Grenzen: Tusk beschwert sich bei Merz
● Linkspartei: Streit in der Union |
● BMW: Silberstreif trotz Gewinneinbruch |
● Konklave: Kardinäle eingeschlossen |
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Liebe Leserin, Lieber Leser, hinten, kurz vor dem Ausgang, lag das Original von Schindlers Liste. Ich steuerte auf die Glasvitrine zu. „Was für ‘ne Liste?“, fragten die Gymnasiasten, die mich in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem begleitet hatten. „Na, die von Schindler.” Keine Reaktion. „Oskar Schindler. Der Juden vor den Nazis gerettet hat. In seinen Fabriken.” Fragende Teenager-Blicke. „Ihr wisst schon, der Spielberg-Film mit Liam Neeson – den kennt ihr doch!” Ja, von gehört. Gesehen? Noch nicht. Warum ich das erzähle? Weil die aktuelle Debatte um den 8. Mai – Befreiung? Niederlage? Feiertag? Gedenktag? Alles zusammen? – die wichtigste Zielgruppe gar nicht erreicht: junge Menschen. Die Lehrer- und Historikerverbände VGD und VHD berichten übereinstimmend von „Relativierung, Verharmlosung und Leugnung“ der NS-Verbrechen, die „immer öfter“ im Klassenzimmer ankommen. Hitler sei Sozialist gewesen, Polen habe den Krieg provoziert und die Juden seien irgendwie mitschuldig. „Nicht schon wieder Hitler”, wird sowieso gefordert. Das war schon zu meiner Schulzeit in den frühen Neunzigern so – nur dass damals der Geschichtsunterricht nicht dauernd ausfiel. Und dass wir unseren Lehrerinnen und Lehrern noch glaubten: den Fakten, den Quellen, den Zeitzeugen. Weil uns kein soziales Netzwerk im Sekundentakt das Gegenteil erzählte. |
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| So sah es noch drei Jahre nach Kriegsende in Berlin aus: der Große Tiergarten entlang der Charlottenburger Chaussee (heute Straße des 17. Juni) Richtung Brandenburger Tor 1948 (© dpa) |
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Mittlerweile trifft das Lehrpersonal – sofern überhaupt vorhanden – auf wachsende Ablehnung: Was geht mich das an, meine Großeltern kommen gar nicht aus Deutschland. Und: Das ist doch ewig her... Dabei muss sich heute, anders als von Elon Musk kürzlich beklagt, niemand mehr für das schuldig fühlen, was Deutsche ihren Landsleuten und Europa zwischen 1933 und 1945 angetan haben. Man sollte es allerdings wissen. Und nicht den Touristen aus aller Welt überlassen, die in Berlin Mitte nach Original-Einschusslöchern suchen. Die Worte von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 gelten weiterhin: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.” „Nie wieder“ ist nun mal kein KI-Prompt. Gedenken bedeutet auch nicht, in der Vergangenheit zu leben – sondern zu verhindern, dass sie sich wiederholt. Unsere Demokratie lebt von dieser Verantwortung. Und die muss man lernen. Was sind Ihre Gedanken zum 80. Jahrestag des Kriegsendes? Schreiben Sie uns an [email protected] |
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| Merz und Macron: der Beginn einer wunderbaren neuen deutsch-französischen Freundschaft? (© dpa) |
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Merz' erster Arbeitstag: Berlin, Paris, Warschau |
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Umarmung und Rückenklopfen in Paris, Migrations-Ärger in Warschau: Die ersten Antrittsbesuche von Bundeskanzler Friedrich Merz verliefen sehr unterschiedlich. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – mit dem Olaf Scholz nie warm wurde – vereinbarte er einen „Neustart“ für ein stärkeres Europa. Macron sprach vom „deutsch-französischen Reflex“, den beide Länder überall wieder einführen wollten. Zum Beispiel bei der europäischen nuklearen Abschreckung auf der Basis französischer Atomwaffen. Olaf Scholz wollte davon nichts wissen. Merz will jetzt darüber reden. In Polen erntete Merz dagegen wegen der verschärften Grenzkontrollen und mehr Zurückweisungen Widerstand von Ministerpräsident Donald Tusk: „Wenn jemand eine Kontrolle an der polnischen Grenze einführt, wird Polen auch eine solche Kontrolle einführen. Und das ergibt auf lange Sicht einfach keinen Sinn.