaturpreise bekam und in seiner Vielstimmigkeit eine Modernität ausstrahlt, die man aus Lateinamerika zuvor nicht kannte.“ Paul Ingendaay, als Kenner der spanischsprachigen Literatur ebenfalls bestens mit dem Werk Vargas Llosas vertraut, empfiehlt stattdessen den Essayband „Die Wahrheit der Lügen“: Er „handelt von großen Romanen der Weltliteratur, die ihn begleitet, beglückt und geprägt haben und in denen Vargas Llosa das Modell für sein kosmopolitisches Denken gefunden hat: Wahre Freiheit, so darf man daraus schließen, gibt es nur in der Kunst.“ Wir wünschen frohe Ostern und grüßen herzlich! Fridtjof Küchemann
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F.A.Z.-Newsletter: Literatur |
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| | | „Ein neuer Erzähler aus Südamerika, ein radikales Temperament, seine literarische Kraft vorläufig noch übersteigernd“: Die Rezension von Vargas Llosas erstem Werk in deutscher Übersetzung aus der F.A.Z. vom 20. September 1966. |
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