  | | |  | | 24. März 2024 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| |  | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | Ostern ist das Fest der Auferstehung vom Tod. Gelegentlich fällt mir dazu ein Spruch meiner GroÃmutter ein, die über Tod und Auferstehung wie folgt philosophierte: âDie Seele schwingt sich in die Höh, der Leib bleibt auf dem Kanapee.â Das Schmunzeln darüber ist mir vergangen. Ich habe in den vergangenen drei Monaten drei Menschen zu Grabe getragen, die mir sehr nahestanden. Da steht man dann am Friedhof und hört die Formeln: âZum Paradies mögen Engel dich geleiten.â Man hört âVon der Erde bist du genommen und zu der Erde kehrst du zurück.â Und man hört auch âDer Herr aber wird dich auferwecken.â Man hört es, aber hört man auch zu? Und wenn man zuhört, glaubt man das? Manchmal möchte man es, vor allem dann, wenn der Tod besonders tragisch, besonders elend war und man sich beim besten Willen nicht damit abfinden kann und will. In Berlin bin ich an einem kleinen gelben Literaturblech vorbeigekommen; darauf steht diese todesverachtende Tirade von Bazon Brock: âDer Tod muà abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muà aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.â Kein Trost, stattdessen die Abschaffung des Todes. Es ist mehr als tollkühn, darauf zu hoffen.
Ostern feiert solche Tollkühnheit. Jesus, von seinen Anhängern für den Messias gehalten, wird von den römischen Behörden als politischer Umstürzler hingerichtet. Seine Jünger erzählen davon, dass er ihnen auf wundersame Weise erschienen sei, einzelnen und auch mehreren auf einmal; er ist gleichzeitig hier und dort. Die Gesetze von Raum und Zeit sind auÃer Kraft. Er taucht wie aus dem Nichts leibhaftig auf. Die Jünger verlieren die Angst vor dem Tod und behaupten, sie würden einst auferstehen wie er. Wenn es sein muss, dann gehen sie selbstbewusst ins Martyrium und lassen sich lieber umbringen als von ihrem Glauben an ihn zu lassen.
Rätsel? Mysterium!
Für Nichtchristen klingt das alles wie ein Drehbuch von einem Science-Fiction-Film. Die Geschichten von der Auferstehung des Jesus sind ihnen ein Rätsel. Sie enträtseln es, indem sie es als Einbildung oder Gruppenwahn abhaken oder es dem überholten magischen Weltbild zuschreiben. Gläubigen Menschen ist die Auferstehung kein Rätsel, sondern ein Mysterium. Ein Rätsel löst man. Ein Mysterium ist unlösbar. Es offenbart sich einem und dann verhüllt es sich wieder. Mit einem Rätsel ist man fertig, wenn man es gelöst hat. Mit einem Mysterium ist man nie fertig. Die groÃen Fragen des Lebens gehören zur Kategorie des Mysteriums: Wofür lebe ich? Warum leide ich? Wie halte ich dem Tod stand? Was ist Liebe? Wo finde ich Vergebung? Was darf ich hoffen? Es sind dies keine Fragen, die ein für alle Mal gelöst und beantwortet werden könnten. Sie begleiten einen aber bis in den Tod. Und vielleicht sind sie eben deshalb die wichtigsten Fragen. Sie müssen gestellt werden, obwohl und weil sie nicht gelöst werden. Sie wollen gelebt werden.
Am Grab ist es ein Trost, wenn der Verstorbene ein langes und erfülltes Leben hatte und nichts mehr aussteht. Mehr braucht man vielleicht gar nicht, um akzeptieren zu können, dass das Leben ein Ende hat. Aber das ist nicht jedem gegeben. Und so bleibt da, wo der Glaube an die Auferstehung fehlt, eine melancholische Leere, manchmal sogar mächtige Bitternis; und oft jedenfalls ein Moment des Bedauerns über den Verlust der tollkühnen und tröstenden Hoffnung an ein ewiges Leben, das mit dem Ende des irdischen Lebens beginnt. Der Geburt folgt das Leben; dem Tod folgt â nichts? Wenn der überirdische Trost fehlt, was bleibt dann? Es bleiben dann Erinnerung und Dankbarkeit. Sie sind der Zipfel Transzendenz, der es vermag, Raum und Zeit zu überwinden. Wahre Erinnerung ist mehr als ein âDenken anâ. Sie vergegenwärtigt den Menschen, der war und nicht mehr ist. Sie macht ihn anwesend, sie macht ihn präsent: sein Gesicht, seine Stimme, seine Gegenwart. Auch das ist Leben nach dem Tod. Und ein Trost immerhin, der kein Verrat ist.
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|  |  | Prantls Blick |
| An Ostern stellen sich die groÃen Fragen des Lebens | | |
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| Ich wünsche Ihnen gute Ostergedanken.
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | Alles gut | | Eigentlich ist es unanständig, das Ende eines Buches zu verraten, aber in diesem Fall nicht. Helga Schuberts Buch âVom Aufstehenâ endet so: âAlles gut.â Es ist ein Buch voll zarter und warmer Poesie, Ehrlichkeit und Lebensweisheit. Ich empfehle Ihnen die Lektüre zu Ostern; Ostern ist das âAlles-gut-Festâ, das Fest, das âvom Aufstehenâ handelt. âEin Leben in Geschichtenâ lautet der Untertitel des Buches. Es ist nicht irgendein Leben, es ist Helga Schuberts Leben, und in dem war, als es begann, nicht viel gut, gar nichts eigentlich. Helga Schubert lässt uns an ihrer Geschichte teilhaben. Geschrieben hat sie dieses Buch, da war sie am Ende des achten Lebensjahrzehnts und ihre Mutter war soeben gestorben: âWir wollen doch noch ein bisschen leben, sagte meine Mutter zu mir, als sie mit hunderteins auf der Intensivstation lag.â
Es ist dies der Moment im Schlusskapitel des Buches, da man die Luft anhält, wenn die Tochter wie beiläufig und umso eindringlicher von der ersten und einzigen liebevollen Geste der Mutter berichtet. âSie drückte meine Hand zweieinhalb Stunden fest. Und sprach ununterbrochen, vieles verstand ich nicht, so leise und monoton: Ich habe drei Heldentaten vollbracht, die dich betrafen. Erstens: Ich habe dich nicht abgetrieben, obwohl dein Vater das wollte. (...) Zweitens: Ich habe dich bei der Flucht aus Hinterpommern bis zur Erschöpfung in einem dreirädrigen Kinderwagen im Treck bis Greifswald geschoben, und drittens: Ich habe dich nicht vergiftet oder erschossen, als die Russen in Greifswald einmarschierten.â Das ist eine der Geschichten, die Helga Schubert zu erzählen hat, Geschichten vom Aufstehen aus dem lieblosen Kriegskind-Schicksal, der Annäherung an ihre Mutter und der Versöhnung mit sich selbst. Alles gut. Das Buch ist bereits im Jahr 2021 als Hardcover erschienen und 2022 als Taschenbuch. 2024 ist es mein und vielleicht auch Ihr Osterbuch.
Helga Schubert: Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten, erschienen bei dtv München 2022. Das Taschenbuch hat 224 Seiten und kostet 13 Euro.
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| | | Ketzer und Verketzerte | | Diese beiden Interviews aus der Wochenendausgabe der SZ gehören zusammen, man muss sie nacheinander und dann noch einmal miteinander lesen: Zum einen das Interview mit dem zu Unrecht verketzerten SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der darüber nachgedacht hat, den Ukraine-Krieg âeinzufrierenâ. Zum anderen das Interview mit dem Schriftsteller Eugen Ruge, der es âangesichts von Zigtausenden von Totenâ als bedrückend empfindet, âwelche Empörung allein der Vorschlag auslöstâ.
Ruge, ein international höchst erfolgreicher Autor, ist in Sibirien geboren, sein Vater war dorthin von Stalin verbannt worden, seine Mutter ist Russin. Er konstatiert eine schier ver-rückte Gesprächsatmosphäre: âWenn der Papst â vielleicht ungeschickt â Verhandlungen anregt, fällt man über ihn her, als hätte er für Mord und Totschlag plädiert.â
Rolf Mützenich legt im SZ-Gespräch dar, dass Friedens- und Konfliktforschung sein Lebensthema ist und warum er Diplomatie für so wichtig hält. Er ist ein nachdenklicher, uneitler und bescheidener Mann, zu dessen Grundüberzeugungen es gehört, dass die Welt am Ende nur sicherer wird, wenn alle Atomwaffen aus ihr verschwunden sind. Als Titel steht über dem Interview mit ihm: âIch bin kein Russlandversteherâ â wohl auch deshalb, weil das Wort mittlerweile so gebraucht wird, als bedeute es die Billigung von Straftaten.
Ruge meint im SZ-Gespräch freilich, es könne doch nicht falsch sein, âdie Dinge in ihrem Widerspruch zu begreifen, Interessen zu erkennen, den Konflikt in seiner Entwicklung zu verstehen, anstatt Russland einfach zum groÃen Bösen zu erklären.â Das Nachdenken auch darüber schadet nichts.
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|  |  | Schriftsteller Eugen Ruge |
| âMan riskiert, dem Reich des Bösen zugeschlagen zu werdenâ | | |
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|  |  | SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich |
| "Ich bin kein Russlandversteher" | | |
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