SPD: Zweifel am Kanzler – Welthandel: Bundesbank in Sorge
● Umfragen: Kanzler unter Druck I |
● Taurus: Kanzler unter Druck II |
● Welthandel: Bundesbank in Sorge |
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Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn das Wort „grundsätzlich“ fällt, ist grundsätzlich Vorsicht geboten. Denn wenn etwas dem Grundsatz nach so sein soll, bedeutet es in der Regel, dass es tatsächlich ganz anders ist. Das jüngste Beispiel: Auf die Frage der „Berliner Zeitung“, ob es in der Hauptstadt No-go-Areas gebe, antwortet Polizeipräsidentin Barbara Slowik „Grundsätzlich nicht.“ Um direkt im nächsten Satz „Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul und lesbisch sind“ den klugen Rat zu geben, „aufmerksamer” zu sein. Mit anderen Worten: Natürlich gibt es No-go-Areas, an denen die Polizei die Sicherheit bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht garantieren kann. Und nein, die Rede ist hier nicht von Bruce Willis in „Stirb Langsam 3“, der mit einem Schild um den Hals durch Harlem läuft, das Schwarze beleidigt. Eine Kippa oder händchenhaltende Männer sind keine Provokation. Außer offenbar für einige Menschen in einigen Teilen der Hauptstadt (und anderswo). Berlins Polizeipräsidentin, ohne jemanden „diffamieren“ zu wollen, drückt es so aus: „Leider gibt es bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen. Offene Judenfeindlichkeit artikuliert sich dort gegen Menschen jüdischer Glaubensrichtung und Herkunft.“ |
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| Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik (© imago-images) |
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Soweit, so bekannt. Juden, Schwule und Lesben brauchen längst keine polizeilichen Warnhinweise mehr, wie sie sich im öffentlichen Raum zu verhalten haben – sie wissen besser als die Polizei, welchen Gefahren sie sich aussetzen. Schlimmer ist nur der ehrliche Offenbarungseid der Polizeipräsidentin. Außer dem wohlmeinenden Rat zur Vorsicht steht Barbara Slowik mit klammen Kassen, leeren Händen und viel zu oft ohne politische Rückendeckung da, wenn die Polizei ihre Hoheitsgewalt ausübt. Eine Freundin schickte mir gestern Screenshots einer Whatsapp-Gruppe für in Berlin lebende Juden: „Wenn Ihr in einer Situation seid, aus der Ihr nicht sicher rauskommt, schickt eine Nachricht, und Freunde werden Euch helfen“, heißt es da. Mit den Freunden ist nicht die Polizei gemeint. „Das ist Berlin 2024“, schrieb sie weiter, und berichtet von einer Mischung aus „die haben wirklich gewonnen” und Angst. Das Bitterste sei, dass sie das Gefühl habe, „dass es noch immer die wenigsten checken“. Immerhin: Das Thema kommt – von Ex-SPD-General Kevin Kühnert bis Landwirtschaftsminister Cem Özdemir – endlich in der Breite der Politik an. Doch praktisch ist eher Geld für Lastenfahrrad-Parkplatzschilder da, als für die Sicherheit aller Hauptstadtbewohner. Ist das nur ein Berlin-Phänomen? Oder wie sieht es bei Ihnen aus? Schreiben Sie uns an [email protected] |
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| In der SPD gilt Boris Pistorius vielen inzwischen als erfolgversprechende Alterantive zu Olaf Scholz (Foto, © dpa) |
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Kanzlerkandidatur wackelt - Boris Pistorius in Umfragen vorne |
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Kaum zwei Wochen nach dem Ampel-Aus wachsen in der SPD die Zweifel an Olaf Scholz: Jetzt forderten zwei Bundestagsabgeordnete, lieber mit Boris Pistorius in die vorgezogene Bundestagswahl zu ziehen. Er könne Vertrauen in sich als Person vermitteln, sagte Joe Weingarten. Johannes Arlt bezeichnete ihn als hervorragenden SPD-Kanzlerkandidaten.
