Laden...
|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 19.03.2020 | Bewölkt, max. 12 °C. | ||
+ Merkels Corona-Appell: „Nehmen Sie es ernst!“ + Regierender nun auch in Quarantäne + Berliner Verwaltung fliegt gerne Inland + |
von Lorenz Maroldt |
|
Guten Morgen, das war gestern ein ganz schlechter Tag – als entspringe Corona einem Märchen der Gebrüder Grimm, hatte sich SARS-CoV-2 als herrlichstes Frühlingswetter verkleidet. Die unsichtbare Gefahr lockte viele Leute verführerisch strahlend nach draußen: aufs Tempelhofer Feld, auf den Hermannplatz, in den Park am Gleisdreieck – überall waren Menschengruppen zu sehen, eng beieinander auf den Wiesen, dicht an dicht in den noch offenen Cafés. Als hätte es keine Warnungen und Appelle gegeben. Doch die erschreckende Prognose des Robert-Koch-Instituts ist nicht Teil einer Fantasy-Serie, die sich je nach Gemütslage abschalten lässt, sondern simple Mathematik: Zehn Millionen Infizierte könnte es in zwei bis drei Monaten deutschlandweit geben – das wären zu schnell zu viele, um die ernsthaft Erkrankten versorgen zu können. „Versammeln Sie sich nicht, bleiben Sie zuhause“, bat deshalb noch einmal flehentlich RKI-Präsident Lothar Wieler – in den Berliner Bluetooth-Boxen kam das nicht mal als Störgeräusch an. Auch der NDR-Podcast mit dem Virologen Christian Drosten schaffte es offenbar nicht in die Playlists der Parks – der Charité-Professor sagte gestern: „Es wird wirklich schlimm kommen“, und mit Blick auf eine Studie aus England: „Die Aussichten sind wirklich verzweifelnd.“ | |||||
|
Angela Merkel mahnte am Abend in einer dramatischen TV-Ansprache: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Und weiter: „Ich appelliere an Sie: Halten Sie sich an die Regeln, die nun für die nächste Zeit gelten. Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen. Dass wir diese Krise überwinden werden, dessen bin ich vollkommen sicher. Aber wie hoch werden die Opfer sein? Wie viele geliebte Menschen werden wir verlieren? Wir haben es zu einem großen Teil selbst in der Hand." Nie zuvor war Merkel so zu hören. Es ist auch ein letzter Versuch, mit einem Appell noch zu verhindern, was anderswo bereits gilt: eine Ausgangssperre. | |||||
|
|
Autoritarismus und Anarchie geben in der Krise einander die Hand – hoffen wir, dass dabei kein schwerwiegender Defekt auf die Gesellschaft übertragen wird. Politik und Verwaltung stehen auch in Berlin vor Herausforderungen, für die es keine Blaupause gibt. Die Aufgabe wird jeden Tag größer, die Koordination schwieriger, gewohnte Strukturen lösen sich auf. Vieles erinnert an die Vereinigung der beiden Stadthälften, auch dafür konnte niemand üben: Learning by doing, damals wie heute, jeder Schritt Wagnis und Notwendigkeit zugleich, Politik als Experiment mit ungewissem Ausgang – mit drei gravierenden Unterschieden: 1) Diesmal geht es um Leben und Tod. 2) Zeit ist heute nicht Geld, sondern Gesundheit. 3) Es gibt viel zu verlieren. | |||||
|
Zu den Verlierern zählt die Kultur. „Kultur ist systemrelevant“, sagt Kultursenator Klaus Lederer – und für Berlin gilt das absolut. Während in den Wirren der Wendezeit die Kreativität auf einzigartige Weise erblühte, droht Covid-19 sie jetzt zu ersticken: Von einem Tag auf den nächsten entzieht das Virus Tausenden (Überlebens-)Künstlern die Existenzgrundlage. „Das Coronavirus ist auch ein Angriff auf ein Lebensmodell, es trifft Leute, denen es nicht ums große Geld geht, sondern um ihre Ideen und deren Verwirklichung“, schreiben heute Werner van Bebber und Barbara Nolte im Tagesspiegel – so ist es. Vom Senat gibt es Nothilfen, Überbrückungskredite, Steuerstundungen, aber jetzt sind alle Berlinerinnen und Berliner gefragt: Welche Ideen haben wir, denjenigen zu helfen, die unsere Stadt so besonders, so anders, so