wir Deutschen, heißt es, haben einen Mutterkomplex. Mutti ist bei uns nicht nur die Beste, Mutti ist auch die einzig und unersetzliche Geliebte des Kindes, die Wächterin von Reinheit und Redlichkeit sowie die Obfrau über jegliche Idyllen. Daran scheint sich auch 200 Jahre nach dem ersten zaghaften Aufblühen der Frauenemanzipation im Wesentlichen nichts verändert zu haben. Was muss das auch für ein wirkmächtiger Ödipuskonflikt sein, der bei uns Deutschen noch immer dazu führt, dass uns beim Gedanken an die Frau im Kanzleramt nichts Besseres einfällt als der Code-Name „Mutti“. Kein Wunder, dass wir da dieser Tage verächtlich die Nase rümpfen, wenn wir einmal von uns selbst absehen und zu unseren britischen Nachbarn hinüberschauen müssen. Nach dem Debakel um den EU-Austritt nämlich wollen die Nestflüchter von der Insel nun auch noch aus der heiligen Mutterschaft ausscheren. Und das erste Opfer: Ausgerechnet das Mark und der Lebenssaft der deutschen Neurose. Ginge es nämlich nach dem Willen einiger Hebammen und Entbindungspfleger an britischen Universitätskliniken, dann würde der fortan nicht mehr „Muttermilch“, sondern „Menschenmilch“ oder „Milch des stillenden Elternteils“ heißen. Kein Scherz. Laut Recherchen der Londoner Tageszeitung The Times reicht der Wille zur Abnabelung in Großbritannien längst sogar so weit, dass man künftig nicht mehr „die Brust geben“ („Breastfeeding“), sondern zum „Brustkorb-Füttern“ („Chestfeeding“) übergehen will. Diese neue Wortwahl soll inklusiv sein und stillende Transmänner sowie „Co-Elternteile“ mit Baby einschließen. Das Impfdilemma Gut, dass wir beim Cicero noch immer um andere Sorgen wissen. Da ist zum Beispiel das Impfdilemma. Laut einer Meldung des israelischen Gesundheitsministeriums soll der Impfstoff von Biontec/Pfizer die Ansteckungsgefahr anderer Personen um 90 Prozent reduzieren. Was hinter dieser Meldung steckt, erklärt Israel-Korrespondentin Mareike Enghusen. Und auch der Weg aus dem Lockdown ist allein mit Sprach- und Symbolpolitik noch nicht beschrieben. Detlef Wagner, Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit im Berliner Stadtteil Charlottenburg-Wilmersdorf, erklärt im Cicero-Interview, warum er und viele seiner Kollegen mittlerweile der Meinung sind, dass ein starres Festhalten an der Inzidenz als alleinigem Richtwert nicht angemessen ist. Diese lesenswerten Artikel sind übrigens für Mutti, Vati und all die anderen Co-Elternteile auch. Mamma mia, wo man heutzutage alles drauf achten muss! Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |