Interview mit Chris Riegel, Vorstandsvorsitzender von Scala und CEO von STRATACACHE Retail Media
Was können wir erwarten? Ist Retail Media nur eine erweiterte Version von DOOH, die im Laden oder zumindest in der Nähe des Point of Sale stattfindet? Oder bietet das Genre viel mehr, zum Beispiel bessere Werbemöglichkeiten und Lösungen? Chris Riegel, Chairman von Scala, dem führenden Retail Media Anbieter für technologische Lösungen mit Fokus auf die Customer Journey im physischen Handel, ist der Meinung, dass ein solcher Ansatz dem Genre nicht gerecht wird. Sein Ansatz lautet: Endemische Kunden zuerst! Er begründet dies mit seinen Erfahrungen: Scala hat bereits die Werbung bei Dutzenden von großen Einzelhändlern auf der ganzen Welt vollständig digitalisiert. Das Unternehmen hat Lösungen entwickelt, die von der Steigerung der In-Store-Conversion über das Tracking des Kundenverhaltens und die Messung der Werbewirksamkeit bis hin zur Schaffung neuer Medienmärkte für Einzelhändler im Bereich Streaming-Werbung reichen. Mit diesem Dienstleistungspaket ist Scala zum weltweiten Marktführer geworden. Die Ergebnisse seiner digitalen Technologie sind denen des Online-Marketings ebenbürtig. Ein weiterer Mehrwert: Der Einzelhändler verdient auch Geld.
Herr Riegel, wer ist Scala? Scala wurde 1987 in Skandinavien gegründet und 2016 von STRATACACHE übernommen. Wir betreiben vier Millionen Bildschirme rund um den Globus und erwirtschaften einen Jahresumsatz von einer Milliarde US-Dollar. Das wollen wir in den nächsten drei Jahren verdreifachen, denn der gesamte Markt wächst. Die Einzelhändler sehen sich derzeit mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die alle die Gewinnspannen verringern. Deshalb suchen sie nach neuen Einnahmequellen.
Was ist Ihr Ziel für Deutschland? Mit der Übernahme von Scala im Jahr 2016 haben wir das Direktgeschäft in Deutschland gestartet. In den letzten 24 Monaten haben wir gesehen, dass die Nachfrage nach In-Store Retail Media stark gestiegen ist. Die deutschen Einzelhändler schauen auf ihre Kollegen in Frankreich, Großbritannien und den USA. Die durchschnittliche Marge im normalen Lebensmitteleinzelhandel liegt bei drei Prozent. Bei Retail Media liegt sie bei 90 Prozent. Jeder Markt ist anders. Walmart macht bereits vier Milliarden US-Dollar Umsatz mit Retail Media.
Sprechen Sie die einzelnen Händler direkt an oder haben Sie einfach ein Angebot parat, um sie in Ihr Netzwerk zu integrieren? Es gibt beides. Wir sind sehr oft der „zweite Anruf“. Warum eigentlich? Einzelhändler, die die ersten Schritte in diesem Geschäft selbst ausprobiert haben, stellen irgendwann fest, dass In-Store Retail Media nicht so einfach zu integrieren ist wie online. Einzelhändler, die bereits gute Umsätze mit ihrem Mediennetzwerk haben, könnten mit den zusätzlichen Märkten und Möglichkeiten, die wir schaffen, wahrscheinlich viel mehr generieren. Das Mediengeschäft im Einzelhandel unterscheidet sich stark vom Einzelhandel selbst. Deshalb wenden sie sich im zweiten Anlauf an uns. Und genau da können wir helfen. Wir haben einen großen Erfahrungsschatz. Eines der Unternehmen von STRATACACHE, PRN [1], hat In-Store Retail Media zusammen mit Walmart in den späten 1990er Jahren ins Leben gerufen. Die Frage, die wir den Einzelhändlern beim ersten Treffen stellen, ist, ob sie es selbst machen wollen oder ob sie lieber das Maximum herausholen wollen. Wenn man mit den Führungsebenen spricht, wollen sie in der Regel letzteres.
Wie unterscheidet sich der deutsche vom amerikanischen Markt? Es gibt Medienmärkte, die weiter sind als andere. Das hat weniger mit den Menschen oder der Gesellschaft zu tun als vielmehr mit den Strukturen. Die Amerikaner und Briten haben eine viel aggressivere Medienkultur. Die Deutschen sind eher zurückhaltend. Der deutsche Einzelhandel agiert sehr konservativ. Kaum einer traut sich, den ersten Schritt zu machen. Erst wenn es einer tut, ziehen die anderen nach – wenn es erfolgversprechend erscheint. In den USA wandern bereits 40 Prozent aller Fernsehwerbebudgets weg vom traditionellen linearen Fernsehen hin zu Streaming-Diensten. In Deutschland sind es nur drei bis fünf Prozent.