lebenswert machen? Wie schaffen wir es, dass wir auch nach Corona das Konzert, die Kleinkunstbühne, das Kiezkino, die Galerie, das Theater, die Bar besuchen können? Wie können wir diejenigen retten, die auch uns schon so oft gerettet haben, und sei es vor der Langeweile? Wir sammeln hier ab sofort Vorschläge, an ein paar Ideen arbeiten wir auch schon – die Adresse: [email protected]. Support your local Artist, Barkeeper, Barista! Bedroht von der Corona-Krise sind viele – gerade auch wirtschaftlich. Nicht wenige werden schon bald ihre Mieten nicht mehr zahlen können. Bei aller gebotenen körperlichen Distanz („soziale Distanz“ könnte als Wort kaum falscher und fataler sein): Jetzt ist der Moment, in dem Vermieter und Mieter aufeinander zugehen sollten (sinnbildlich!), in aller Offenheit über ihre jeweilige Situation. In der Not zusammenhalten: Das hat Berlin schon immer gut gekonnt. Zeigen wir, dass es noch geht. | |||||
|
Der Senat stellt von heute an Liquiditätshilfen bereit bis zu 200 Millionen Euro insgesamt. Informationen für betroffene Unternehmen bieten ab sofort die Berliner Fördergesellschaften – telefonisch und auf ihren Webseiten: Berlin-Partner: 030 46302 440 bzw. https://www.berlin-partner.de/ IBB: 030 2125 4747 und https://www.ibb.de/de/startseite/startseite.html visitBerlin: 030 264748 886 oder https://www.visitberlin.de/de | |||||
|
Nochmal zurück zu Klaus Lederer, der in diesen Tagen mit schneller und direkter Kommunikation auch die Diskussionskultur im Netz auf hohem Niveau hält: „Davon, dass uns alle erklären, wie doof wir sind, werden wir nicht schneller dabei, zusätzliche, auch Zuschussmaßnahmen, zu erarbeiten“, kontert er zurecht Beschwerden und bittet um mehr Verständnis: „Vielleicht können sich alle mal ausmalen, wie es gerade so läuft bei der Vielzahl an dringlich zu regelnden Dingen bei einer Verwaltung, die genauso von der Krise betroffen ist wie alle anderen. Wir arbeiten mit Feuereifer!“ Der Senat ist also auf der angemessenen Betriebstemperatur angekommen – aber die strukturellen berlintypischen Probleme schaukeln sich gerade in der Krise hoch, Beispiel Spielplätze: Hier war der Senat der Schließungsempfehlung des Bundes nicht gefolgt (Lederer: „Weil in der Großstadt nicht jedes Haus einen Garten hat und Kinder in kleinen Wohnungen nach Wochen einfach krank werden“), aber fünf Bezirke machten dennoch dicht – völlig überraschend hielten sich viele Kinder nicht an den Ratschlag der Gesundheitssenatorin, beim Spielen auf Distanz zueinander zu gehen. Tja. Der Regierende Bürgermeister hatte in der vergangenen Woche erste Corona-Maßnahmen hinausgezögert, weil er ein einheitliches Handeln der Länder wollte – jetzt konnte er nicht mal im eigenen Gärtchen föderalen Wildwuchs verhindern. Eine Mail des unter Quarantäne stehenden Mitte-Bürgermeisters Stephan von Dassel an seine elf Kolleginnen und Kollegen verdeutlicht das Dilemma – hier ein Auszug: „Faktisch können wir uns ja nur zwischen Pest und Cholera entscheiden, ich halte die Offenhaltung nach wie vor für richtig, einheitliches Handeln aber für noch wichtiger. Aus virologischer Sicht haben die Schließungsbefürworter sicherlich Recht, hier wäre die vollständige Quarantäne aller Bürger*innen für mehrere Wochen das Beste. Aber wir haben wirkliche tausende Familien in unserem Bezirk, bei denen mir Angst und Bange wird, wenn diese über längere Zeit in ihren oftmals ja beengten Wohnungen bleiben (…). Und aus meiner Sicht müssen wir das öffentliche Leben so organisieren, dass diese Regeln dann auch für mehrere Wochen durchhalt- und der Bevölkerung vermittelbar sind. Regeln, an die sich niemand hält oder die nur mit Polizeigewalt durchzusetzen sind, helfen niemand.