Kirchen legen Vorstellungen zur Suizidhilfe vor
Berlin (ALfA). Die katholische und die evangelische Kirche haben ihre Vorstellungen zum Umgang mit der Suizidhilfe vorgelegt. Das berichtet die katholische Wochenzeitung „Die Tagespost“. Wie im ALfA-Newsletter berichtet, bat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Mitte April Ärztevertreter, Verbände, Einzelpersonen sowie die beiden christlichen Kirche, seinem Haus „Vorstellungen und Vorschläge zu wesentlichen Eckpunkten einer möglichen Neureglung der Suizidassistenz“ zukommen zu lassen. Inzwischen lägen Spahn die Stellungnahmen der Kirchen vor, schreibt das Blatt.In den Stellungnahmen halten die Kirchen auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar ihren Widerstand gegen eine Suizidhilfe aufrecht. „Nicht die Hilfestellung zum Suizid, sondern die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven ist dringend geboten“, heißt es etwa in der Stellungnahme des „Kommissariats der deutschen Bischöfe“. Und weiter: „Wir entnehmen dem Urteil eine Akzentverschiebung beim Verständnis der Menschenwürde und Autonomie, die wir für problematisch halten. Unseres Erachtens wird in der Urteilsbegründung in Bezug auf die menschliche Autonomie der Aspekt der Selbstverfügbarkeit zu stark betont.“ Zwar sei die Freiheit, das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, „auch aus christlicher Sicht“ ein „wesentlicher Bestandteil des Menschenbildes“. Ein solches „Verständnis von Selbstbestimmung wäre aber missverstanden, setzte man sie mit voluntaristischer Beliebigkeit gleich.“ Richtig verstanden binde sich menschliche Freiheit „aus tiefer Überzeugung an jene normativen Bedingungen, die für ihre Entfaltung unabdingbar sind. Das bedeutet auch, dass Selbstbestimmung immer nur in Beziehung zu anderen ausgeübt werden kann; Beziehungen ermöglichen und prägen Selbstbestimmung. An dieser Stelle bleibt das Autonomieverständnis, das dem Urteil des BVerfG zugrunde liegt, ergänzungsbedürftig." Folge der Gesetzgeber der von den Karlsruher Richtern vorgenommen Akzentverschiebung „unkritisch“, könne das „gravierende Folgen für das gesellschaftliche Selbstverständnis und Zusammenleben haben, die weit über die Folgen des Umgangs mit dem Suizid hinausgehen“, warnt das Kommissariat der deutschen Bischöfe. Problematisch erscheint der Vertretung der deutschen Bischöfe bei der Bundesregierung zudem, „dass die Ausführungen des BVerfG zum Verhältnis von selbstbestimmtem Sterben und Menschenwürde den Eindruck hervorrufen können, als ob die freiverantwortliche Selbsttötung der unhinterfragbare Ausdruck menschlicher Freiheit sei“. Dem sei „entgegenzuhalten, dass die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, zu jedem Zeitpunkt die Reaktion auf eine dramatische Grenzsituation im Leben ist, die als aussichtslos empfunden wird. Sie ist außergewöhnlich tragisch und keinesfalls eine gewöhnliche Option am Ende des Lebens." Würden Selbsttötungen „als normale Option ausgewiesen“, müssten sich „Dritte weniger mit der eigenen Verantwortung für die dramatische Lebenssituation der Betroffenen auseinandersetzen“. Selbsttötungen führten einer Gesellschaft immer auch „die Abwesenheit der Anderen (Paul Valery) vor Augen“. In der Stellungnahme bekräftigen die Bischöfe, dass sie „Angebote der Suizidassistenz – sei es durch Ärzte, Vereine oder Einzelpersonen – nach wie vor ablehnen“ und stattdessen dafür eintreten, „Menschen in ihrer Entscheidung für das Leben zu stärken und zu begleiten“. Eine Ausweitung der Angebote der Suizidbeihilfe, die nach dem Urteil des BVerfG unumgänglich erscheint“, sei mit ihrer „Grundüberzeugung nicht in Einklang zu bringen“. Bei der „Erarbeitung eines (legislativen) Schutzkonzeptes“ solle der Gesetzgeber nach Ansicht der Bischöfe den „Schutz besonders vulnerabler Personengruppen“ sowie die „Bedürfnisse und Ängste derjenigen“, die eine Suizid „zeitweise als Lösung“ betrachteten, ins „Zentrum“ seiner Bemühungen stellen. Auch müsse die „psychiatrisch-psychotherapeutische Arbeit sowie Angebote der Palliativ- und Hospizversorgung“ vor allem in der Regelversorgung stationärer Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, „verbessert, auskömmlich finanziert und damit breiter zugänglich gemacht“ werden. „Durch finanzielle Förderung der Begleitung und Pflege durch An- und Zugehörige“ sowie „berufliche Freistellungsmöglichkeiten“ sollte es An- und Zugehörigen erleichtert werden, „für ihre kranken oder älteren Angehörigen zu sorgen und diesen beizustehen.“ Auf diese Weise würde „kranken oder älteren Menschen eben nicht der Eindruck vermittelt, durch ihre Hilfebedürftigkeit zu einer finanziellen oder zeitlichen Last für die Familie oder Solidargemeinschaft zu werden“. Auch die Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) verlangen in ihrer Stellungnahme eine „Verbesserung der Pflegekonzepte Schwerkranker und Hochbetagter als Teil eines legislativen Schutzkonzeptes“. Dazu zähle auch, „dass familiale Pflege, etwa durch die Erweiterung entsprechender Freistellungsmöglichkeiten, aber auch durch die Förderung von Mehrgenerationenhäusern und alternativen Wohnformen, intensiver ermöglicht und unterstützt werden“. Da „die Sorge, eine übergroße Belastung für die Solidargemeinschaft und auch für die Familie zu sein“ wesentlich dazu beitragen könne, das Suizidwünsche aufkämen, müssten gegebenenfalls auch zusätzliche „finanzielle und organisatorische Hilfen zur Verfügung gestellt werden, um das zu verhindern“.Es könne nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, „einen Kriterienkatalog aufzustellen, der Krankheitsszenarien und mentale oder andere Voraussetzungen definiert, über die die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Wunsches nach Suizid festzustellen wäre. Eine solche Vorgehensweise müsste unweigerlich dazu führen, dass staatlicherseits festgelegt würde, welche Szenarien einen (assistierten) Suizid rechtfertigen und welche nicht.“ Gleichwohl erscheint es der EKD jedoch notwendig, „mithilfe eines noch näher zu bestimmenden Verfahrens sicherzustellen, dass der Wunsch nach Selbsttötung nicht aufgrund einer akuten Verzweiflung oder psychischen Erkrankung herbeigeführten Entscheidung entsteht.“ Ein solches Verfahren solle „auf multiprofessionelle Kompetenzen zurückgreifen, auch wenn Ärztinnen und Ärzten hier eine besondere Verantwortung zukommt, etwa beim Ausschluss einer akuten depressiven Störung“.
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