Doch was hat diese Zahl mit In-Store Retail Media zu tun? Ganz einfach. Die Nutzung von Händlerdaten wird immer wichtiger. Denn die Daten, die wir im Handel sammeln, können im CTV (Streaming) für Retargeting-Lösungen genutzt werden. Das ist im linearen TV nur bedingt möglich. Wenn wir wissen, für welche Produktkategorien sich die Kunden in den Geschäften interessieren, können wir über CTV entsprechendes Retargeting ausspielen.
Ist das Erkennen des Kunden im Geschäft auf dem heimischen Sofa nicht ein Datenschutzproblem? Nicht, wenn es mit einem Kundenbindungsprogramm verknüpft ist. Wir verfolgen die Leute nicht im Laden, sondern ihre Warenkörbe. Diese gehören bis zur Kasse immer dem Einzelhändler. Die Verbindung zu einer bestimmten Person wird nur hergestellt, wenn eine Einverständniserklärung vorliegt. Diese erhält der Einzelhändler in der Regel über das Kundenbindungsprogramm. Natürlich müssen wir DSGVO-konform sein. Aber das ist eigentlich nicht genug. Wir müssen auch zuhören, was die Kunden wollen, und ihnen einen Nutzen bieten.
Es wird wahrscheinlich schwierig sein, den Kunden die Vorteile klar zu machen. Das muss nicht sein. Wenn der Einzelhändler den Kunden mitteilt, dass er die Sortierung der Produkte besser an ihre Einkaufsgewohnheiten anpassen will, damit sie weniger Zeit damit verbringen, das zu finden, was sie brauchen, wäre das ein Mehrwert. Das Gleiche gilt zum Beispiel für den Zeitpunkt des Einkaufs. Die Einzelhändler könnten ihren Personalbestand danach planen, wann die Kunden im Laden sind. Auch das hilft am Ende allen.
Wenn Sie zu großen Einzelhändlern wie Lidl oder IKEA gehen, die bereits ein umfangreiches Kundenbindungsprogramm haben, müssen diese Einzelhändler dann allen Kunden eine Änderung des Programms mitteilen, wenn sie sich für In-Store Retail Media entscheiden? Wir würden dies den Einzelhändlern immer empfehlen. Lieber zu viel Transparenz als zu wenig, lieber mehr kommunizieren als etwas zu verbergen. Das zahlt sich am Ende aus.
Das hat der Einzelhandel schon vor zehn Jahren mit den Beacons [2] schmerzlich erfahren. In der Tat. Das war eigentlich absurd, wenn man weiß, wie viel Apple und Google über Smartphones tracken können. Wer sich Sorgen um Tracking macht, sollte kein Smartphone benutzen. Man sollte sich nichts vormachen: Wenn Google und Apple verkünden, dass sie das IP- oder Cookie-basierte Tracking abschaffen, dann tun sie das nicht, um es für die Kunden sicherer zu machen. Sie tun es, weil sie die Einzigen sind, die noch eine funktionierende Tracking-Technologie haben.
Sie haben die anderen Strukturen in Deutschland angesprochen. Eine davon ist das System der Werbekostenzuschüsse (WKZ) bzw. des Handelsmarketingbudgets mit der teilweise starken Stellung des einzelnen Händlers, auch wenn er Teil einer Kette ist. Wie trennen Sie Medien und WKZ? Wir betrachten es nur von der Media-Seite, weil sie so viel stärker ist, als es die WKZ sein können. Das liegt daran, dass die digitalen Medien in den Geschäften und die Online-Media-Formen so gut auf andere digitale Werbeangebote wie Audio, CTV und DOOH abgestimmt sind. Das hat einen ganz anderen Skalierungsfaktor, als es individuelle Verhandlungen über Kaufrabatte könnten. Einzelhandelsmedien ersetzen teilweise andere Formen der Online-Werbung. In fünf Monaten wird TikTok in den USA illegal sein. Wohin fließen dann die Werbemilliarden? Die Social-Media-Werbung hat mit einem massiven Betrugsproblem zu kämpfen, ebenso wie in gewissem Maße die Display-Werbung. Das gibt es bei In-Store nicht. Die Betrugsrate bei allen Formen von digitalen Medien liegt bei 23 Prozent und mehr, mit In-Store können Sie Betrug ausschalten. Und es gibt noch einen weiteren Aspekt, den Sie beachten sollten: 70 Prozent aller Transaktionen werden nach wie vor im Ladengeschäft getätigt! Diese Werbemöglichkeit sollte auf keinen Fall ignoriert werden.
