| | | | | 29. Oktober 2023 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | der schweizerische Schriftsteller Max Frisch nennt sein Theaterstück âeine Farceâ. Worin besteht diese Farce? Sie besteht, unter anderem, darin: Der Kaiser von China verkündet an einem Festtag â âzur Friedenssicherungâ, wie er sagt â den Bau einer gigantischen Mauer. Sie soll, so die kaiserliche Erklärung dazu, einen historischen Zweck erfüllen; sie soll ein Bollwerk bilden, sie soll die Zeit aufhalten und sie soll die Zukunft verhindern. Es handelt sich bei dieser Mauer, Sie wissen es natürlich, um âDie chinesische Mauerâ. So lautet auch der Titel dieses Stücks von Max Frisch, das im Jahr 1946 in Zürich uraufgeführt wurde. Bürgerliche Kälte Das Stück ist in ganz Europa zum politischen Hit geworden. Der Bau einer solchen Bollwerk-Mauer ist sensationell populär, und zwar in den Staaten der EU genauso wie, zum Beispiel, in der Schweiz. Dort hat soeben die sehr rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei mit einer drastischen Neuinszenierung des Mauer- und Abwehrstücks die Parlamentswahlen haushoch gewonnen. Die SVP agierte und agitierte fast monothematisch gegen alles Fremde, gegen Migranten und Ausländer; und am allermeisten Erfolg hatte sie damit nicht in den GroÃstädten, wo es viele Migranten und Ausländer gibt, sondern auf dem Land, wo es eher wenig davon gibt. In Deutschland ist es ähnlich. Dort befeuern die politisch befeuerten Ãngste vor dem Fremden und den Fremden den Erfolg der AfD, einer in Teilen rechtsextremistischen Partei, die noch viel rabiater auftritt als die schweizerische SVP. Bei der AfD werden die völkischen Töne immer lauter; aber das scheint die Wählerinnen und Wähler wenig zu bekümmern; diese nehmen, zumal in den neuen Bundesländern, den Neonazismus als vermeintlich deutschnationale Folklore in Kauf. Gewalt beginnt mit Worten. In Deutschland wird die Rhetorik auch der demokratischen Parteien, vom Erfolg der AfD getrieben, immer schärfer â bis dahin, dass über den Einsatz von physischer Gewalt gegen Flüchtlinge an stark zu befestigenden AuÃengrenzen diskutiert wird. Selbst Kinder sollen in den Lagern an diesen AuÃengrenzen festgehalten werden. Die âbürgerliche Kälteâ, wie die Philosophin Henrike Kohpeià das bezeichnet, wird immer kälter. âDie chinesische Mauerâ wird europäisch adaptiert: Sie wird nicht aus Steinblöcken, sondern aus Paragrafen und Stacheldraht gebaut, aus rassifizierter Prävention und roher Repression, aus Hartherzigkeit und Hartleibigkeit. Es gibt eine umfassende Politik der Illegalisierung von Flüchtlingen, von der nur die aus der Ukraine ausgenommen sind. Die Einmauerei verändert Europa auch im Inneren: Eingemauerte Menschen verlieren ihr Selbstbewusstsein. Je mehr eine Zivilisation sich einmauert, umso weniger hat sie am Ende zu verteidigen. In der kommenden Woche, an Allerheiligen und Allerseelen, werde ich, wie viele von Ihnen auch, an den Gräbern der Eltern, der GroÃeltern und von verstorbenen Freundinnen und Freunden stehen. Ich mag dieses ritualisierte Gedenken, ich mag die Erinnerungen. Heimat, so denke ich dann, ist auch dort, wo man den Erinnerungen auf diese Weise begegnet. | |
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| | Ich wünsche Ihnen tröstliche Gedanken im grauen Monat November.
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | Protokolle aus der Weltfremde | | In der Enge der Haft hat er Prosa und Gedichte geschrieben. 34 Jahre ist er alt geworden und fast die Hälfte dieser Zeit verbrachte er hinter Gittern und Mauern. Er hat um sein Leben geschrieben und gegen seinen Schmerz. Ernst Siegfried Steffen hat darüber sinniert, wie es sein wird, wenn er nach Hause kommt: âWenn ich nach Hause komme, / werde ich alt sein und viele Jahre vergangen. Die Polizei wird registrieren, dass ich wieder da bin, und die Mädchen werden sagen: Hallo! Lange nicht gesehn!/ Und die erste Nacht wird im Gekicher untergehen über meinem Unvermögen. So wird es sein, wenn ich nach Hause komme. // Wenn ich nach Hause komme, werde ich nichts gewesen sein, nicht einmal Verbrecher, nicht einmal traurig, nicht einmal fort. / Ich werde nach den alten / Arbeitsschuhen kramen und weitermachen, / als sei nichts geschehen. Ich werde nicht nach Hause kommen. So wird es sein, wenn ich nach Hause komme.â Ernst E. Steffen ist nicht nach Hause gekommen. Er ist 1970 gestorben. Der Kröner-Verlag hat eben in seiner Edition Klöpfer eine kleine Sammlung von Gedichten und Prosa publiziert, die Ernst Steffen überwiegend im Gefängnis geschrieben hat. Sie kommen aus einer Welt, in der Mauern nicht nur den Ausbruch der Häftlinge, sondern den Einblick der Ãffentlichkeit verhindern sollen. Ernst S. Steffen â Wenn ich nach Hause komme. Mit einer Einleitung und einem Nachwort von Anton Knittel, dem Leiter des Heilbronner Literaturhauses. Das Büchlein ist 2023 im Verlag Kröner als Hardcover erschienen, es hat 120 Seiten und kostet 20 Euro. | | | | |
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| | | | | Der ausgefuchste Hühnermann | | Unter meinen journalistischen Gesprächspartnern waren viele Tierliebhaber, aber nur zwei, die Hühner gehalten haben. Der eine war Josef Homeyer, langjähriger Bischof von Hildesheim und Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, der mich voller Stolz in den Domgarten führte und mir dort sein Federvieh vorführte; er war auf einem Bauernhof aufgewachsen. Der andere Hühnerfreund ist Jörg Hofmann, der bis zur vergangenen Woche acht Jahre lang Arbeiterführer war, nämlich Chef der gröÃten deutschen Gewerkschaft, der IG Metall. Er stand stets mit seinen Hühnern auf, um sie zu füttern, bevor dann das harte Tagesgeschäft begann. Vielleicht bringt es der fürsorgliche Umgang mit den Hühnern mit sich, dass man ein besonders umgänglicher Mensch wird. Alexander Hagelüken schreibt in der SZ vom Mittwoch zum Abschied ein anschaulich-schönes Porträt von Hofmann, dem Gewerkschafter mit Ãko-Ambitionen. Er war ein ausgefuchster und kundiger Verhandler, der seine Härte und Ausdauer hinter liebenswürdiger Rustikalität gut verbergen konnte. | | | |
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