Bis Ende letzten Jahres kam der Großteil des Erdgases aus Russland und über Pipelines. Die sind teuer in der einmaligen Erstellung, aber im Betrieb dann vergleichsweise günstig. Die Alternative ist der Transport mittels Schiffen – da diese aber nur geringe Mengen von Erdgas fassen können, lohnt sich der Aufwand nur, wenn man das Erdgas zu LNG macht: Liquefied Natural Gas. LNG entsteht durch das Herunterkühlen des Erdgases auf -161 bis -164 Grad Celsius, wobei es verflüssigt wird und auf ein 600-stel seines gasförmigen Volumens schrumpft. Damit wird das Volumenproblem gelöst, während eine dauerhafte Kühlkette sichergestellt werden muss – bis zum Bestimmungsort. Und da man mit LNG selbst wenig anfangen kann, muss es dort in speziellen Aufbereitungs-Stationen wieder in seine ursprüngliche Form und damit Erdgas zurückverwandelt werden (sog. „Regasifizierung“). Das ganze Verfahren ist energieintensiv, zeitaufwändig und teuer. Deshalb spielte LNG bei uns keine Rolle; es kostete ein Vielfaches des russischen Erdgases. Doch das hat sich mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine und dem Wirtschaftskrieg zwischen Russland und der EU (Wirtschafts-Sanktionen auf der einen Seite, Energie-Verknappung auf der anderen Seite) umgekehrt. Die Gas-Preise in Europa steigen ungebremst und haben sich in diesem Jahr bereits vervielfacht. Dafür ist nicht nur der politische Wunsch der Bundesregierung, so schnell und so konsequent wie möglich auf russisches Erdgas zu verzichten, verantwortlich. Putin hat auch mehrfach die Leistung der Pipelines gedrosselt (Deutschland trifft vor allem das Abdrehen von Nordstream 1), so dass unsere Gas-Speicher für den nahenden Winter kaum gefüllt waren. Also wird nun seit Wochen auf Deibel komm raus „eingespeichert“. Und zwar aus anderen als den russischen Quellen. Deutschland kauft den Weltmarkt leer und treibt damit die Preise massiv in die Höhe. Und dann kommen uns auch noch die Franzosen in die Quere. Die brauchen nicht viel Gas, denn unsere westlichen Nachbarn setzten auf Stromheizungen und die gewaltigen Strommengen werden zum Großteil in Atomkraftwerken produziert. Bundeswirtschaftsmister Habeck lehnt den Weiterbetrieb der letzten deutschen Atomkraftwerke ab, weil „wir kein Stromproblem haben“. Aber das ist nicht mal die halbe Wahrheit. Denn die französischen AKWs liegen mehrheitlich brach. Sie sind überdurchschnittlich alt und damit besonders störanfällig. Also müssen sie häufiger gewartet werden. Und es sind zusätzlich bei einigen Reaktortypen Probleme aufgetaucht, die behoben werden müssen. Das wirkt sich teilweise auch auf andere AKWs gleichen Typs aus, die aus Sicherheitsgründen dann ebenfalls runtergefahren wurden. Im Ergebnis produziert Frankreich viel zu wenig Strom und exportiert nun nicht Strom in andere Länder, wie im Normalfall nach Deutschland, sondern kauft am europäischen Strom-Markt gigantische Mengen Strom an. Dieser Strom fehlt nun andernorts und muss produziert werden. In Deutschland – festhalten – laufen daher die Gaskraftwerke bis zum Anschlag und produzieren Strom. Wir sparen also kein Gas, sondern wir verbrauchen auf Höchstniveau. Um Strom (für Frankreich) zu produzieren. Und das, während wir fast kein Gas mehr aus Russland bekommen, sondern es teuer auf dem Weltmarkt kaufen. Tagesaktuell zu den ohnehin extrem teuren Spotmarkt-Preisen! Habecks Aussage, wir hätten kein Stromproblem und bräuchten deshalb die AKWs nicht, ist daher eine Falschaussage. Sie stimmt nur auf den ersten Metern, aber im größeren Kontext entpuppt sie sich als dogmatisch-politisch motivierte