Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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10. November 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
der Dichter Rainer Maria Rilke hat im Jahr 1902 ein berühmtes Gedicht geschrieben. Es heißt "Herbsttag" und es beschreibt in drei Strophen den Übergang von Sommer zum Herbst. Im Jahr 2024 beschreibt es das Schicksal des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der jetzt drei Jahre lang Bundesfinanzminister war. Das Gedicht beginnt so: "Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß." Der Sommer des Christian Lindner war wirklich groß. Aber dieser Sommer ist vorbei und Lindners Zeit als Parteivorsitzender auch. Als Bundesfinanzminister ist er gegangen worden: Der Kanzler hat ihn entlassen. Als FDP-Parteichef muss er selbst gehen: Herr, es ist Zeit! Lindner halten nicht mehr seine großen Talente; er hat sie verbraucht. Ihn halten nicht mehr seine Erfolge; er hat keine mehr. Ihn hält nur noch die Tatsache, dass kein Nachfolger in Sicht ist. Dafür hat er selbst gesorgt: Lindner hat die FDP zu einer Ein-Mann-Partei gemacht, noch radikaler, als dies einst sein Vor-Vorgänger Westerwelle gemacht hat. Die FDP wurde immer "lindneriger" (so konstatierte es die FAZ schon 2020) – und leider auch immer uninspirierter.

Eine Lindner-FDP hat keine Zukunft

Der Sommer des Christian Lindner ist vorbei. Dieser Sommer war wirklich groß und ziemlich lang. Die FDP, damals unter der Führung von Philipp Rösler, war 2013 aus dem Bundestag geflogen und 2014 bei allen drei Landtagswahlen gescheitert. Der neue Vorsitzende Lindner hat die Partei dann zu wunderbaren Erfolgen geleitet - mit taktischer Raffinesse, frischem Selbstbewusstsein und souveräner Lässigkeit: Die FDP führte er so im Jahr 2017 mit 10,7 Prozent wieder in den Bundestag. Diesen Erfolg baute er dann 2021 mit 11,5 Prozent noch aus. Dass derzeit achtzig FDP-Abgeordnete im Bundestag sitzen, verdanken sie Lindner. Deshalb ist die Kritik an ihm nicht so laut, wie sie sein müsste, obwohl Lindners Defizite immer deutlicher werden: Ihm fehlt der politische Tiefgang. Er kann das mit pointiert-formelhaftem Gerede nicht mehr verbergen und durch die Fetischisierung der Schuldenbremse nicht ersetzen. Seit Lindners Antritt als Finanzminister scheitert die FDP bei Landtagswahlen am laufenden Band; zuletzt lag sie in Thüringen, Brandenburg und Sachsen nur noch bei etwa einem Prozent. Das ist mehr als ein Debakel. Das ist ein Fiasko.
SZPlus Prantls Blick
Die Zukunftsbremse
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Diese Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse. Davon handelt heute mein SZ-Plus-Text "Prantls Blick". Er handelt auch davon, wie das einschlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 zum Ende der Ampelregierung beigetragen hat. Lindner hat als Vorsitzender getan, was er konnte. Das war einiges – aber für 2024 ff. reicht es nicht mehr. Er hat seine Schuldigkeit getan. Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Der Geist des Krieges
Zum 125. Geburtstag von Erich Kästner hat sein Verlag ein kleines, sehr feines Büchlein herausgegeben. Es ist eine gewitzte Erzählung zum Frieden, sie ist schon alt, aber hochaktuell, sie liest sich wie ein Kommentar zur Aufrüstungspolitik: "Das Märchen von der Vernunft". Es geht so: Ein netter alter Herr, gleichermaßen ehrengeachtet und für wunderlich gehalten, erscheint vor den wichtigsten Staatsmännern der Welt und unterbreitet ihnen einen Vorschlag. Der alte Herr hat die Angewohnheit, sich vernünftige Dinge auszudenken und seine Gedanken dann öffentlich kundzutun. Die Staatshäupter und Staatsoberhäupter hören sich zähneknirschend immer wieder seine, in ihren Augen wirren, Vorschläge an. Nun sitzt der alte Mann wieder mit einer seiner vernünftigen Ideen vor ihnen und behauptet, er wüsste, wie man langfristig Zufriedenheit und Frieden für alle Menschen auf der Erde schaffen könnte. Er habe einen Weg gefunden, wie man den Frieden auf Erden sichern könne. Es würde nur die lächerliche Summe von einer Billion Dollar kosten.

Da brechen, so schreibt Kästner in seinem Märchen von der Vernunft, die Staatshäupter und Staatsoberhäupter in tobendes Gelächter aus. "Man brüllte geradezu. Man schlug sich und einander auf die Schenkel, krähte wie am Spieß und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Der nette alte Herr schaute ratlos von einem zum anderen. 'Ich begreife ihre Heiterkeit nicht ganz', sagte er. 'Wollen Sie mir gütigst erklären, was Ihnen solchen Spaß macht? Wenn ein langer Krieg eine Billion Dollar gekostet hat, warum sollte dann ein langer Frieden nicht dasselbe wert sein? Was um alles in der Welt ist denn daran so komisch?' Da lachten sie alle noch lauter. Es war ein rechtes Höllengelächter. Einer konnte es im Sitzen gar nicht mehr aushalten, er sprang auf, hielt sich die schmerzenden Seiten und rief mit der letzten ihm zu Gebote stehenden Kraft: 'Sie alter Schafskopf! Ein Krieg – ein Krieg ist doch etwas ganz anderes!'"

Das ist der Geist des Krieges. Erst wenn es dieser Geist ist, der ausgelacht wird, erst dann wird es keinen Krieg mehr geben. Das ist der Gehalt des Kästner-Büchleins. Ulrike Möltgen hat es anspruchsvoll illustriert.

Erich Kästner: Das Märchen von der Vernunft. Mit Bildern von Ulrike Möltgen. Atrium Verlag Zürich, 1. Auflage 2024. Das Büchlein kostet 14 Euro.
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SZPlus
Eindrücke aus einem Ort der Leiden
Lesen Sie diesen Gastbeitrag eines Psychotherapeuten in der Süddeutschen Zeitung, lesen Sie dieses erschütternde Stück über die psychischen Folgen des Kriegs in der Ukraine. Der Psychotherapeut Stephan Herpertz hat im Rahmen einer Studie Gespräche in den Vororten von Kiew geführt, in Butscha unter anderem. Butscha ist der Ort, der traurige Berühmtheit erlangte, als nach dem Abzug der russischen Besatzer von dort die Bilder von hunderten von erschossenen und gefolterten Zivilisten um die Welt gingen. Wie verarbeiten die Menschen die traumatischen Erlebnisse? Stephan Herpertz war bis April 2024 Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Bochum. Er hat vor Ort Überlebende interviewt, er hat ihre Ängste studiert, ihre Alpträume, ihr Hoffnungen, ihren Trotz. Lesen Sie sein bitteres, sein quälendes Protokoll. Es ist ein Protokoll gegen das Vergessen.
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