Verehrte Leserinnen und Leser,
heute möchte ich Sie auf "Leitsätze" hinweisen, die in der ablaufenden Woche verdächtig geräuscharm in die Öffentlichkeit gehuscht sind. Es geht um die außerordentlich relevante Frage, welchen Einfluss Aktionäre auf die Führung ihres Unternehmens haben sollten. Gut möglich, dass Konzerne wie Volkswagen oder Deutsche Bank nicht zu Sanierungsfällen geworden wären, hätten sie früher auf ihre kompetenten Anteilseigner gehört.
In Deutschland ist dieser Austausch derzeit unprofessionell organisiert. Formal soll die Hauptversammlung dafür das wesentliche Forum sein,sie hat in Deutschland aber häufig leider nur noch folkloristischen Wert. Die wichtigsten deutschen Aktiengesellschaften werden inzwischen, sofern wie bei BMW oder Volkswagen nicht Familien die Macht haben, von ausländischen, oft angelsächsischen Profi-Investoren beherrscht: Fondsgesellschaften wie Blackrock, Pensionsfonds oder deren Dienstleister wie Hermes oder APG.
Die sind es gewohnt, direkt mit der Konzernführung zu diskutieren und warten nicht auf die Bockwurst-Gipfel der Kleinaktionäre. Dem Drang nach persönlichem Austausch haben viele deutsche Aufsichtsratsvorsitzende zuletzt verstärkt nachgegeben - und sich damit in eine juristisch tiefgraue Zone bewegt. Denn das Aktiengesetz schreibt die Gleichbehandlung aller Aktionäre vor. Intensive, inhaltsreiche Geheimgespräche zwischen Aufsichtsratschef und Einzelinvestor widersprechen diesem Grundsatz.
Löblich ist deswegen, dass einige der prominentesten deutschen Profi-Aufsichtsräte diesen Zustand jetzt ändern wollen. Jürgen Hambrecht (Aufsichtsrat bei BASF, Daimler, Fuchs Petrolub), Ulrich Lehner (Eon, Henkel, Deutsche Telekom, Porsche Holding), Paul Achleitner (Deutsche Bank, Bayer, Daimler), Werner Brandt (RWE, Lufthansa, Osram, ProSiebenSatz.1) und Werner Wenning (Bayer, Henkel, Siemens) haben zusammen mit Wissenschaftlern und Juristen die Köpfe zusammengesteckt und eben Leitsätze entwickelt (, die Sie hier nachlesen können.)
Leider ist das Papier aus einem wesentlichen Grund untauglich: Es legalisiert die Grauzone statt sie abzuschaffen. Mein Worst-of: In Geheimgesprächen sollen einzelne Investoren künftig von dem Aufsichtsratschef unter anderem Informationen bekommen über
"den Besetzungsprozess des Aufsichtsrats" "die Ausschussbildung sowie die Effizienzprüfung und daraus getroffene Maßnahmen" "Anforderungsprofile für die Bestellung der Mitglieder und die Geschäftsverteilung im Vorstand" "das Vorstandsvergütungssystem, geplante Veränderungen" "seine Einschätzung der Strategieumsetzung" Das sind sämtlich offensichtlich hoch relevante Informationen, die ein Investor - schon aus Verantwortung gegenüber seinen eigenen Geldgebern - dafür nutzen wird, weitere Aktien des Unternehmens zu kaufen oder eben seine Papiere abzustoßen.
Die "Leitsätze" geben in ihrer Vorbemerkung vor: "Ziel ist es, die Transparenz zu erhöhen". Das Ziel wird sicherlich erreicht, allerdings nur für eine ausgewählte Gruppe. Wer sich dazu zählen darf, liegt vermutlich im Ermessen des Aufsichtsratschefs. Die "Leitsätze" bitten lediglich um "sachliche Gründe".
Auch der beabsichtigte Rechtsstatus der "Leitsätze" ist dunkelgrau: Das eigentlich zuständige Gremium für diese Themen, die Regierungskommission für gute Unternehmensführung (Corporate Governance) ist nur nebulös beteiligt. Die Kommission, so heißt es in den "Leitsätzen", werde zu dem Thema auch eine "grundsätzliche Empfehlung oder Anregung" aufnehmen. Weil die Verfasser des Papiers aber so hochprominent und einflussreich sind, könnten ihre Leitsätze nach einiger Zeit der Praxisanwendung trotzdem den Charakter von soft law bekommen.
Dabei wäre das Thema wirklich leicht zu heilen: Dass sich Aufsichtsratsvorsitzende mit kompetenten Profi-Investoren zur intensiven Diskussion treffen, ist richtig und wichtig. Um "die Transparenz zu erhöhen", wie es die "Leitsätze" der prominenten Autoren ja ausdrücklich wünschen, sollten sie die Protokolle dieser Gespräche veröffentlichen. Denn nur dann haben alle Eigentümer des Unternehmens die Chance auf einen Erkenntnisgewinn.
Im Internet ist dafür Platz genug.
Ein erkenntnisreiches Wochenende wünscht Ihnen Ihr