“ Merz mahnte eine gemeinsame europäische Lösung an, um illegale Migration zu begrenzen. In den vergangenen Jahren hatte die nationalkonservative PiS-Regierung das Verhältnis zu Berlin mit antideutschen Tönen und Reparationsforderungen in Höhe von 1,3 Billionen Euro zerrüttet. Der seit 2023 regierende Tusk hat diese Forderungen nicht mehr thematisiert. Polen wartet aber auf ein Zeichen. Im Juli 2024 hatte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz bei deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Aussicht gestellt, das überlebende Opfer der deutschen Besatzung in Polen während des Zweiten Weltkriegs von der Bundesregierung in Kürze Hilfe erhalten sollen. Seitdem ist jedoch nichts passiert. |
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| Künftiger Umgang mit der Linkspartei? Fraktionschef Jens Spahn (r.) und Kanzleramtsminister Thorsten Frei (M.) sind uneins (© dpa) |
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Union und Linke: Kippt der Unvereinbarkeitsbeschluss? |
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Kann die Union ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei aufrecht erhalten? Darüber entspannt sich derzeit eine Debatte unter dem CDU-Spitzenpersonal. Hintergrund: Ohne Unterstützung der Linken hätte der zweite Kanzlerwahlgang am Dienstag nicht stattfinden können. Die Partei ermöglichte die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Fristverkürzung im Vorfeld der Abstimmung. Dennoch betonen CDU-Fraktionschef Jens Spahn und Generalsekretär Carsten Linnemann, es dürfe weiterhin keine Zusammenarbeit mit der Linken geben. Die Gespräche am Dienstag seien formaler, nicht inhaltlicher Natur gewesen – also kein Verstoß gegen die CDU-Linie, so Spahn. Anders klingt Kanzleramtschef Thorsten Frei. „Wir haben das 2018 als Bundespartei so beschlossen. Und wir werden uns mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie wir in den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag damit umgehen werden”, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Die Linke fordert von der Union, künftig in politische Entscheidungen eingebunden zu werden. „Die CDU versucht durch den Unvereinbarkeitsbeschluss nur die Linke auf eine Stufe mit der AfD zu stellen und sie so zu delegitimieren”, sagt Kiara Welsch, eine Vorsitzende der Linksjugend gegenüber FOCUS. „Dass es eine demokratische Zweidrittel Mehrheit im neuen Bundestag gibt, ist wichtig, um die unsoziale und zukunftsfeindliche Schuldenbremse abzuschaffen.” Auch der frischgewählte SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch verweist auf die laut Koalitionsvertrag geplante Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz: Man werde „natürlich alles daran setzen“, die dafür nötige Zweidrittelmehrheit „mit Stimmen der Grünen und Linken und dieser Koalition“ zu stemmen, sagte er. |
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| Drängt die neue Bundesregierung zu klaren Prioritäten: die Chefin des Sachverständigenrats Wirtschaft, Monika Schnitzer, 63 (© Reuters) |
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Top-Ökonomin Schnitzer: „Renten können nicht mehr so stark steigen wie bisher“ |
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Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat die neue Bundesregierung aufgefordert, schnell Prioritäten zu setzen. Als erstes müsse der Haushalt vorbereitet und verabschiedet werden, sagt Schnitzer dem FOCUS. Auf EU-Ebene müssten zudem die gemeinsame Verteidigung und die Unterstützung der Ukraine verhandelt werden. Drittens erwarteten die Unternehmen im Inland „schnell wirkende Entlastungen“. Dazu gehörten die geplante Absenkung bei Energiesteuer, Netzentgelten und verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten bei Investitionen. Die nötigen Reformen bei