Auch die einflussreichen Chefs der NRW-Landesgruppe, Wiebke Esdar (Parteilinke) und Dirk Wiese (Seeheimer Kreis) halten die K-Frage für noch nicht entschieden. Dies müssten die Parteigremien tun. Sie hörten jedoch „viel Zuspruch für Pistorius“. Dieser gibt sich einerseits loyal, schließt aber mit einem Augenzwinkern nur aus, „dass ich noch Papst werde“. Die Kabinettsmitglieder Lauterbach und Faeser sowie Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellten sich hinter Scholz. Ex-Parteichef Walter-Borjans verlangte in der „Rheinischen Post“ eine zügige Klärung und sagte, Merz sei „nur mit einem Kanzler zu verhindern, der auf den letzten Metern die Kraft aufbringt, selbstkritisch und nahbar den Unterschied deutlich zu machen.“ Das sei Scholz‘ schwacher Punkt. Boris Pistorius ist laut Umfragen der beliebteste Politiker in Deutschland, vor Friedrich Merz (auf Platz vier) und vor dem Kanzler, der in der jüngsten Insa-Umfrage für „Bild“ von Platz 19 auf den letzten Platz 20 fiel. Anders als Scholz (24 Prozent) halten die Deutschen Pistorius (75 Prozent) für besonders führungsstark. Außerdem könne er seine Politik gut erklären (74 zu 18 Prozent). Scholz liegt im direkten Vergleich nur in einem Gebiet vorne: Die Deutschen halten ihn für kompetenter in der Wirtschaftspolitik (58 zu 42 Prozent). |
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| Taurus-Marschflugkörper an einem Tornado der Luftwaffe (© dpa) |
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Taurus-Marschflugkörper: Scholz in der Defensive |
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In der Diskussion um die mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine steigt der Druck auf Olaf Scholz. Nach der Freigabe von US-Raketen gegen Ziele in Russland wollen jetzt auch Paris und London den Einsatz von Raketen mit großer Reichweite erlauben. Die britische Premier Keir Starmer sagte gestern auf dem Weg zum G20-Gipfel, er werde in Rio „die Unterstützung für die Ukraine ganz oben“ auf seine Agenda setzen. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot zeigte sich ebenfalls offen für den Einsatz von Raketen mit hoher Reichweite. Die Verwendung des französischen Raketensystems vom Typ Scalp sei „eine Option“. Auch in Deutschland ist die Diskussion über die mögliche Lieferung der Taurus-Marschflugköper an die Ukraine wieder aufgeflammt. Erst am Montag forderte etwa Annalena Baerbock (Grüne), die Ukraine müsse in die Lage versetzt werden, Raketenabschussbasen in Russland zu zerstören. Auch die FDP sprach sich erneut für die Export-Freigabe aus. Mit dem Taurus könnte die Ukraine „russische Nachschublinien und Raketenstellungen zerstören und sich völkerrechtskonform besser verteidigen“, erklärte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link. Scholz zeigte sich davon indes unbeeindruckt: Die jüngste Kursänderung der US-Regierung habe „keine Auswirkungen auf die Entscheidung des Bundeskanzlers, Taurus nicht zu liefern“, sagte ein Regierungssprecher gestern. |
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| Nathanael Liminski (© Ralph Sondermann) |
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Nach Trump-Sieg: Europa droht „rigoser, nationaler Egoismus“ |
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Nordrhein-Westfalens Minister für Internationales, Nathanael Liminski (CDU), warnt angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump vor weitreichenden Folgen für die Beziehungen von Europa zu den USA. Europa müsse sich darauf einstellen, dass „wir erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ohne eine verlässliche amerikanische Sicherheitsgarantie auskommen müssen“, schreibt Liminski im Gastbeitrag für den FOCUS. |
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| Bundesbank-Chef Joachim Nagel (© imago-images) |
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US-Strafzölle: Bundesbank sorgt sich um den Welthandel |
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Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hat angesichts drohender Strafzölle in den USA vor weitreichenden Folgen für den Welthandel gewarnt. Sollte der künftige US-Präsident Donald Trump seine Vorhaben wahrmachen und Zölle auf alle US-Importe verlangen, könne dies „einen bedeutenden Wendepunkt für die internationale Handelsordnung darstellen“, sagte Nagel gestern in Tokio. Zugleich fürchtet die Bundesbank einen erneuten Anstieg der US-Inflation. „Wenn ein Land die Zölle stark erhöht und die betroffenen Länder Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, könnte es zu einem deutlichen Anstieg des Inflationsdrucks kommen“, sagte Nagel. Damit könnte womöglich auch die EZB gezwungen sein, die Zinsen wieder anzuheben, um die Inflation in Schach zu halten. Trump hatte im Wahlkampf zuletzt immer wieder die Einführung eines Basiszolls auf alle Importe angekündigt, zunächst von zehn Prozent, später von 20 Prozent. Auch Einfuhren aus China sollen 60 Prozent fällig werden. Sollte er seine Pläne tatsächlich umsetzen, „könnte uns das in Deutschland ein Prozent der Wirtschaftsleistung kosten“, hatte Nagel unlängst der „Zeit“ gesagt. |