Totschlags-Argumentation. Nachvollziehbar, weil ein grüner Minister und Vize-Bundeskanzler kaum pro Atomstrom eintreten kann. Aber dann soll Habeck auch das Rückgrat haben und den Deutschen reinen Wein einschenken: Die aktuellen Extrempreise für Gas und Strom sind überwiegend politisch motiviert und hausgemacht. Trotzdem sind sie ja Realität und die Wirtschaft und die Bürger müssen damit irgendwie klarkommen. Und die aktuelle Lage ändert auch nichts daran, dass wir langfristig weniger fossile Brennstoffe verteuern müssen, um die Klimaziele auch nur halbwegs erreichen zu können, und dass wir uns von russischen Energiequellen trennen müssen. Dummerweise ist Russland nicht nur bei Erdgas und Erdöl einer der weltgrößten Produzenten, sondern auch bei Kohle und Uran. Alternativen sind daher nicht ohne größeren Aufwand und Kosten zu bekommen, jedenfalls nicht in den Mengen, die wir benötigen. LNG als Alternative Das bringt uns zurück zum LNG. Das ist keine Alternative in dem Sinn, dass es russisches Erdgas vollständig ersetzen könnte. Rein mengenmäßig schon mal nicht. Aber es ist ein Teil der möglichen Lösung. Denn während wir den Gas-Verbrauch deutlich senken wollen, muss ja immer noch „anderes“ Gas als das russische in unsere Speicher und Pipelines strömen. Kanada produziert gehörige Mengen an LNG, allerdings ganz überwiegend an seiner Westküste und damit für den asiatischen Markt. Katar ist ein weiterer großer Produzent mit einem großen Vorkommen; auf diese neue Verbindung setzt die Bundesregierung. Doch damit ersetzen wir einen „lupenreinen“ Demokraten, wie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mal Putin bezeichnet hat, durch ein anderes totalitäres Regime, mit dem wir bzgl. der umfangreichen Menschenrechtsverletzungen über Kreuz liegen. Und auch die Export-Nationen aus dem westlichen Afrika gehören zu den nicht unbedingt stabilen und konfliktfreien Regionen des Kontinents. Also liegt unsere Hoffnung – mal wieder – auf den USA. Dort wird von der Fracking-Industrie viel Erdgas aus dem Schiefergestein gepresst und über Pipelines und auf Zügen an die Ostküste gebracht, wo es das größte US-Terminal für den LNG-Export gibt, über das rund 80% der Exporte abgewickelt werden. Wenn es nicht, wie zurzeit, wegen eines Feuers nur mit eingeschränkter Kapazität arbeiten kann. Aber die Lieferanten sind wieder nur die eine Seite der Medaille. Denn das LNG muss dann ja auch irgendwo angelandet und umgewandelt werden. Hierzu gibt es größere Kapazitäten auf der iberischen Halbinsel und in den Niederlanden. Und die sind natürlich längst vollständig ausgelastet und können kaum/keine zusätzliche Nachfrage aus Deutschland bedienen. Deutschland selbst hat keine LNG-Terminals. Vier sind inzwischen in Planung und/oder Bau, aber als Sofortlösung kommen vor allem schwimmende Terminals in Betracht. Und auf die wird nun erstmal gesetzt. Wenngleich die Hinterlandanbindung, also Pipelines, ebenfalls noch gebaut oder fertiggestellt werden müssen. Vom LNG-Boom profitieren?! Eine Möglichkeit, vom LNG-Boom zu profitieren, wird seit Monaten an der Börse gespielt. Es geht dabei um das französische Unternehmen Gaztransport & Technigaz SA (GTT) mit Sitz in Saint-Rémy-lès-Chevreuse. Das Unternehmen ist ein Ingenieur-Unternehmen, das sich auf Membran-Systeme für den Transport und die Lagerung von Flüssiggas weltweit spezialisiert hat. Dazu hat man zahlreiche Lösungen für die Flüssiggas-Industrie entwickelt und patentiert, vor allem im Bereich Flüssig-Erdgas. Und da das Unternehmen der einzige Anbieter von maritimen Containment-Tanks für LNG ist, sind seine Dienste seit