Bürokratie, Digitalisierung und Sozialversicherungssystemen seien „dicke Bretter, die im Anschluss“ gebohrt werden müssten, so Schnitzer. Angesichts des demographischen Wandels warnte die Wirtschaftswissenschaftlerin davor, die Rentenreform immer weiter aufzuschieben. Die von der Koalition geplante Garantie der Haltelinie von 48 Prozent bis 2031 werde dazu führen, dass die Beiträge noch stärker steigen und das Rentensystem mit „noch mehr Steuergeldern“ gestützt werden müsse. Dies lähme den Arbeitsmarkt. Außerdem sei im Bundeshaushalt damit weniger Geld für Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung. Um das Rentensystem langfristig zu sichern, plädierte Schnitzer erneut für eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters. Außerdem mahnte sie geringere Rentenerhöhungen an: „Die Renten können nicht mehr so stark steigen wie bisher.“ Sie könnten künftig an die Inflation gekoppelt werden. Derzeit richtet sich die jährliche Rentenerhöhung vor allem nach der Entwicklung der Löhne. (utz) |
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| BMW-Zentrale in München: Der bayerische Autobauer gab gestern Quartalszahlen bekannt und hofft auf weniger US-Gegenwind (© dpa) |
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BMW mit Gewinneinbruch – Konzern hofft auf Zoll-Entspannung |
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BMW ist mit einem deutlichen Gewinnrückgang ins Jahr gestartet. Im ersten Quartal fiel das Ergebnis unterm Strich um gut ein Viertel auf 2,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zur Konkurrenz kamen die Münchner damit aber zuletzt noch einigermaßen glimpflich davon. Beim Erzrivalen Mercedes-Benz hatte sich das Ergebnis nahezu halbiert, bei Audi ging es zuletzt um 14,4 Prozent bergab. Auch BMW kämpft gerade in China mit wachsendem Gegenwind. Dort sackte der Absatz um 17 Prozent ab. In den USA legten die Verkäufe hingegen um vier Prozent zu, in Europa um sechs Prozent. Seit April gelten in den USA Strafzölle von 25 Prozent auf Autos, seit Anfang Mai auch für Autoteile. Allerdings ist US-Präsident Donald Trump den US-Produzenten zuletzt entgegengekommen. Davon profitiere auch BMW, sagte Finanzvorstand Walter Mertl gestern. Das weltweit größte BMW-Werk steht in Spartanburg in South Carolina und produziert vor allem SUV-Modelle. Insgesamt hingen gut 43.000 Arbeitsplätze daran, betonte Zipse. Daher werde BMW in den USA gehört. Mit Blick auf den Zoll-Streit zeigte sich der Konzern gestern überraschend zuversichtlich. Man könne „nicht davon ausgehen, dass die Zölle auf Dauer in Kraft bleiben“, sagte CEO Oliver Zipse. (utz) |
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4000 Jobs hat der Online- und Logistik-Konzern Amazon in Deutschland im vergangenen Jahr aufgebaut, liegt jetzt bei mehr als 40.000 Beschäftigten an 100 Standorten. Damit hat sich die Zahl der fest angestellten Amazon-Mitarbeiter im Vergleich zu Ende 2019 verdoppelt. |
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| Nein, kein gerupftes Huhn am Meeresgrund, sondern ein räuberischer Seestern im Pazifik. Sein Lebensraum ist gefährdet – und unerforscht (© Ocean Exploration Trust/ Nautilus Live, Oregon State University/ Thurber, and NOAA) |
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Die Tiefsee – unendlich unbekannte Weiten |
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Manchmal filmen Unterwasserkameras in der Tiefe der Ozeane bizarre Kreaturen wie leuchtende Haie oder Riesenkalmare. Kürzlich sahen US-Forscher erstmals, wie 2500 Meter tief im Ostpazifik ein Vulkan ausbrach. Am Meeresboden liegen auch die Manganknollen, deren Raubbau US-Präsident Donald Trump per Dekret angeschoben hat – ohne die Folgen zu kennen. Die Tiefsee, eines unserer wichtigsten Ökosysteme, beginnt etwa ab 200 Metern. Sie bedeckt 66 Prozent der Erdoberfläche und dient der Sauerstoffproduktion und Klimaregulierung. Doch sie ist nur zu einem Bruchteil