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Vom 5. Juli bis zum 27. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 1. Etappe. |
Tour de France 2025 - 1. Etappe: Lille - Lille | 184,9 Kilometer | 1150 Höhenmeter |
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Das Höhenprofil der 1. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Der Auftakt zur Tour de France ist klassisch und führt ausschließlich über französische Straßen. Zum Start geht es über 185 vorwiegend flache Kilometer von und nach Lille. Das erwartbare Ende ist ein Massensprint. Die letzte Bergwertung des Tages ist eine der vierten Kategorie und liegt 45 Kilometer vor dem Ziel. Mit frischen Beinen werden die Sprinter den Mont Noir vermutlich mit dem großen Blatt niederbügeln (1,3 km, 6,4 %). Und sollte doch einer abgehängt werden, bleibt bei weitem genug Zeit, mit Hilfe des Teams wieder nach vorne zu fahren. |
Wie immer sind zum Start alle bis in die Haarspitzen motiviert, was direkt zur größten Unbekannten des Tages führt, nämlich dem Sturzrisiko. Die Straßenbreite ist endlich, alle wollen vorne fahren, alle wollen etwas gewinnen, die Klassementfahrer zumindest nichts verlieren. Das ist das Setting für viel Tempo und noch mehr Nervosität. Dass eine Gruppe wegkommt angesichts dieser Rahmenbedingungen, ist unwahrscheinlich. Dass sie durchkommt, nahezu ausgeschlossen. Am ehesten kann noch ein großer Sturz das Feld zerreißen und den Rennausgang beeinflussen. |
Was heißt das für die Räder? Und wie ist überhaupt die Ausgangslage fürs Material dieser Tour de France? Im Zentrum diese Briefings wird die Radtechnik stehen und die Wechselwirkungen, die sich zwischen Material, Strecke und Taktik ergeben. |
Comeback der Aero-Boliden |
Letztes Jahr sah es noch danach aus, dass die Konstrukteure zunehmend versuchen, Räder zu bauen, die den Fahrern die Qual der Wahl abnehmen, welches Rad das Beste für die jeweilige Etappe sein könnte. Allround-Rennmaschinen wie das Specialized Tarmac SL8 stehen für diese Gattung Räder. Sehr leicht, aerodynamisch gut, aber nicht so windschnittig wie die aerodynamisch schnellsten Räder der Welt. Vorteil der Ein-Rad-Strategie: weniger Grübeln, weniger Aufwand (und Kosten), leichtere Wartung und immer gleiche Fahreigenschaften. |
Das fehlende bisschen Top-Performance der Allround-Bikes leuchtete aber nicht allen Entwicklern ein. Jean-Paul Ballard, Aerodynamikexperte von Swissside mit F1-Hintergrund und Berater des Decathlon AG2R La Mondiale Teams, argumentiert, dass Aerodynamik in vielen Fahrsituationen den Ausschlag gibt. Wer unser letztjähriges Briefing verfolgt hat, hat auch dort gelesen, dass die aerodynamisch besten Bikes in den Simulationen meist vorneweg fuhren. |
Van Rysel mischt das Peloton auf |
Folgerichtig entwickelte Ballard für Van Rysel ein noch schnelleres Rad. Das neue Van Rysel RCR-F Pro (200 W) spart im Windkanal weitere 7 Watt bei 45 km/h gegenüber dem auch sehr schnellen Allrounder Van Rysel RCR Pro und ist damit das mutmaßlich aerodynamisch schnellste Rad am Start der Tour de France. Jedenfalls ist es im Serientrimm das schnellste TdF-Rad, das wir bislang messen konnten. Bei Sprinttempo 65 km/h kann sich der Aero-Vorteil des Van Rysel RCR-F Pro von 7 auf 21 W verdreifachen. Das Bike ist zudem überzeugend steif, was bei Top-Tempo ebenfalls ein willkommener Bonus ist. Nachteile: höheres Gewicht (+ 600 g) und härteres Fahrverhalten. |
Ausgerechnet Decathlon, relativ neu in der World Tour und den meisten eher als Sport-Discounter bekannt, gibt damit technisch den Takt vor, was aerodynamische Optimierung im Feld der Tour de France betrifft! |
Unsere Prognose für die erste Etappe: Teams, die Aero-Flundern im Repertoire haben, werden diese ziehen und auf das Mehrgewicht pfeifen. Sowohl die Mannschaftshelfer, die viel im Wind fahren und die Sprints anfahren als auch die Sprinter selbst, profitieren auf dem Kurs der ersten Etappe vor allem vom aerodynamisch besten Material. Schließlich kann eine Reifenbreite darüber entscheiden, wer die Etappe gewinnt und das erste Gelbe Trikot überstreift. |
Visma | Lease a Bike wird daher das Cervélo S5 auspacken und UAE wird zumindest die Helfer auf dem Y1Rs schuften lassen. Chef Tadej Pogačar hat das Rad nicht oft im Rennen gefahren. Seine Radwahl ist auf der ersten Etappe aus Performancesicht nur ein Nebenaspekt. Trotzdem sind wir gespannt, ob er die Tour auf seinem Aero-Boliden startet. |
Zahl des Tages: 0,005 Sekunden = 9 Zentimeter |
Im simulierten Endspurt schiebt sich Decathlons neue Aero-Waffe ganz nach vorne – trotz deutlichem Mehrgewicht. Der rechnerische Vorsprung in einem 200-Meter-Sprint beträgt 0,005 Sekunden oder neun Zentimeter. Cervélo S5 und Canyon Aeroad, im letzten Jahr oft die schnellsten Räder, folgen auf den Plätzen. |
Colnagos neues Y1Rs, das aerodynamisch Welten besser ist als das letztjährige Siegerbike von Tadej Pogačar, mischt auch weit vorne mit. Dem werden wir in den nächsten Tagen eine eigene Story widmen. |
Das (fast) gesamte Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Unsere Übersicht zeigt: Aeroräder sind im Finale ersten Etappe die beste Wahl. Im Sprint hängen sie die Allrounder und Leichträder ab, unabhängig davon, ob das Mindestgewicht von 6,8 kg, das der Weltverband vorschreibt, überschritten wird. Auch mit einem Kilo Aufschlag sind Top-Sprinter mit den Aero-Schnitten besser bedient. |
Die Berechnung erfolgte für einen 75 kg Fahrer. |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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