Laden...
|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 07.04.2020 | Sonnig bis 20°C. | ||
+ Bundesregierung wusste seit Jahren um Bedarf an Schutzkleidung im Ernstfall + Lage in Berlins Pflegeheimen verschärft sich + Britischer Premier Johnson auf Intensivstation verlegt + |
von Robert Ide |
|
Guten Morgen, schön da draußen, oder? Aber wie sieht es drinnen aus, in uns selbst? Das hängt in Woche vier der Corona-Beschränkungen und in Woche eins der Ferien ohne Ferien ganz von der Perspektive ab – und der eigenen Lebensperspektive. Da ist Andreas, er spielt Saxophon unter der Bösebrücke (Video hier). Vor ihm rauschen die Züge in den Bahnhof Bornholmer Straße ein; über ihm rattern Autos zwischen Prenzlauer Berg und Wedding hin und her – dort oben, wo vor 30 Jahren Trabbis die Mauer durchbretterten. Heute spazieren hier ein paar Menschen mit Abstand durch den erblühten einstigen Todesstreifen, um ein bisschen frische Luft und etwas Leben im Ausnahmezustand zu tanken. Andreas spielt für sie. „Ich will den Leuten durch diese Zeit helfen“, erzählt der 60-Jährige, der lange als Beleuchter in einem Theater gearbeitet hat und nun Musik macht, jetzt eben ohne Begleitung unter einer Brücke. „Mir hilft es ja auch.“ Ist doch Frühling, trotzdem. Und da ist Gisela Wojahn, eine Leserin aus Ostwestfalen, die sie uns geschrieben hat, um uns ihre Gefühle zu beschreiben: „Meine größte Sorge gilt im Moment meiner Mutter. Sie ist 86 Jahre alt, lebt im Altenheim und ist dement. Letzte Woche sind zwei Bewohner dort an Corona gestorben, mehrere an Corona erkrankt, alle Bewohner wurden jetzt getestet, meine Mutter Corona-positiv. Vor vier Tagen bekam sie eine Erkältung, seit drei Tagen liegt sie im Bett, fühlt sich krank und zu wackelig um aufzustehen, vor zwei Tagen fiel sie nachts hin, eine Platzwunde wurde im Krankenhaus versorgt, das Personal im Altenheim hat alle Hände voll zu tun. Niemand von uns Angehörigen kann sie besuchen. Ich mache mir große Sorgen.“ So schön da draußen das Leben und die Sonne scheinen, so ernst werfen sich Schatten über uns gleich bei uns um die Ecke. Eine Menge Menschen machen sich Sorgen um Ihre Zukunft (weitere Einsendungen dazu lesen Sie weiter unten); viele bangen um ihre Nächsten und darum, ob unser aller Nächstenliebe für sie reicht, nicht wenige müssen gar um ihr Leben fürchten. Sorgen wir gerade jetzt für sie – und für all jene, die unsere älteren und kranken Mitmenschen versorgen. | |||||
|
Die Retter der Risikopatienten in Berlin wären selbst welche. Die Stadt braucht erfahrene Krisenmanager, wenn sie kein gesundheitlicher Krisenherd wie New York werden will. Und sie hat sie gefunden (Porträts hier). Zum Beispiel Andrea Grebe, 58. Die Vivantes-Chefin wollte im Juni eigentlich Berlin verlassen, um ihre Mutter zu versorgen anstatt sich andauernd vom Senat in die Führung ihrer Klinik reinreden zu lassen. Nun bleibt sie noch vier Monate, weil sie sich nicht vorstellen kann, „wenn ich in der jetzigen Situation nicht helfen könnte“. Zum Beispiel Albrecht Broemme, 66. Berlins früherer Feuerwehrchef wollte endlich im Garten entspannen; nun baut er an der Messe eine temporäre Pandemieklinik für 500 Intensivpatienten auf. Er will nicht zulassen, dass ein Infizierter stirbt, „weil es an Dingen fehlte, die machbar gewesen wären“. Zum Beispiel Ulrich Frei, 72, Vizechef der Charité kurz vor dem Ruhestand. Er hat vor fünf Wochen die erste Corona-Teststation errichten lassen und will das Gesundheitswesen jetzt nicht allein lassen „in der größten medizinischen Herausforderung der bundesdeutschen Geschichte“. Drei Menschen, die selbstlos helfen über ihre eigenen menschlichen Bedürfnisse hinaus. Drei Menschen, die so sicher viele Menschenleben retten. | |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
