Nutzen einer sicheren, heimischen Stromversorgung – ein Schweizer Erfolgsmodell mit Ablaufdatum?
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Schweiz beim Strom von einer hohen Versorgungssicherheit profitiert. Die Kernenergie hat dazu seit der Inbetriebnahme der Kernkraftwerks Beznau-1 vor 50 Jahren zuverlässig einen wichtigen Beitrag geleistet. Mit dem schrittweisen Wegfall der Kernkraftwerke im Rahmen der Energiestrategie 2050 zeichnet sich ab, dass die Stromversorgung unseres Landes noch stärker von Importen abhängig wird. Das Nuklearforum Schweiz befasste sich an seiner Jahresversammlung 2019 im Trafo Baden mit der Vergangenheit und mit der Zukunft der Schweizer Stromversorgung.
Reserven im Ausland werden knapper
Nationalrat Hans-Ulrich Bigler, Präsident des Nuklearforums, erinnerte in seiner Begrüssungsrede daran, dass die Schweiz seit 2003 in jedem Winter mehr Strom importiert als exportiert. Vor diesem Hintergrund beobachte er die jüngsten Entwicklungen der Stromversorgung in Deutschland mit Sorge. Laut der deutschen Bundesnetzagentur wird in Deutschland bis zum Winter 2022/2023 – nach dem Abschalten des letzten Kernkraftwerks – der Bedarf an Reservekraftwerken auf einen neuen Rekordwert von über 10 Gigawatt steigen, erklärte Bigler. Es sei noch unklar, wie diese Reserveleistung bereitgestellt werden soll. Ein beschleunigter Kohleausstieg, wie er in Deutschland derzeit ins Auge gefasst wird, würde die angespannte Situation im deutschen Stromnetz zusätzlich verschärfen, warnte er. Auch Frankreich, der zweite grosse Stromlieferant der Schweiz, will in den kommenden Jahren seinen Nuklearpark zurückfahren.
Benoît Revaz, Direktor des Bundesamtes für Energie, sieht die Lage nicht so düster. Verschiedenste Simulationen zeigten, dass Europa auch weiterhin genügend Produktionskapazität habe. Das Problem seien mittelfristig die Netze. Er zeigte sich überzeugt, dass im internationalen Zusammenspiel von Politik und Markt die Schweiz auch in Zukunft die Winter gut überstehen werde. Revaz kündigte an, dass der Bund nächstes Jahr die 2007 erstmals erarbeiteten und 2011 aktualisierten Energieperspektiven erneut aufdatieren wird. Dabei würden auch Szenarien mit 50 und 60 Jahren Laufzeit der Schweizer Kernkraftwerke betrachtet. Nach heutiger Einschätzung der Fachleute sei die Stromversorgung der Schweiz bis 2035 unkritisch.
Kernenergie war, ist und bleibt eine gute Sache
Walter Nef leitete von 1997 bis 2007 das Kernkraftwerk Beznau. In seinem Referat über die Erfolgsgeschichte der Kernenergie in der Schweiz erzählte er vom sozialdemokratischen Bundesrat Willy Spühler, der sich – unterstützt von Umweltschutzkreisen – in den 1960er-Jahren für den Bau von Kernkraftwerken einsetzte. Die langfristigen Ziele der damaligen Schweizer Strompolitik – eine kostengünstige, ausreichende, sichere und vom Ausland möglichst unabhängige Stromversorgung sowie der Schutz von Wasser, Luft und Landschaftsbild – wurden mit der Kombination von Wasser- und Kernkraft erreicht. Das habe die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer auch an der Urne anerkannt und bis heute das vorzeitige Abschalten der Schweizer Kernkraftwerke immer wieder abgelehnt.
Nef zeigte auf, wie die Kernkraftwerke mit der Sicherheit für Mensch und Umwelt als Priorität laufend nachgerüstet und modernisiert wurden. Mit der Sicherheit steig auch die Gesamtleistung des Kraftwerkparks und damit der Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft. Seit dem Einstieg in die Kernenergie haben die fünf Schweizer Werke gut ein Drittel des Stromkonsums der Schweiz produziert. Praktisch die gesamte Stromverbrauchszunahme seit 1969 wurde von der Kernenergie gedeckt. Mit ihrer zuverlässigen und sauberen Stromproduktion haben die Schweizer Kernkraftwerke auch der Umwelt genutzt, rechnete Nef vor. Ihr Ersatz durch modernste Gaskombi-Kraftwerke würde so viel zusätzliches CO2 produzieren, wie alle Autos in der Schweiz zusammen. Bis zum Ende dieser Erfolgsgeschichte mit der Ausserbetriebnahme des letzten Werks bleibe die Kernenergie ein unverzichtbarer Pfeiler der Energiestrategie 2050, betonte Nef. Ohne die heutigen Schweizer Kernkraftwerke fehlen in einem kalten und trockenen Winter rein rechnerisch fast zwei Drittel des benötigten Stroms.
Zukunft der Versorgungssicherheit umstritten
Nach Nefs Rückblick befasste sich das Podium mit der Zukunft der Versorgungssicherheit. Dr. Christian Schaffner, Executive Director des Energy Science Center der ETH Zürich, erklärte, dass die Stromversorgung der Schweiz bis 2025 stabil laufen dürfte. Danach werde es schwieriger, hauptsächlich wegen netzbedingter Probleme, und nicht unbedingt im Winter.
Mike Dost, der heutige Leiter des Kernkraftwerks Beznau, ist sicher, dass wenn alles so weiterläuft wie heute, die Schweiz in den 2030er-Jahren während acht bis zehn Monaten pro Jahr Strom importieren müsse, und das werden sehr teuer werden.
SVP-Nationalrat Hansjörg Knecht ist überzeugt, dass auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Kernenergie nötig bleibe. Er forderte Politik und Behörden auf, deshalb den KKW keine weiteren Knüppel zwischen die Beine zu werfen, so wie das jetzt der Bund mit überzogenen Rückstellungsforderungen für die nukleare Entsorgung versuche.
Sein Ratskollege Eric Nussbaumer von der SP sah die Dinge ganz anders: Es gelte, jetzt die Zeit zu nutzen, um die erneuerbaren Energien schneller als bisher auszubauen und die Speicherfrage zu lösen, Der Umbau der Stromversorgung der Schweiz könne gelingen; das sei nur eine Frage des politischen Willens.
Frank R. Ruepp, Präsident der Interessengemeinschaft Energieintensive Branchen (IGEB), beruhigte das nicht. Er mache sich für die kommenden Winter grosse Sorgen, denn die energieintensiven Betrieben seien bei der Effizienzsteigerung heute am physikalischen Limit. Weitere einseitige Verteuerungen in der Schweiz bedeuteten die Verlagerung der Produktion ins Ausland.
Kontakt:
Michael Schorer, Leiter Kommunikation
Nuklearforum Schweiz, Frohburgstrasse 20, 4600 Olten
Tel.: 031 560 36 50 E-Mail: [email protected]