“ Und hier die Antwort von Helmut Kleebank aus Spandau (Auszüge): „Spandau folgt damit der Linie der Bundesregierung und auch dem Sinn nach den bisherigen Maßnahmen des Landes Berlin, nämlich Sozialkontakte möglichst zu vermeiden und Veranstaltungen zu unterbinden. Dem Virus ist es nämlich egal, ob wir die Begegnung von Menschen eine Veranstaltung nennen oder nicht. Faktisch sehen wir aber Spielplätze mit Dutzenden von Kindern samt Eltern, die quasi permanent direkten Kontakt miteinander haben. Wenn wir die Spielplätze offenlassen, verlegen wir also die Übertragung von den mittlerweile geschlossenen Kitas und Schulen auf die Spielplätze. (…) Nicht Spandau hat die einheitliche Linie verlassen, sondern der Senat ist der mit der Bundeskanzlerin verabredeten Linie nicht gefolgt. Wieso stimmt Berlin dieser Verabredung erst zu, setzt sie dann aber nicht um?“ | |||||
|
Gute Frage. Wir könnten versuchen, den Regierenden Bürgermeister zu fragen, aber Michael Müller ist jetzt auch in Quarantäne, und das kam so: Am Nachmittag teilte die Senatskanzleiüber den offiziellen Twitter-Account des Regierenden Bürgermeistersmit: „Berlin und Brandenburg haben bei einer Sondersitzung über ein gemeinsames Vorgehen beim Umgang mit dem Coronavirus gesprochen. Beide Länder sind in dieser Krisenzeit nochmal enger zusammengerückt. Die intensive Zusammenarbeit ist wichtig, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.“ „Enger zusammengerückt“ ist hier wörtlich zu verstehen – die dazu verbreiteten Bilder zeigen Michael Müller und Ministerpräsident Dietmar Woidke jedenfalls recht nah beieinander. Etwa zur gleichen Zeit verschickte Parlamentspräsident Ralf Wieland eine Mail an alle Berliner Angeordneten, die Botschaft: Der israelische Botschafter wurde positiv getestet – am 9. März hatte Jeremy Issacharoff an einer Veranstaltung zu Ehren von Margot Friedländer teilgenommen, unter den 140 Gästen waren viele Abgeordnete, die Plenarsitzung am heutigen Donnerstag wurde deshalb abgesagt. Auch Michael Müller war am 9.3. dabei – eine direkte Infektion ist zwar wegen des zeitlichen Ablaufs eher unwahrscheinlich, aber der Regierende Bürgermeister begab sich gestern am späten Nachmittag ebenfalls für mindestens vier Tage in Quarantäne. Offiziell (z.B. über Twitter) erfuhren die Berlinerinnen und Berliner davon allerdings bis heute früh nichts – auch nicht auf der Website der Senatskanzlei, wo alle Pressemitteilungen veröffentlicht werden. | |||||
|
Die geplante Notklinik auf dem Messegelände für leichte und schwere Corona-Fälle will Projektleiter Albrecht Broemme noch im April in Betrieb nehmen – zur Ausstattung sagte der frühere Feuerwehrchef gestern Abend im „rbb“ allerdings vage: „Die Beschaffung ist eingeleitet.“ Doch nach Checkpoint-Informationen könnte sich die Lieferung von dringend benötigten Beatmungsgeräten in höherer Stückzahl noch Monate hinziehen – in Berliner Kliniken ist von massiven Engpässen die Rede. Bei Marktführer Dräger, der auf Materialzulieferungen angewiesen ist, soll die Wartezeit 32 Wochen betragen. | |||||
|
Berlin ist und bleibt eine der internationalsten Städte der Welt – die englischsprachige Community ist riesengroß. Ab sofort gibt es den Checkpoint deshalb auch tagesaktuell in einer englischen Fassung – mit allen Corona-News und den wichtigsten Berlin-Nachrichten, frei auf der Tagesspiegel-Website. Er erscheint hier unter diesem Link an jedem Vormittag. Wenn Sie Freunde, Bekannte, Kommilitoninnen oder Kolleginnen haben, die sich dafür interessieren könnten, würden wir uns über eine Empfehlung sehr freuen. | |||||
|
|
|
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||
|
| ||||||
| ||||||
|
| |||
|
| ||||||
| ||||||
| ||||||
|
| ||||
|
| ||||||
| ||||||
| ||||||
| ||||
| ||||
| ||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||||
| |||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Laden...
Laden...