Aber das Budget für Handelsmarketing hat starke Haltekräfte. Sind Zahlen ein ausreichendes Argument? Das glauben wir schon. Alles, was wir tun, hat zum Beispiel keinen Einfluss auf das eigene Werbematerial des Einzelhändlers. Umgekehrt können wir sogar unsere eigenen Werbemittel über Handelsmedien ausspielen. Es ist so: Wenn Kunden nach einem Produkt suchen, verdient Google an der Anzeige, der Einzelhändler aber nicht. Es ist ganz klar, dass der eigentliche Einflussbereich dort liegt, wo der Kunde das Produkt in der Hand hält, also im Laden!
Wir führen in Deutschland eine hitzige Debatte darüber, wie wichtig Retail Media für nicht-endemische Kunden wird. Wie sehen Sie das? Ich glaube, dass das Geschäft mit den Stammkunden In-Store Retail Media langfristig klar dominieren wird. Wir sind in ständiger Diskussion mit den traditionellen Digital-Out-Of-Home-Unternehmen. Sie sagen den Einzelhändlern, dass In-Store Retail Media eine Art DOOH ist. Wir hingegen sagen: Das ist es absolut nicht! Wir hatten Kooperationsgespräche mit einem großen Einzelhändler. Zuvor haben wir uns die Läden angeschaut. Dort gab es in der Kinderabteilung Displays, die für Vape Pens [3], also E-Zigaretten, warben. Das ist nicht nur beunruhigend für Eltern und Kinder, es ist auch illegal. Der Großteil der DOOH-Werbung ist programmatisch. Der gesamte Markt ist inzwischen so groß und so unübersichtlich, dass das System Risse bekommt. Die Beziehung zwischen Einzelhändlern und Kunden muss geschützt und überwacht werden.
Welche nicht-endemischen Kampagnen wären in der Kinderabteilung erlaubt? Alles, was in direktem Zusammenhang mit dem Werbekontext steht. Das könnte zum Beispiel ein Finanzdienstleister sein, der für Sparanlagen zur Finanzierung von Bildung wirbt. Auch Versicherungen würden passen. Aber die Auffassung, was passt und was nicht, ist von Land zu Land unterschiedlich. Selbst wenn der Einzelhändler Geld von Werbekunden ablehnen muss. Die Beziehung zum eigenen Kunden ist und bleibt viel wichtiger.
Also gar keine programmatische Werbung? Doch, aber auf der Grundlage einer Whitelist. Wir entscheiden genau, welche Werbetreibenden welche Produkte präsentieren. Direct Sales ist auch deshalb so effektiv, weil viele Werbetreibende noch nicht gelernt haben, wie man In-Store nutzt. Das muss man ihnen erklären. Ich denke, zwischen fünf und zehn Prozent programmatische Werbung wäre in Ordnung.
Ist das noch skalierbar? Ja. Wir entwerfen gemeinsam mit den Einzelhändlern Styleguides. Danach richten wir uns.
Kann man das schwarz auf weiß definieren? Gute Frage. Nein, nicht immer. Einige Einzelhändler lassen keine politische Werbung zu. Aber wenn die Regierung über neue Coronavirus-Zahlen informiert, kann man das auch als Dienstleistung sehen.
Wo sehen Sie weiße Flecken auf dem deutschen Markt? Was müssen wir noch lernen? Einzelhändler müssen sich genau überlegen, wen sie als Partner für In-Store Retail Media auswählen. DOOH-Anbieter erhalten 70 Prozent des Umsatzes, Einzelhändler nur 30 Prozent. Wir sind der Meinung, dass Einzelhändler 90 Prozent erhalten sollten.
Hat Retail Media eigene Regeln, wenn es um die Erstellung der Werbemittel geht? Auf jeden Fall. Es gibt keinen Platz für ein 60-Sekunden-Video. Es geht eher um sechs bis zehn Sekunden und den richtigen Call-to-Action. Die Frage muss immer lauten: Wie hoch ist die Conversion Rate? Es kann sehr spannend sein, für Produkte zu werben, die sich dem Mindesthaltbarkeitsdatum nähern. In diesem Fall ist der Rabatt, den die Einzelhändler gewähren, immer geringer als der Verlust durch den Verfall. So etwas kann auch mit automatisierten Lösungen geschehen.
In-Store Retail Media ist also Gewinnoptimierung, Kundenanalytik und Mediengeschäft? Ganz genau. Unsere Aufgabe ist es, das Beste aus der Technologie herauszuholen, die Einzelhändler installieren. Mehr Gewinn macht es den Einzelhändlern leichter, zu investieren. Und wir können unsere Rechnungen über mehrere Jahre verteilen. Auch das macht es für die Einzelhändler einfacher.
Dann könnten Sie dies als Gewinnbeteiligung anbieten. Wir sind nicht der Partner des Einzelhändlers, wir sind sein Dienstleister. Die Gewinnbeteiligung basiert auf den Fixkosten auf unserer Seite. Wenn die Einzelhändler mehr mit der Technologie verdienen, ist es ihr Gewinn.
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