TOUR Tech-Briefing zur 20. Etappe |
|
Fotograf: Getty Velo |
Vom 1. bis zum 23. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 20. Etappe. |
Tour de France 2023 - 20. Etappe: Belfort - Le Markstein | 133,5 Kilometer |
|
Das Höhenprofil der 20. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Fasten your seat belts! Die letzte Bergetappe verspricht Drama pur. Kurz und steil heißt: Die Teams werden versucht sein, möglichst leichte Rennräder an den Start zu bringen, da die Anstiege zum Petit Ballon und Col du Platzerwasel mit 8,4 und 8,1 Prozent überdurchschnittlich steil sind. Aus taktischer Sicht ist es wahrscheinlich, dass die GC-Fahrer am Ende isoliert gegeneinander kämpfen werden. |
Welches Rad dann tatsächlich technische Vorteile bietet, hängt sehr davon ab, wann der echte Shootout auf der 20. Etappe der Tour de France 2023 beginnt. Attackieren die Kapitäne einander heroisch früh im Geiste eines Marco Pantani am Fuße des Petit Ballon? Planen sie das sogar und lassen sie die Mechaniker Überstunden leisten, um die letzten Gramm Lack vom Rahmen zu schmirgeln (30- 100 Gramm, je nach Lackierung)? Nicht jeder hat Naked-Bikes im Fundus wie die blanke BMC Teammachine von AG2R. |
Faktencheck 1 - leichter |
Ein Pfund Gewichtseinsparung bringt rechnerisch einen Vorteil von acht Sekunden beim Erklettern des Petit Ballon. |
Faktencheck 2 - dünnere Gummis |
Einmal mehr könnten wieder Zeitfahrreifen (TT-Reifen) aufgezogen werden. Wer Conti als Sponsor hat, wäre dann immer noch sehr gut bereift, da die Reifen vollständigen Pannenschutz und guten Grip bieten. Andere TT-Reifen wären bergab zum Teil sehr riskant, insbesondere bei Nässe. Rechnerischer Vorteil auf die Steigung des Petit Ballon bezogen durch Gewichtsvorteil und Rollwiderstand: zwei Sekunden. |
Faktencheck 3 - Aero-Vorteile am Berg? |
Simulation: Späte Attacke der GC-Fahrer 2000 Meter vor dem Gipfel des Col du Platzerwasel und vom Gipfel sieben Kilometer wellig und leicht bergab ins Ziel. |
Shootout der GC-Räder |
Cervelo S5: 14:44 min Colnago V4RS: 14:52 min Cervelo R5: 14:58 min |
Das (fast) gesamte Feld im Szenario 3 |
Simulierter Fahrer: 66 Kilogramm. Szenario für die Simulation: Antritt 2000 Meter vor dem Col du Platzerwasel, Tretpower im Schnitt 400 Watt bis ins Ziel. |
|
Das schnellste Rad im Feld ist einmal mehr das Canyond Aeroad, das 18 Sekunden auf das Cervelo R5 spart *, Fotograf: Robert Kühnen |
Zahl des Tages: 14 Sekunden |
Würde das aerodynamische Cervelo S5 Jonas Vingegaard im Vergleich zum Team-eigenen Bergrad R5 in diesem Finale schenken. Überraschung! In einem harten, späten Schlagabtausch auf der 20. Etappe der Tour de France 2023 hat das Aero-Rad den Reifen deutlich vorne im Vergleich zu einem unaerodynamischen Leichtrad! Welche Räder werden die Teams fahren? Verrät uns das vielleicht schon zu Beginn, wer welche Strategie plant? |
Der Taktik-Tipp |
Zeitfahrreifen in den Bergen? |
Was spricht für Zeitfahr-Reifen in den Bergen bei der Tour de France? Weniger Gewicht und weniger Rollwiderstand. Was spricht dagegen? Fast alles andere. |
Zeitfahrreifen (TT-Reifen) sind die leichtesten Reifen, was sie auch interessant macht für Bergauffahrten. Außerdem ist der Rollwiderstand geringer, was bergauf aber nicht so entscheidend ist, weil das Tempo nicht besonders hoch ist. Sobald es schneller wird, ist der Rollwiderstand aber nicht zu unterschätzen und über die ganze Etappe sparen schnellere Reifen Energie. Es hängt aber sehr an Details, ob TT-Reifen eine ernsthafte Option für eine Bergetappe sind. Nach unseren Messungen und Erfahrungen sind vor allem die Conti GP 5000 TT TR vollwertige, aber dünner gummierte Rennreifen, die in Sachen Grip, Pannenschutz und Fahrgefühl sogar für die Berge taugen; etwas straffer und schwächer gedämpft als die normalen Reifen - wegen der dünneren Lauffläche - aber durchaus allroundtauglich (wurden auch bei Mailand-San Remo gefahren). Viele andere TT-Modelle haben entweder keinen Pannenschutz oder zu harte Gummimischungen, um damit schnell und sicher am Limit bergab zu rasen. Insbesondere bei Nässe sind viele TT-Reifen riskant, weil sie weniger Kurvenhaftung besitzen und auch weniger Vertrauen spenden. |
Woher wissen wir das? Weil wir TT-Reifen am Limit getestet haben, bis zum Ausbrechen auf nasser Fahrbahn; weil wir sie durchbohrt und gerollert und das Innerste nach außen gekehrt haben. Wer sich für Details der Gummi-Freakshow interessiert, findet hier mehr dazu: Die Griptest-Methodik |
|
TOUR-Testleiter Jens Klötzer bei der Wahrheitsfindung – einen Wimpernschlag, bevor er den Asphalt küsst, Fotograf: Robert Kühnen |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Unser Experte |
|
Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
|
>> Exklusiv: Rennräder der Stars & andere Highlights von der Tour de France im Blog |
>> Ergebnisse der Tour de France |
>> Zum Tour de France Special |
>> Zum BIKE Magazin |
|
|