Als besonders kritisch stellt sich auch in Berlin die Lage in Pflegeheimen dar, elf Einrichtungen sind bereits betroffen. Derzeit sind hier 82 Infektionen mit dem Coronavirus und vier Todesfälle unter den Bewohnern bekannt. Zugleich seien 25 Beschäftigte mit dem Sars-Covid-19-Virus infiziert. Dramatisch ist die Lage im Hermann-Radtke-Haus in Britz, wo bereits drei Bewohner verstorben sind; 22 Personen wurden hier schon positiv getestet. Die Bewohner sind nach Angaben des Gesundheitsstadtrates Falko Liecke (CDU) in ihren Zimmern isoliert, vor den Wohnräumen der positiv Getesteten seien Schleusen installiert. Einen weiteren Ausbruch gab es im Johanniter-Stift in Tegel: Hier sind nach Angaben des zuständigen Amtsarztes Patrick Larscheid zehn Krankheitsfälle bekannt (mehr Details hier). Menschen mit Demenz lassen sich vor Ansteckung kaum schützen, da sie gar nicht isoliert (laut Larscheid „eingesperrt“) werden können. Ein Drama im Drama. | |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
Wie man sich auf den Straßen am besten aus dem Weg gehen soll, darüber wird in den Videokonferenzen der Politik noch gestritten. In Jena gilt seit gestern die Pflicht, nur noch mit einem Mundschutz einkaufen gehen zu dürfen. Rot-Rot-Grün in Berlin ist zu dieser Position mindestens 1,50 Meter auf Abstand gegangen und lehnt die Idee ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dagegen schon einen Schritt weiter dran und deutet zumindest an, dass es in Deutschland noch soweit kommen könnte. Denn Masken, selbst selbst genähte, schützen immerhin andere vor den Tröpfchen, die man als möglicherweise unwissender Infizierter auf seine Mitmenschen loslassen könnte. Selbst schützen tun sie einen nach Meinung von Wissenschaftlern nicht – nur insofern, dass man sich nicht so oft ins Gesicht fasst und somit eine Schmierinfektion verhindert (aller Erkenntnisse der Wissenschaft dazu und zu allen anderen Fragen hier). Womöglich ist aber die Maske am Ende ein Schmiermittel für eine Lockerung der Kontaktverbote – und deshalb könnte uns die Pflicht zum Umbinden von einer anderen Pflicht, möglichst weiter zu Hause zu bleiben, entbinden. Eines ist allerdings gleich bei jeder Pflicht: Sie beruht auf dem Bewusstsein dafür. Und was hielten Sie vom Mundschutz? Halten Sie dazu nicht den Mund, sondern stimmen Sie ab bei unserer Checkpoint-Umfrage, ganz freiwillig natürlich. | |||||
|
|
Wo wir schon zu Hause sind, schallt uns die Frage entgegen: Und was machen wir mit den Kindern? In den Ferien ohne Ferien merken viele, wie wenig unsere Gesellschaft die Bedürfnisse derjenigen berücksichtigt, die durchs Homeoffice tollen und später unser Land am Laufen halten sollen. Sehen wir endlich ein, dass wir auch nach der Corona-Zeit mehr Sinn, mehr Infrastruktur, mehr Hinwendung für unsere Kinder brauchen (Leitartikel von Moritz Honert hier) – als Eltern und als erwachsenes Land. Nicht nur für die Kleinen zeigt sich im Kleinen das Große. | |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
Und draußen ist Frühling vorm Balkon. Man lehnt am (etwa schon geputzten?) Fenster und drückt die Klinke hinunter, um hinauszuschauen in die Welt – mit Blick auf den Vollmond (heute Nacht gesehen?) oder auf einen Hinterhof; von einem Souterrain am Bürgersteig oder einer Terrasse zum Träumen. Vielleicht mit dem Lied „Am Fenster“ von der Berliner Band City im Ohr (einst weltberühmt in der DDR; zum Nachhören hier); und vielleicht mit einem schönen, beruhigenden oder interessanten Blick hinaus auf das Leben, das auch in Berlin noch lebt. Schauen Sie raus, machen Sie was draus, zumindest in Gedanken – oder wie City singen: „Flieg ich durch die Welt“. Und um andere mitzunehmen, schicken Sie uns bitte bis morgen ein Foto Ihrer Aussicht an [email protected]. Die schönsten Bilder am Fenster veröffentlichen wir im Rahmen unserer Reihe „Zu Hause mit dem Tagesspiegel“ (Sonderseite hier) digital und in der gedruckten Zeitung. Denn auch wenn wir jetzt zu Hause bleiben: Die Welt draußen wartet auf uns. So wie wir auf sie, angelehnt an unserem Fenster. | |||||
|
|
|
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||
| |||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||
|
| ||||||
| ||||||
|
| |||
|
| ||||||
| ||||||
| ||||||
|
| ||||
|
| ||||||
| ||||||
| ||||||
| ||||
| ||||
| ||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||||
| |||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Laden...
Laden...