Monaten und zunehmend gefragt. Doch der Flaschenhals liegt in den Produktionskapazitäten, die GTT nicht einfach über Nacht erweitern kann und die natürlich voll ausgelastet sind. Die Aktie der GTT Group ist aus naheliegenden Gründen die bevorzugte Wahl derjenigen, die den LNG-Hype spielen möchten. Gaztransport & Technigaz (ISIN: FR0011726835) | Hier die Grafik vergrößern... | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 21/22e/23e | Kurs | A1XEHR / 9TG | 4,9 Mrd. EUR | 23 / 41 / 26 | 133,30 EUR | Weniger bekannt und auch viel kleiner ist das US-Unternehmen Golar LNG. Golar ist eine Mischung aus Schifffahrts- und Infrastruktur-Unternehmen im LNG-Segment. Das Unternehmen hat 3 unterschiedliche Arten von Schiffen im Einsatz: Mit den sog. FLNG-Schiffen wird Erdgas in Flüssig-Erdgas umgewandelt, dieses LNG dann mit LNG-Tankern über den Ozean transportiert und anschließend mit sog. FSRU-Schiffen regasifiziert. Golar wurde allerdings von einer großen Schuldenlast gequält und wollte auch seine Strukturen vereinfachen. Deshalb hat man Geschäftsteile verkauft und/oder ausgelagert. Golar LNG selbst konzentriert sich künftig stärker auf die weniger zyklischen FLNG-Schiffe, denn diese "schwimmenden Verflüssigungsanlagen” generieren überwiegend wiederkehrende Erlöse auf Basis mehrjähriger Verträge. Die Regasifizierungs-Schiffe, Tanker und das Downstream-Geschäft wurden bereits weitgehend verkauft, so dass Golar LNG nur noch einen LNG-Tanker im eigenen Bestand hat, während das letzte Regasifizierungs-Schiff Golar Tundra Anfang Juni an das italienische Gas-Unternehmen Snam verkauft wurde. Ganz verabschiedet hat sich Golar LNG aber nicht aus den anderen Segmenten. Denn man hatte Ende 2021 die "Cool Company Ltd.” gegründet, an der man langfristig rund ein Drittel der Anteile halten wird. Und diese Gesellschaft hat 8 LNG-Tanker von Golar LNG erworben. Dieses Manöver ermöglichte es Golar LNG, sein Schifffahrtsgeschäft abzutrennen, seine Unternehmensstruktur zu vereinfachen und seine Schuldenlast zu senken, während es gleichzeitig ein bedeutendes Engagement im LNG-Tankergeschäft beibehält. Die LNG-Verflüssigungsschiffe sind die schnellere Option für Staaten wie Deutschland, die nicht die Zeit haben, um auf den langwierigen Bau von Anlagen an Land zu warten. Entsprechend hoch sind Nachfrage und Preise. Golar LNG hat mit der FLNG Hilli derzeit nur eine schwimmende Verflüssigungs-Anlage in Betrieb, die pro Jahr mehr als 225 Mio. US-Dollar Umsatz generiert, wovon der Großteil als EBITDA hängen bleibt. Nicht nur wegen der explodierten Nachfrage baut Golar LNG eine zweite schwimmende Verflüssigungs-Anlage, FLNG Gimi. Diese soll im Jahr 2023 in Betrieb genommen werden und sie wurde bereits von BP unter Vertrag genommen – für 20 Jahre. Nach Aussage von Golar LNG sollen die beiden Verflüssigungs-Anlagen bis 2026 zu einer Ver-4-fachung des Umsatzes bei Verflüssigungs-Anlagen führen. Wenig verwunderlich ist, dass bereits eine dritte Verflüssigungsanlage in Planung ist; der hierfür nötige langfristige Abnehmer dürfte angesichts der aktuellen Lage sicher nicht schwer zu finden sein. Starke Aktie, starke Zahlen Der Aktienkurs hat sich seit dem Jahresanfang glatt verdoppelt. Und die Halbjahreszahlen rechtfertigen den Kursanstieg ausdrücklich. Golar LNG Limited meldete für das 2. Quartal einen Nettogewinn von 230,0 Mio. US-Dollar bei einem bereinigten EBITDA von 101,0 Mio. US-Dollar. Der Nettogewinn lag mit 0,29 US-Dollar je Aktie deutlich über den Analysten-Erwartungen. Die FSRU Golar Tundra wurde für 350,0 Mio. US-Dollar an Snam verkauft und der Verkauf