| Zumindest in der Theorie gibt es ja Regeln, wie gute Krisenkommunikation funktionieren kann. „Echtzeit, Wahrheit und Offenheit“ – hat Krisenforscher Frank Roselieb (der mittlerweile auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein berät) vor gut einem Jahr als die drei goldenen benannt. Aus gegebenem Anlass haben wir ihn nochmal nach seiner aktuellen Einschätzung gefragt. 1. Herr Roselieb, wie gut haben Bund und Länder die von Ihnen benannten Regeln bisher angewandt? Nach einen Jahr Corona sollte langsam etwas Routine in der Krisenkommunikation eingekehrt sein. Dennoch unterlaufen den Akteuren immer wieder und immer noch die gleichen Fehler. Mal kündigen Ministerpräsidenten heute etwas an, was morgen nach der Runde mit der Kanzlerin nicht mehr gilt. Mal werden Details aus digitalen Ministerpräsidentenkonferenzen in Echtzeit den Medien zugespielt – und verwirren die Bürger. War das jetzt nur ein offener Diskussionspunkt oder bereits ein fertiger Beschluss? In einer Pandemie suchen die Bürger Orientierung durch klare Worte, nicht Kakophonie. 2. Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen hierzulande das Handeln der Politik noch nachvollziehen können? Damit dürfte es spätestens im Oktober 2020 vorbeigewesen sein. Andere Länder haben die „Sommerfrische“ genutzt, um sich auf eine mögliche zweite Welle vorzubereiten – sei es in Sachen Remote-Learning oder bei den Notfahrplänen. Selbst als die Kanzlerin im Oktober vor 20.000 Neuinfektionen pro Tag zu Weihnachten warnte, die wir dann bereits Ende Oktober erreicht hatten, passierte erst einmal wenig. Eine zurecht enttäuschte Kanzlerin musste eher widerwillig einen „Lockdown light“ verkünden. Auf die Menschen wirkt es so, als würde der Kapitän das sichtbar leckgeschlagene Schiff kurz nach der Abfahrt lieber beharrlich durch die raue See in den Zielhafen steuern wollen, statt zum nahen Ausgangshafen zurückzukehren. Das kann keiner mehr verstehen. 3. Was vermutlich auch keiner versteht: Berlin jüngstes Kommunikationsdesaster in Sachen Impstoffproduktion. Vermutlich ist hier ein eigentlich guter Gedanke im Kopf geboren worden – schließlich sitzen in Berlin einige namhafte Pharma-Unternehmen. Er wurde aber ausgesprochen, bevor er zu Ende gedacht wurde. Gerade während einer Pandemie ist daher der Rat von Experten im Zweifel wichtiger als die schnelle unbedachte Kommunikation durch Politiker. Wer nach langen Regentagen einen Silberstreif aufzeigen will, sollte vorher den Wetterbericht gelesen haben. Wer Hoffnung macht, ohne eine Lösung zu liefern, verspielt Vertrauen und Verlässlichkeit. Beides ist wiederum in einer fortgeschrittenen Pandemie essentiell, da die Menschen bei der Bewältigung einer solchen biologischen Katastrophe zwingend auf die Steuerung durch die Politik angewiesen sind. 4. Da uns die Pandemie wahrscheinlich noch ein Weilchen begleiten wird: Ihr Tipp (an den Berliner Senat)? Die Grundregeln guter Krisenkommunikation beachten. In einer Pandemie muss die politische Kommunikation drei Dinge leisten: Informieren (Was gilt jetzt eigentlich?), Erklären (Warum so und nicht anders?) und Werben (Halten Sie weiter durch.). Hinzukommt die Kür. Dazu zählt insbesondere, die eigenen Grenzen aufzuzeigen und zu erklären, was man alles über die Pandemie noch nicht weiß. Aber auch Fehler zugeben. Besser, der Kapitän korrigiert seinen Kurs mit einer harten Ruderbewegung, als dass er unvermindert auf die längst erkannte Sandbank zusteuert. Und schließlich Leitplanken definieren: Wer sich nicht an die Verkehrsregeln hält, muss unmittelbar Sanktionen spüren, sonst folgt bald niemand mehr. „Corona-Knast“ heißt dies in Schleswig-Holstein. | |