Viele von uns denken mit Grausen an die Finanzkrise zurück, als die Banker das Finanzsystem und damit die gesamte Welt an den Abgrund geführt hatten, während sie sich Millionenboni in die eigene Tasche steckten, um anschließend dem Staat mit hunderten von Milliarden die Rettung der Banken vor der Pleite zu überlassen. Und genau diese Banker klagten dann später ihre verlustig gegangenen Boni wieder ein. Wenn also heute irgendwo eine Bank unter Druck steht, mal wieder umstrukturieren und Filialen schließen muss und Vorstände austauscht, weil irgendein agiles Fintech ihnen Marktanteile und damit Gewinne abjagt, hält sich unser Mitleid in engen Grenzen. Der Bankenmarkt wird zunehmend disruptiert, er wird von neuen Geschäftsmodellen ersetzt. Und zwar nicht von den etablierten Anbietern, sondern von neuen, aufstrebenden Herausforderern. Das ist eine neue Situation für die Banken, die im Grunde genommen über Jahrhunderte hinweg das gleiche und äußerst einträgliche Geschäftsmodell verfolgt haben – das schon der Templerorden vor achthundert Jahren aus der Taufe hob. Aber das ist eine andere Geschichte. Als Kreditkarten „heiß“ wurden Veränderungen, Reformen und sogar Revolutionen im Finanzsektor gingen bisher immer von den Banken selbst aus. Eine solche große Umwälzung begann vor mehr als 50 Jahren, als Kreditkarten das Licht der Welt erblickten. Mit VISA und Mastercard gab es zwei große und schnell wachsende Anbieter, später kam eine Vielzahl weiterer hinzu. Die beiden bauten jeweils ein weltumspannendes Zahlungsnetzwerk auf mit zigtausenden von Vertragspartnern – und die Banken waren begeistert. Denn beide Unternehmen waren von Bankenkonsortien gegründet worden und der Kreis ihrer Anteilseigner war immer weiter gewachsen. Der Erfolg von VISA und der kleineren Mastercard ging also nicht zulasten der Banken, da die hinter den Kreditkarten stehenden Kredite nicht von den beiden Anbietern, sondern von den die Karten ausgebenden Banken selbst verwaltet werden. Und damit laufen auch dort die Zinseinnahmen für die teilweise horrenden Zinssätze auf. Etwas anders verhält es sich mit American Express, denn AMEX ist selbst eine Vollbank und nimmt die Kredite komplett selbst in seine Bücher. AMEX ist daher weniger Partner der Banken als vielmehr Wettbewerber. Gegen die beiden großen Zahlungsnetzwerke scheint kein Kraut gewachsen, der Trend zu kontaktlosem und digitalen Bezahlen und Onlineshopping spielt ihnen in die Karten. Und viele neue Angebote setzten auf ihrem Zahlungsnetzwerk auf, so dass sie im Hintergrund trotzdem ordentlich verdienen, auch wenn der Kunde gar keine entsprechende Kreditkarte mit den markanten Logos mehr zückt. PayPals Aufstieg Doch diese schön duopolistische Welt ist ins Wanken geraten. Als Elon Musk zusammen mit Peter Thiel bei PayPal einstieg und aus dem Unternehmen einen Online-Zahlungsdienstleister formte, der erstmals das Bezahlen im Internet leicht und sicher machte, begann eine neue Ära. Musk und Thiel stiegen (zu) früh wieder aus und verkauften PayPal an das Internetauktionshaus eBay, das damals Weltmarktführer und Innovationsführer beim Onlineshopping war. Und diese Symbiose aus eBay und PayPal war für beide Unternehmen Wachstums- und Gewinntreiber. Einige Jahre später kaufte sich der aktivistische Investor Carl Icahn bei eBay ein und schoss mit Bazookas auf das eBay-Management. Der Aktienkurs entwickelte sich schon länger unterdurchschnittlich, Amazon und andere hatten eBay abgehängt und der wahre Wert von PayPal spiegelte sich nicht annähernd in eBays Aktienkurs wieder. Icahn forderte die Trennung der beiden, also den Spin-off von PayPal. Er forderte laut, er forderte öffentlich, er forderte erfolgreich. 