bekannt. Eine jetzt in „Science Advances“ veröffentlichte Studie dokumentiert, dass der Mensch trotz Jahrzehnten der Tiefseeforschung weniger als 0,001 Prozent dieses Meeresteils beobachtet hat – das entspricht etwa einem Zehntel der Fläche Belgiens, so die Wissenschaftler der Organisation Ocean Discovery League. Die Studie basiert auf Daten von rund 44.000 Tiefseetauchgängen in Gewässern von 120 Ländern seit 1958. Sie sei die bislang umfassendste globale Schätzung ihrer Art. „Angesichts zunehmender Bedrohungen für die Tiefsee – vom Klimawandel bis zu Ressourcenausbeutung – wird die eingeschränkte Erforschung einer so riesigen Region zu einem kritischen Problem für Wissenschaft und Politik“, sagte Hauptautorin Katy Croff Bell. (so) |
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| Es gibt harmlose „Memes“, wie dieses hier, und solche, die Vorurteile schüren (© x.com/humornama) |
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Infektionskrankheiten: Stigmatisierung über Social Media |
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Manche Krankheiten eignen sich besonders dazu, Vorurteile zu bedienen. In schlechter Erinnerung sind die scharfen Auseinandersetzungen um Aids in den 80er- und 90er-Jahren. Aktuell fällt Mpox in diese Kategorie. Die auch als „Affenpocken“ bezeichnete Infektion wurde 1970 erstmals bei einem Kind im Kongo nachgewiesen und gilt heute in Teilen Zentral- und Westafrikas als endemisch. In den USA, Europa und anderswo tritt das Leiden, das meist harmloser als Pocken verläuft, eher sporadisch auf. Forscher aus Uganda haben nun Social-Media-Beiträge zu Mpox inhaltlich analysiert und kamen zu dem Schluss: Vier von zehn solcher „Memes“ enthalten falsche Informationen, stigmatisieren Minderheiten – oder tun beides. Zur Zielscheibe werden dabei etwa Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft aus den Endemiegebieten oder solche mit bestimmten sexuellen Vorlieben, da Mpox unter anderem über engen Hautkontakt übertragen wird. (kmm) |
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Gewinner: Friedrich Merz wird ihn beneidet haben. Peter Tschentscher, 59, wurde gestern im ersten Wahlgang als Hamburgs Erster Bürgermeister für weitere fünf Jahre wiedergewählt. Nicht nur seine Koalition stimmte geschlossen für ihn, auch eine Stimme aus der Opposition erhielt der SPD-Politiker. Der Arzt und frühere Finanzsenator Tschentscher hatte die Bürgerschaftswahlen im Februar klar gewonnen und setzt die Koalition mit den Grünen fort. | |
Verlierer: Die umstrittene Formel-1-Größe Flavio Briatore, 75, hat ein Problem im Cockpit. Der verurteilte Rennmanipulator, der gerade erst Alpine-Teamchef wurde, muss nach nur sechs Saisonrennen einen Fahrer austauschen. Der Argentinier Franco Colapinto ersetzt den punktlosen Australier Jack Doohan, hat aber selbst nur fünf Grand Prix, um sich zu beweisen. Es bleibt turbulent. | |
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… ein Tipp für alle, die gern beim Konklave dabei wären: Schauen Sie den gleichnamigen Film! Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki, der seit gestern im Gästehaus Santa Marta hinter versiegelten Fenstern, ohne Tageslicht und Handy die Pausen zwischen den Wahlgängen verbringt, fühlte sich dabei gut unterhalten. Zwar ließ er wissen, dass sich die Realität doch merklich von der Kinofiktion unterscheide – aber das war zu erwarten. Schließlich sitzen Stanley Tucci und Ralph Fiennes nicht wirklich mit ihm in der Sixtinischen Kapelle. | | Vatikanstadt: Ein Monitor zeigt Kardinäle bei einem Gebet in der Sixtinischen Kapelle vorm ersten Wahlgang (© dpa) | „So große emotionale Ausbrüche, wie sie im Film gezeigt werden, gibt es dort nicht“, erklärte der Kardinal. Andererseits – wo Rauch aufsteigt, ist meist auch ein bisschen Feuer. Gestern Abend blieb der Rauch erstmal schwarz. Herzliche Grüße | | Tanit Koch |
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