Das TOUR Tech-Briefing zur 9. Etappe der Tour de France 2025 |
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Fotograf: Getty Images/POOL JAN DE MEULENEIR / BELGA MAG / Belga via AFP |
Vom 5. Juli bis zum 27. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 9. Etappe. |
Tour de France 2025 - 9. Etappe: Chinon - Châteauroux | 174,1 Kilometer | 1400 Höhenmeter |
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Das Höhenprofil der 9. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Die neunte Etappe ist die vorerst letzte Möglichkeit für Sprinter, sich in Szene zu setzen. Entsprechend ist ein Massensprint das wahrscheinliche Szenario. Die Zielgeraden in Châteauroux ist 1,4 Kilometer lang, schnurgerade und topfeben. Wie gemacht für den schnellsten Sprintzug, die Bühne für den Chef-Sprinter zu bereiten. |
Aber gerade, wenn die Sache so klar scheint, ist es vielleicht an einem Puncheur, eine gewagte Attacke zu starten. 2200 Meter vor dem Ziel ist eine scharfe Linkskurve, vor der sich ein Einzelkämpfer versuchen könnte abzusetzen und durchzuziehen. Diesen Fall simulieren wir heute. |
Der Held der Simulation tritt aus 57 km/h Ausgangstempo an, trägt das volle Tempo durch die Kurve und bleibt auf dem Gas. Gibt es die leiseste Chance, damit durchzukommen? |
Die Zahl des Tages: 0,27 Sekunden |
Die Wahrscheinlichkeit damit durchzukommen, ist gering, aber auch nicht Null. Ein Fahrer, der 2:20 Minuten außergewöhnlich hart durchziehen kann, hat eine kleine Chance dem Feld zu enteilen, wenn es in der Kurve eng wird oder das Feld aus anderen Gründen ein, zwei Tritte auslässt. |
Welches Rad dafür das Beste wäre, zeigt unsere Simulation: Mit knapp drei Zehnteln Sekunden Vorsprung ist das Van Rysel RCR-F Pro das rechnerisch schnellste Rad bei der Wahnsinnsaktion und fährt einen Vorsprung von 4,5 Metern gegenüber dem zweiten Rad raus. |
Die perfekte Sicht auf der schnurgeraden Zielgeraden spricht auch dagegen, dass das Manöver gelingen kann. Aber das wissen alle. Umso größer das Überraschungsmoment, wenn ein Fahrer trotzdem früh antritt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Mutiger gegen alle Wahrscheinlichkeit damit durchkommt. Die nötigen Zutaten sind mächtige Beinpower, mentale Härte und eine herausragend aerodynamische Haltung. |
Dass einer allein stärker sein kann als die Meute, hat Ben Healy zuletzt auf der sechsten Etappe bewiesen, die er mit einer langen Alleinfahrt nach Attacke aus einer hochkarätig besetzten Fluchtgruppe gewann. Allerdings waren seine Gegner ausgelaugte Ausreißer und nicht frische Sprintanfahrer. |
Healy hat aber in Perfektion vorgeführt, worauf es ankommt: Der Ire hat das Finale wie ein Zeitfahren bestritten. Stets in optimaler Position und in jeder Sekunde mit Druck auf dem Pedal. Kein Nachlassen, kein Verschnaufen. So hat er sogar kontinuierlich Zeit gegen die gebündelte Arbeit seiner Verfolger gutgemacht. |
Das (fast) vollständige Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Die Tabelle zeigt: Wer kurz vor dem Ziel noch entwischen will, benötigt außer Mut und riesigem Stehvermögen vor allem eine Top-Aerodynamik. Das Rad spielt dabei noch die geringste Rolle, kann aber das Zünglein an der Waage sein. Ein aerodynamisch schwaches Rad büßt über vier Sekunden auf 2300 Metern ein. Zwei Watt Differenz bei der Windkanalmessung schlagen sich hier als eine Differenz von 0,27 Sekunden nieder – umgerechnet sind das immerhin viereinhalb Meter! |
Mit welchen Tricks lässt sich Tempo schinden? |
Radfahrer kämpfen mit vielen Widerständen. Vor allem aber mit der Luft. Mit Abstand dominierend ist der Luftwiderstand, wenn es nicht stramm bergauf geht. Um den Luftwiderstand zu minimieren, zählt jedes Detail: Position auf dem Rad, Beschaffenheit des Rennanzugs – dessen Rauigkeit sich sogar auf Zieltempo anpassen lässt – Aero-Socken, Schuhüberzieher. |
Für das skizzierte Finale müsste das Textil auf knapp 60 km/h abgestimmt sein – also von der Rauigkeit eher ein Zeitfahranzug sein als ein Einteiler für lange Fluchten (40-50 km/h). |
Der Aero-Helm ist natürlich auch gesetzt. Außerdem eine Position, die maximales Tempo erlaubt. In dem Punkt sind die Regeln des Weltverbands UCI allerdings problematisch. Denn die schnellste Position für den Solisten ist die Bremsgriffhaltung mit nach innen gezogenen Ellenbogen. Wer so fährt, stützt seine Unterarme gerne automatisch auf dem Oberlenker ab – und genau das ist laut Reglement verboten. |
Schließlich hilft, wenn das Material optimiert ist. Das heißt hier und heute: flächiger Rahmen und Laufräder/Reifen, die auf 60 km/h abgestimmt sind, alle Leitungen unter Putz, flächige Lenker. Die schnellsten Reifen für solch ein Finale sind Zeitfahrreifen. Auch damit lassen sich noch ein paar Watt schürfen. Auch der beste Schmierstoff auf der Kette – nach unseren Messungen Wachs – bringt noch ein paar Watt. Die Summe vieler kleiner Details macht am Ende schon einen substanziellen Unterschied für das skizzierte Finale, das mit rund 600 W gefahren werden muss, damit ein Sieg denkbar ist. |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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