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15.300 neue Wohnungen sind im September in Deutschland genehmigt worden. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Rückgang um rund 23 Prozent. Seit Jahresanfang sind die Baugenehmigungen insgesamt um ein Fünftel auf 157.200 Wohnungen gesunken. Das Ziel von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) von 400.000 Wohnungen pro Jahr wird damit erneut krachend verfehlt. |
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| Organspende: Die Widerspruchslösung beschäftigt den alten und neuen Bundestag (© dpa) |
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Widerspruchslösung erhöht die Zahl der Organspenden nicht |
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In Deutschland gibt es zu wenig Spenderorgane. Hunderte Menschen, die auf Wartelisten stehen, sterben jedes Jahr. Im Juli brachte der Bundesrat daher einen Gesetzentwurf ein: Organspender sollen künftig nicht nur Besitzer von Spendenausweisen sein, sondern jeder, der nicht zu Lebzeiten ausdrücklich der Entnahme seiner Organe widersprochen hat. Trotz Neuwahlen bleibt das Thema aktuell. Doch diese sogenannte Widerspruchslösung führt offenbar nicht automatisch zu mehr Spenderorganen. Das zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Die Wissenschaftler werteten die Daten von fünf Ländern aus, die bereits die Regeländerung vollzogen haben. Weder in Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay oder Wales erhöhte sich dadurch die Zahl der postmortalen Organspenden. Denn: Oftmals setzen Angehörige das mutmaßliche stille Einverständnis außer Kraft, nach dem Tod des möglichen Spenders. Studienleiterin Mattea Dallacker sagt, ohne zusätzliche Aufklärungskampagnen und Investitionen in das Gesundheitswesen bewirke die Abkehr von der Zustimmungslösung wenig: „Es gibt keine einfache Lösung für die komplexe Herausforderung, die Organspendenraten zu erhöhen.“ |
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Gewinner: Finanzminister ist ein harter Job. Das Geld ist praktisch immer knapp, weil die Einnahmen zu niedrig und die Ausgaben zu hoch sind. Kostis Hatzidakis, 59, macht seine Arbeit gerade aber vermutlich ziemlich viel Spaß. Der griechische Finanzminister hat in den vergangenen zehn Monaten ordentlich gespart und einen Haushaltsüberschuss von 6,1 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das ist auch gut für Europa: Die Griechen können die EU-Hilfen jetzt schneller zurückzahlen als gedacht. | |
Verlierer: Eins zu Null für Internetnutzer! Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die von einem Datenleak bei Facebook Betroffenen einen Anspruch auf Entschädigung haben. Für den Mutterkonzern Meta und Vorstandsvorsitzenden Mark Zuckerberg, 40, könnte das ungemütlich werden. Das Grundsatz-Urteil des BGH betrifft sechs Millionen Deutsche. Allerdings müssen sich die Nutzer beeilen. Ihre Ansprüche verjähren zum Jahresende. | |
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… wird die deutsche Liebe zum Bargeld gern belächelt. Nur Höhlenmenschen, so heißt es, lebten noch nach dem Prinzip „Cash is King“. Doch eine Vergleichsstudie der Universität Surrey – durchgeführt in Neuseeland und China – belegt jetzt die Vorteile von Münzen und Scheinen. Studienleiter Dr. Jashim Khan: „Die viszerale Natur von Bargeld – sein Geruch, sein Gefühl und der Akt des Zählens – schafft eine emotionale Verbindung, die bei digitalen Zahlungen fehlt.“ Das bedeute: „Wenn wir mit Bargeld hantieren, geben wir nicht einfach Geld aus; wir geben ein Stück von uns selbst ab.“ | | Zahlen per Smartwatch: bequemer Kontrollverlust (© dpa) | Und das tun wir offenbar zurückhaltender, als wenn wir per Kreditkarte, Smart-Watch oder App zahlen. Denn bei digitaler Zahlungsweise herrsche „weder Verlustangst noch Trauer, sondern eher Kontrollverlust.“ Gerade in der aktuellen Konjunkturflaute heißt das: Wer bar zahlt, spart. Herzliche Grüße | | Tanit Koch |
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