Bonjour de Versailles, die erste Goldmedaille hätte gestern schon vergeben werden müssen. Eine Mannschaftsmedaille für das Teamrund um Parcoursbauer Pierre Le Goupil. Der asketisch aussehende Franzose mit den markanten Gesichtszügen und der Glatze, die als Markenzeichen durchginge, wäre er denn von Natur aus eitel, hat einen Kurs entstehen lassen, der einzigartig ist und war. Nie wieder, „zumindest nicht in den nächsten 100 Jahren“, wie Le Goupil spitzbübisch grinsend sagt, wird es im Schlosspark von Versailles wieder eine Vielseitigkeit geben. Jeder Sprung war ein Kunstwerk, „zwei sind gar nicht gesprungen worden, das ist ärgerlich“, bemerkt Le Goupil in seiner dezenten Art. Jede Aufgabe war von den Pferden zu lesen. Er wollte der Welt zeigen, wie schön der Pferdesport ist. Das ist ihm gelungen. * Ich war gestern um 6.15 Uhr schon auf dem Gelände, weil die Dressurpferde ihren Vetcheck um 7.40 Uhr angesetzt hatten. Die Fotografen, die bei uns im Hotel wohnen, wollten auf jeden Fall pünktlich sein. Wir sind gemeinsam gefahren. Der frühe Vogel … Nebelschwaden standen über dem Grand Canal, den Stunden später 40.000 euphorische Zuschauer säumen sollten. Jeder wurde angefeuert. Es wurde geschrien, applaudiert, gesungen. Ein Fest der Sinne und ein Fest des Pferdes. Davon war in dieser Stunde, ich glaube sie war kurz nach dem Moment, den man die „blaue Stunde“ nennt, noch nichts zu spüren. Aber überall wurde gearbeitet. Der Boden wurde optimiert mit Lavaschlacke. Es wurden Schubkarren bewegt, geharkt, geguckt, optimiert. Alles für das Pferd. Sie merken – ich würde Pierre Le Goupil und seiner Crew auch zwei Medaillen gönnen. Denn die Begeisterung der zigtausend Menschen war eine Antwort auf das Dujardin-Dilemma, das uns zu Beginn der Spiele so kalt erwischt hat. Apropos Dujardin – man glaube bitte nicht, dass alle Dressurreiter hier schön abreiten und trainieren würden. Und auch nicht, dass die Stewards endlich mal durchgreifen würden. Heute ist der letzte, der entscheidende Tag der Vielseitigkeit. Danach habe ich mehr Zeit, mich den Dressurpferden zu widmen. Den Pferden, jenen Kreaturen deretwegen so viele gestern nach Versailles gekommen sind. * Fans sind eine besondere Spezies. Eingehüllt in Flaggen, mit Papierflagge in den Zöpfen, Nationalfarben auf den Wangen sowie diversen Kopfbedeckungen machten sich die Leute auf den Weg. Mein Favorit war ein rotes Shirt: „We are Swiss. We jump mountains“, stand darauf. Cool. Ein paar Deutsche mit Osterhasenohren haben mich überrascht. An den Crossing Points, also dort wo sich die Absperrseile senken, wenn gerade kein Pferd in Sicht ist, staute es sich. Vor allem an Sprung 16, dem Tiefsprung mit Graben, in dem das Pech von Christoph Wahler die deutschen Medaillenhoffnungen begraben ließ, war es pickepacke voll. Aber die Ordner dort machten sich einen Spaß draus und schafften es, die Menschen zum gemeinsamen Laufschritt anzufeuern. Sport soweit das Auge reicht. Beim Vetcheck haben übrigens alle deutschen Dressurpferde im ersten Anlauf das OK bekommen. Man sah aber nicht nur die Sorte, die im klaren Zweitakt trabte. Einige waren gleichmäßig ungleichmäßig und mussten in die Holdingbox. Aber Dressur ist erst morgen. Frederic Wandres ist dann um 13.09 Uhr dran. Der Grand Prix findet an zwei Tagen statt. Isabell Werth und Wendy sowie Jessica von Bredow-Werndl und Dalera sind am Mittwoch dran. * Heute geht es um die Medaillen. Heute geht es darum, ob Michael Jung es schafft, innerhalb von 16 Jahren und bei seiner vierten Olympiateilnahme sein drittes Einzelgold zu gewinnen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Zwei Parcours, einer um die Mannschaft- und einer um die Einzelentscheidung stehen noch vor ihm und „Chippie“ Chipmunk, der so grandios über die Strecke galoppierte, dass ich beim Schreiben gerade in der Rückschau noch einmal Gänsehaut bekomme. Aber das gilt auch für den Ritt von Julia Krajewski und Nickel. Und auch für Christoph Wahlers erste 15 Hindernisse. Und für viele mehr. Heute steht am Vormittag der Teamwettbewerb ab 11 Uhr auf dem Programm. Nachmittags konkurrieren dann die besten 25 im Einzel. Und, schon wieder früh aufstehen, um 7.30 Uhr ist die Verfassungsprüfung. * Eine Geschichte von gestern muss ich noch schnell loswerden: Riesenaufregung auf einmal während des Geländeritts. Ein Reh war aus dem Wald ins Wasser gesprungen und kraulte mit beeindruckender Geschwindigkeit durch einen Arm des Grand Canal. Gut, dass rund um dessen gemauertes Ufer Rettungsschwimmer mit kurzen Surfboards stationiert waren. Die hatten wohl nicht mit „Reh über Bord“ gerechnet, aber waren in ihren Neoprenanzügen fix im Wasser. Und siehe da: Die Boards hatten einen Turboantrieb. Es kam zum Wettkampf Reh gegen Speedboard. Baywatch versus Bambi. Lange sah es so aus, als würde das Reh gewinnen. Irgendwann bekamen es die Rettungsschwimmer dann zu packen, bugsierten es an Land und es machte sich davon. Reh-Sozialisierung im Wald war wohl das, was dann folgte. In diesem Sinne à bambitot de Versailles! |