2014 gab eBay auf und „verschenkte“ Paypal an seine eigenen Aktionäre. Seitdem verlor eBay weiter an Bedeutung, aber PayPal wurde zum Vorzeige-Fintech und zu einer noch größeren Erfolgsgeschichte. PayPal wurde zum Standard für Internetshops. Wer PayPal nicht als Zahlungsoption anbot, geriet schnell ins Hintertreffen bei den potenziellen Kunden. Dabei muss man wissen, dass Onlinebestellvorgänge zumeist ganz am Ende abgebrochen werden, wenn es an das Bezahlen des vollgestopften Warenkorbs geht. Äußerst ärgerlich – für den Kunden und natürlich erst Recht für den Shopbetreiber. Doch wer PayPal im Angebot hat, verzeichnet deutlich weniger Bestellabbrüche. Und für die Kunden bietet PayPal einen umfangreichen Käuferschutz und damit erhebliche Vorteile gegenüber dem früher üblichen Bezahlen per Vorkasse oder Nachnahme. Natürlich kann man inzwischen auch seine Kreditkartendaten bei den Shops angeben und dann damit bezahlen, aber damit gibt man eben auch immer seine Daten aus der Hand und setzt sich der Gefahr der missbräuchlichen Verwendung aus. Hinterlegt man die Daten hingegen bei PayPal als Zahlungsoption und bezahlt dann via PayPal, nutz man PayPal als Wallet und ist doppelt geschützt. Dabei hat PayPal ein eigenes digitales Zahlungsnetzwerk etabliert und ist nicht auf VISA oder Mastercard angewiesen. PayPal ist hier also direkter Wettbewerber im Onlinebereich. PayPal hat es über die Jahre verstanden, seine Angebotspalette immer weiter auszubauen und machte sich damit für seine Kunden immer unverzichtbarer. Zum einen über Beteiligungen wie an MercadoLibre, dem Amazon Lateinamerikas, wo PayPal vor einigen Jahren mit 750 Millionen Dollar einstieg, aber auch durch die 4 Milliarden-Dollar-Übernahme der Coupon- und Rabattaktions-Plattform Honey, die über eine Browser-App Rabatte und Gutscheine anbietet. Honey wird nun international ausgerollt und ist gerade auch in Deutschland gestartet. Des Weiteren bietet man Kunden inzwischen die Möglichkeit, über PayPal (bzw. die Tochter Venmo) Kryptowährungen zu kaufen und zu verwalten und auch damit zu bezahlen. Des Weiteren setzt PayPal auf die NFC-Technologie. Damit kann man mit seinem Smartphone und über die PayPal-App an der Ladenkasse bezahlen. Und hiermit stellt man sich auch in diesem Bereich in direkte Konkurrenz zu Mastercard und VISA und ihren Zahlungsnetzwerken. Und natürlich zu Square, die in diesem Sektor der größte Disruptor in Bezug auf die POS-Zahlungen von Mastercard, VISA, AMEX und anderer Kreditkartenanbieter sind. In Deutschland hatten Kreditkarten dabei nie den hohen Stellenwert wie in den USA oder Skandinavien. Was vor allen daran liegt, dass die deutschen Banken mit der EC-Karte, später Girocard, eine kostengünstigere Alternative im Angebot hatten. Wer damit bezahlt, dem wird der entsprechende Betrag einfach vom Girokonto abgebucht. Und sofern mit der Abbuchung etwas nicht stimmt, kann man der Lastschrift sechs Wochen lang widersprechen. Auch eine Art Käuferschutz. In den USA gibt es sowas nicht. Das Bezahlen mittels Lastschrift ist dort ein völlig unübliches und kaum genutztes Verfahren. Die Amerikaner haben sich bis vor kurzem an ihre Schecks geklammert, die dann per Post durch die Gegend verschickt wurden. Die Alternative für sie: Kreditkarten. Diese werden nicht nur zum Bezahlen genutzt, wie bei uns ganz überwiegend, sondern als Kreditquelle. Diese Quelle ist aber bei Monatszinsen von