ich gebe zu: Ich war lange nicht mehr in der Kirche. Der Glaube an Übernatürliches ist nicht meins. Und inhaltlich stimme ich zwar vielen grundsätzlichen Thesen des Christentums ganz entschieden zu, der Reiz der ritualisierten Erinnerung an sie, die sprichwörtliche „Predigt zum Chor“, meist frühmorgens, erschließt sich mir nicht. Dem Gottesdienst in der National Cathedral in Washington aber wohnte gestern ein bemerkenswerter Zauber inne, das zeigen Videomitschnitte, die dazu im Internet kursieren. Und das lag an Bischöfin Mariann Edgar Budde, die dem neuen US-Präsidenten am Tag nach seiner Amtseinführung dessen Meinung nach Ungeheuerliches angetan hatte: Sie hatte ihn am Ende ihrer Predigt um Erbarmen und Mitgefühl gebeten. Budde wandte sich im ruhigen Ton „im Namen unseres Gottes“ mit der für Christen eigentlich nicht sonderlich exotischen Botschaft, die Würde aller Menschen zu wahren, direkt an Trump. Und dessen Blick und die Blicke seiner Entourage dazu sprechen Bände ...
Trump nannte die 65-Jährige später „eine radikale Linke“ und forderte eine Entschuldigung. Der republikanische Politiker Mike Collins forderte gar, „die Person, die diese Predigt gehalten halt, sollte auf die Abschiebungsliste gesetzt werden.“ Halleluja.
Der Sturm, der die Bischöfin daraufhin jetzt trifft, wird für sie absehbar gewesen sein. Umso ehrenwerter, dass sie tat, was ihr Job von ihr verlangt.
Ein bisschen beseelt davon, wünsche ich Ihnen einen wunderbaren Donnerstag!
Maik Koltermann
[email protected]