Über zerstörte Städte, Massengräber, Vergewaltigungen, Hinrichtungen, Angst, Ohnmacht und Verzweiflung. Sie zeigen mit ihrer mutigen und gefährlichen Arbeit in bewundernswerter Weise, was guten Journalismus ausmacht: Hinschauen und dranbleiben. Unsere – übrigens von vielen sehr gelobte – Konferenz ist vorbei, der Krieg aber nicht. Deshalb gilt unser großer Respekt auch weiterhin den Kollegen*innen, die noch immer vor Ort in dieser gefährlichen Mission unterwegs sind, um uns alle zu informieren. Doch „Hinschauen und Dranbleiben“ sollten wir auch bei anderen Themen, die es nicht mehr in die Schlagzeilen schaffen, aber dennoch nicht vergessen werden sollten. Deshalb gab es bei unserer Tagung auch Panels zum irritierenden Schweigen vieler Verlage zum aktuellen Schicksal von Julian Assange, von dessen Enthüllungen einst viele Magazine und Sender profitierten. Oder zur verweifelten Lage vieler Ortskräfte in Afghanistan, deren von der Bundesregierung versprochene Einreise nach Deutschland skandalös verschleppt und verzögert wurde und wird. Oder der immer nur gelegentlich zum Thema werdende Cum-Ex-Skandal, der viele Milliarden Steuerausfälle verursachte, dessen politische Aufbereitung aber auch durch den „Gedächtnisverlust“ des amtierenden Bundeskanzlers zunehmend zur Farce wird. Deshalb sollte unser Respekt auch all jenen Kollegen*innen gelten, die dafür sorgen, dass all diese Themen nicht in Vergessenheit geraten, weil sie eben weiter „hinschauen und dranbleiben“. Ein zweiter Blick auf unseren Konferenzbanner offenbart aber auch, dass „Recherche in Krisenzeiten“ nicht nur für die Kriegsberichterstattung unabdingbar ist. Auf den Hintergrundkacheln sind weitere Krisen erkennbar, die unsere Aufmerksamkeit erfordern: Die Willkür von Despoten, die zunehmende Gefahr durch die Gewalt von Populisten und Rechtsradikalen, das Artensterben, die Anzeichen für die drohende Klimakatastrophe, die Ausbreitung von Seuchen, der Kampf um knapper werdende Energieressourcen oder die (schleichende) Einschränkung, gar Abschaffung der Pressefreiheit in immer mehr Ländern. Doch allein diese (unvollständige) Aufzählung all dieser wichtigen Themen offenbart das Dilemma – für uns, aber auch für viele unserer Leser*innen und Zuschauer*innen. Um sie nicht angesichts der vielen Krisen und Herausforderungen zu überfordern, sollten wir für Orientierung und Einordnung sorgen. Wir liefern – im Idealfall – zuverlässige und kompetente Berichte und Hintergründe über all das, was national oder international geschieht. Relevanz ist dabei das entscheidente Kriterium, nicht die Gier nach vielen Klicks oder hohen Einschaltquoten. Gerade in Zeiten vieler Kriege, Katastrophen und Krisen muss sich seriöser Journalismus definieren als Korrektiv zur unkontrollierten Nachrichtenflut in den (sozialen) Netzwerken. Wo rund um die Uhr durch „Fake News“, verfälschte Videos, inszenierte Kampagnen, plumpe Manipulationen oder interessengesteuerte Propaganda allzu oft die Wahrheit auf der Strecke bleibt. Und wo abstruse Verschwörungstheorien verbreitet werden, wo das Misstrauen gegen die seriösen Medien geschürt, ihnen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Der „Erfolg“ dieser Methoden ist immer häufiger auch auf Demonstrationen (nicht nur in Ostdeutschland) sichtbar: Journalist*innen werden voller Verachtung nicht nur als „Lügenpresse“ beschimpft, sondern immer häufiger auch mit Gewalt attackiert. Aber nach welchen Kriterien entscheiden eigentlich wir, was in unseren Medien gedruckt oder gesendet wird? Was erachten wir als relevant – und was nicht? Wo „schauen wir hin, wo bleiben wir dran“? Denn neben dem derzeit alles beherrschenden Thema des Krieges in der Ukraine und dessen Folgen für uns in Europa und Deutschland gibt es noch andere berichtenswerte Ereignisse: Der Aufstand der mutigen Frauen (und Männer) im Iran und dessen brutale Niederschlagung. Die immer größer werdenden Probleme in immer mehr Krankenhäusern durch den Ausfall vieler Mitarbeiter*innen, die an Corona erkranken. Die Sicherheitsprobleme im Bereich der Infrastruktur bei Behörden und Betrieben. Die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei. Der drohende Konflikt zwischen China und Taiwan mit all seinen Folgen auch für unsere Wirtschaft. Die Naturkatastrophen in Pakistan und Nigeria, die Millionen von Menschen in den überschwemmten Gebieten ihrer Existenz beraubten. Der Bürgerkrieg in der Region Tigray in Äthiopien mit jetzt schon zehntausenden Toten. Die immer dramatischer werdenden Hungersnöte in vielen Ländern (nicht nur) in Afrika. Die unmittelbar bevorstehende Fußball-WM in Katar unter den Augen der korrupten FIFA. Die immer klarer erkennbaren Belege für die drohende Klimakatastrophe… Die Auflistung ist längst nicht vollständig, lässt sich um viele Krisen und Herausforderungen verlängern. Sicher, über all das wurde und wird berichtet. Aber wie ausführlich und an welcher Stelle – prominent oder versteckt – entscheidet jede Redaktion nach ihren eigenen Relevanz-Kriterien. Da darf es weder eine einheitliche Regel noch eine verbindliche Vorgabe geben. Denn diese Freiheit ist elementarer Bestandteil unserer Pressefreiheit. Alle sollten sich aber ihrer Verantwortung für dieses Privileg bewusst sein. Und sich (nicht nur) in diesen gerade so aufregenden und aufwühlenden Zeiten das Motto unserer Jahrestagung zu Herzen nehmen: „Hinschauen und dranbleiben“. Es grüßen Kuno Haberbusch, Albrecht Ude |