mehr als einem Prozent extrem teuer und damit entsprechend lukrativ für die Kreditkartenfirmen. BNPL – Buy now, pay later Ein weiteres Angebot, das PayPal seinen Kunden seit einiger Zeit macht, ist der Kauf auf Raten. Dieses Buy now, pay later wird von Online- und Mobilshoppern sehr stark nachgefragt und ist „der neue heiße Scheiß“ im Paymentsektor. Für die hier agierenden Firmen, zumeist Fintechs, werden mehrstellige Milliardenbeträge aufgerufen. Aus unserer deutschen Sicht ist das eigentlich unvorstellbar. Denn das zugrundeliegende Produkt ist nichts anderes als die digitale Variante des bei uns völlig üblichen Ratenkredits. Damit haben sich in Deutschland Generationen die Renovierung, die neue Couch, den neuen Fernseher oder das neue Auto geleistet. Das Prinzip ist ganz einfach: Man bekommt einen Konsumentenkredit und kauft sich dafür etwas Schönes. Der Kredit hat eine feste Laufzeit und einen festen Zinssatz und damit eine feste monatliche Rate. Tja, in den USA war so etwas unbekannt. Die Banken hatten auch keinerlei Veranlassung, ihren Kunden Ratenkredite anzubieten. Denn einen Kredit über die Kreditkarte zu finanzieren ist beinahe doppelt so teuer wie ein Ratenkredit, und diese doppelt so hohen Zinseinnahmen wollte keine US-Bank unnötig verschenken. Dann kamen BNPL-Spezialisten. Klarna ist das hierbei wohl bekannteste Fintech, das eine Zahlungsoption für Internetshops anbietet, wo der Händler sofort den Kaufpreis bekommt, der Kunde diesen aber in Raten abstottert. Zinslos zumeist, da Klarna vom Händler eine Provision erhält und so sein Geld verdient. Dieses Konzept hat eingeschlagen wie eine Bombe und neben der Schwedischen Klarna schossen eine ganze Reihe von Fintechs aus dem Boden, die schnell Marktanteile im boomenden Paymentmarkt eroberten. PayPal hat – spät – reagiert und diese BNPL-Funktion als zusätzliche Zahlungsoption angeboten. Und setzt damit auf die bestehenden Kunden. Andere gehen aggressiver zu Werke und kaufen die Fintechs auf. Damit gewinnt man auf einen Schlag viele neue Kunden, die dann auch die übrigen Produkte des Übernehmenden nutzen können. Square schlägt zu Nicht das letzte Glied in der Reihe der BNPL-Übernahmen, aber das bisher teuerste, ist der Kauf von Afterpay durch Square. Das für seine Cash-App bekannte Fintech übernimmt den australischen BNPL-Anbieter für 29 Milliarden Dollar. Die BNPL-Funktion soll in Squares Produkte integriert werden und man möchte die Afterpay-Kunden damit ins eigene Square Payment-Ökosystem lotsen. Da Square zurzeit noch schwerpunktmäßig in den USA aktiv ist, stellt die internationaler agierende Afterpay somit einen perfekten Brückenkopf für Squares Expansion dar. Im Hintergrund sollen hierbei auch noch ordentlich Synergien gehoben werden. Dabei ist Afterpay selbst auch ein Wachstumsunternehmen. Der Umsatz stieg im Geschäftsjahr 2021, das im Juni endete, um 78 Prozent und für 2022 wird ein weiteres Umsatzwachstum von 66 Prozent erwartet. Der Deal bewertet Afterpay mit dem 25-fachen Umsatz, das ist enorm. Allerdings bezahlt Square den Kaufpreis in einem All-Stock-Deal mit ebenfalls ziemlich hoch bewerteten eigenen Aktien. Das relativiert den Preis dann etwas. Afterpays Zahl aktiver Kunden wuchs im Geschäftsjahr 2020/21 um 63 Prozent auf 16,1 Millionen, und man bedient weltweit fast 100.000 Händler. Die Cash App von Square erreichte im Juni 40 Millionen aktive Kunden und damit vier Millionen mehr als Ende 2020. Der Zusammenschluss dieser beiden wachstumsstarken Plattformen erweitert Squares Ökosystem also erheblich und verschafft ihm einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern. Zu denen auch PayPal zählt. PayPal (ISIN: US70450Y1038) | Hier die Grafik vergrößern... | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 21e/22e/23e | Kurs | A14R7U / PYPL | 316 Mrd. USD | 77 / 64 / 51 | 270,50 USD | Mein Fazit Die Frage ist, ob sich PayPal ernsthaft Sorgen machen und gegebenenfalls selbst mit einer Übernahme gegensteuern muss. PayPals Weg führte zuletzt eher in Richtung Mehrwertdienste, wie durch die Honey-Übernahme, während Square mit dem Erwerb einer Vollbanklizenz einen Großangriff auf die Banken starten könnte. Und man hat den Bereich der kostenlosen Steuererklärungen von Intuit übernommen, die diesen als Zugeständnis an die Regulierungsbehörden für ihre Credit Karma-Übernahme verkaufen mussten. PayPal und Square streben beide danach, ihr eigenes Ökosystem zu einer Finanz-Super-App auszubauen, die alle Dienstleistungen um Geld, Kredit und Finanzen bietet, so dass der Kunde sie gar nicht mehr verlassen muss. PayPal ist dabei der Goliath; man ist weltweit in über 200 Märkten tätig und die Zahl der aktiven Konten stieg im zweiten Quartal um 16 Prozent im Jahresvergleich auf 403 Millionen. Seine Peer-to-Peer-Zahlungs-App Venmo bedient mehr als 50 Millionen aktive Nutzer. Dafür wächst Square wesentlich schneller und kann mit seiner Cash App bei den kleinen und mittleren Unternehmen punkten – hier besteht noch großes Erholungspotenzial nach den Corona-Lockdowns. Der BNPL-Markt ist ein absoluter Wachstumsmarkt, von dem die Bank of America annimmt, er werde bis 2025 um das Zehn- bis Fünfzehnfache wachsen. Das bietet beiden Unternehmen reichlich Wachstumsmöglichkeiten. Klar ist, dass die Afterpay-Übernahme für Square einen Wachstumsschub darstellt. PayPal hat diese Art der Kundenakquise nicht wirklich nötig und dürfte daher auf rein organisches Wachstum im BNPL-Bereich setzen. Durch das internationale Ausrollen der Honey-App und die engere Verzahnung mit dem PayPal-Ökosystem bieten sich hier vielfältige Anknüpfungs- und Wachstumsmöglichkeiten. Daher lautet meine klare Antwort auf die Frage, ob PayPal den neuen Megatrend BNPL verpennt hat: Nein! Ein Schlachtschiff ist kein Schnellboot, aber deswegen noch lange kein weniger beeindruckendes - oder erfolgreiches - Schiff. Für Anleger bietet sich sogar an, neben PayPal auch Square als Ergänzung ins Depot zu nehmen, um mit zwei der agilsten und erfolgreichsten Fintechs den Sektor mittel- und langfristig gut abzudecken.
Die heutige Ausgabe entstand wieder in Zusammenarbeit mit Michael C. Kissig, Value Investor und Betreiber des Blogs „iNTELLiGENT iNVESTiEREN“. | | Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in ein oder mehreren der oben genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Square & PayPal. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
Meine neuesten Videos
Viel Erfolg bei Deinen Finanzentscheidungen wünscht Dir Dein Armin Brack Chefredakteur Geldanlage-Report >> Die nächste Ausgabe erscheint am 28. August Wir freuen uns über Lob, Kritik und Anregungen. Gerne kannst Du uns auch Themenvorschläge unterbreiten. Fragen und Anregungen bitte per Mail an [email protected] Tradesignal® ist eine eingetragene Marke der Tradesignal GmbH. Nicht autorisierte Nutzung oder Missbrauch ist ausdrücklich verboten! Hier kommst Du zu Tradesignal Online. Geldanlage-Report weiterempfehlen! Wir würden uns freuen, wenn Du den Geldanlage-Report Deinen Freunden und Kollegen weiterleiten würdest! Kostenlose Anmeldung unter www.geldanlage-report.de |