des Dampfturbinen-LNG-Frachters Golar Arctic als umgebautes FSRU für weitere 269,0 Mio. US-Dollar. Nach Abschluss des Verkaufs der verbliebenen TFDE-Tanker sowie der Schifffahrts- und FSRU-Managementorganisation von Golar an die Cool Company Ltd. sank Golar LNGs Verschuldung von 1,7 Mrd. US-Dollar im 1. Quartal 2022 auf 1,0 Mrd. US-Dollar im 2. Quartal 2022. Für das 1. Halbjahr stieg der Nettogewinn um 16% gegenüber dem Vorjahreswert auf 575,2 Mio. US-Dollar. Die Wall Street prognostiziert für das Gesamtjahr einen Gewinn von 0,52 US-Dollar je Aktie und einen Gesamt-Umsatz von 324 Mio. US-Dollar, was den ersten Ganzjahresgewinn des Unternehmens seit dem Geschäftsjahr 2013 bedeuten würde. Golar LNG (ISIN: BMG9456A1009) | Hier die Grafik vergrößern... | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 21/22e/23e | Kurs | 677102 / GLNG | 3,1 Mrd. USD | 3 / 5 / 21 | 28,88 USD | Unser Fazit LNG ist gefragt und das dürfte noch länger so bleiben. Zwar wird sich das „Einspeichern um jeden Preis“ in Deutschland und anderen EU-Staaten bald entschleunigen, weil die Gas-Speicher dann weitgehend gefüllt sind, aber damit kommt Deutschland in einem harten Winter mal gerade einen Monat weit. Es wird also auch in der kalten Jahreszeit viel Gas benötigt, das möglichst nicht aus Russland kommen soll. Russland kann sein Erdgas aber nicht einfach woanders hin verkaufen, denn seine wichtigsten Pipelines führen alle nach Westeuropa. LNG-Kapazitäten hat das Land kaum, Pipelines nach Süden zu wenige. Insofern bleibt Russland auf einem erheblichen Teil seines Erdgases sitzen, während andere Länder, die bisher auf LNG setzten oder angewiesen waren, vor einer Versorgungsknappheit stehen, wie Pakistan. Denn die Europäer kaufen ihnen das LNG zu jedem Preis weg. Und viele LNG-Transportschiffe wurden in den vergangenen Monaten, trotz vertraglicher Bindung, ebenfalls nach Europa umgeleitet. Die Nachfrage steigt und der Kapazitätsaufbau erscheint dementsprechend lukrativ. Zumal er von langfristigen Verträgen begleitet wird. Doch wie schnell sich im Energie-Markt die Rahmenbedingungen ändern können, hat sich im 1. Halbjahr 2022 gezeigt. Die momentan überspannte und angeheizte Lage führt auch zu Fehlentwicklungen, so dass Anleger sie bei ihren Entscheidungen nicht einfach als Status Quo in die Zukunft fortschreiben sollten. Ein gesundes Maß an Zurückhaltung und Skepsis sollte man einem Boom-Markt immer entgegenbringen, damit man nicht zu den letzten Investoren gehört, die nur die Kursgewinne der anderen bezahlen.
Die heutige Ausgabe entstand wieder in Zusammenarbeit mit Michael C. Kissig. | | Offenlegung wegen möglicher Interessenkonflikte: Die Redakteure/Autoren sind in den folgenden besprochenen Wertpapieren bzw. Basiswerten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Kommentars investiert: - - - Weitere Informationen dazu findest Du hier... Meine neuesten Videos
Viel Erfolg bei Deinen Finanzentscheidungen & ein schönes Wochenende wünscht Dir Dein Armin Brack Chefredakteur Geldanlage-Report >> Die nächste Ausgabe erscheint am 3. September Wir freuen uns über Lob, Kritik und Anregungen. Gerne kannst Du uns auch Themenvorschläge unterbreiten. Fragen und Anregungen bitte per Mail an [email protected] TradingView© ist eine eingetragene Marke der ICE Data Services. Nicht autorisierte Nutzung oder Missbrauch ist ausdrücklich verboten! Hier kommst Du zu TradingView©. Geldanlage-Report weiterempfehlen! Wir würden uns freuen, wenn Du den Geldanlage-Report Deinen Freunden und Kollegen weiterleiten würdest! Kostenlose Anmeldung unter www.geldanlage-report.de |