In knapp einem Jahr Corona-Politik durchlebten wir Hoffnung, Chaos, wirre Zeiten. Damit soll nun Schluss sein: Die Diskussion um Lockerungen und Sonderregeln für Geimpfte gewinnt neuen Antrieb. Auch negativ Getesteten werden Privilegien in Aussicht gestellt. Für die einen ein Licht am Ende des Tunnels, für die anderen ein heranbrausender Schnellzug – auf dem Weg ins Post-Datenschutz-Land. Daten gegen Privilegien Auch wenn es mir widerstrebt, Grundrechte als Privilegien zu bezeichnen, sind wir mittlerweile in einer Situation angekommen, in der wir diese als solche empfinden. Seit Wochen diskutieren Politik und Medien darüber, Geimpften und neuerdings sogar negativ Getesteten Grundrechte zurückzugeben, sie Sonderregeln zu unterwerfen, zu privilegieren. Die Debatte nimmt Fahrt auf, weil auch andere Staaten, allen voran Israel, derartige Freiheiten gewähren – selbstverständlich unter Vorlage eines Nachweises. Der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, erwartet auch hierzulande die Einführung eines digitalen Impfpasses. Eine Testergebnis-App steht ebenfalls im Raum. Was spricht dafür? Nach all den monatelangen Einschränkungen ist es verständlich, nach dem erstbesten Strohhalm greifen zu wollen, der einem geboten wird. Schauen wir uns doch einmal an, welche Argumente sich pro Sonderregeln für Geimpfte bzw. negativ Getestete anführen lassen. Es muss ein Ende haben Lockerungen für Geimpfte und negativ Getestete versprechen eine Rückkehr in die Normalität. Der Restaurant- oder Kinobesuch war früher selbstverständlich, heute erscheint er wie eine Erinnerung aus längst vergangenen Zeiten. Die Corona-Einschränkungen zerren an unseren Nerven, sie müssen irgendwann ein Ende haben. Wie lange wollen wir noch darauf warten? Wenn wir versuchen, die Herdenimmunität bzw. sogar die Impfung aller Impfwilligen zu erreichen, bevor Gaststätten und Einzelhandel öffnen dürfen, wird es vielleicht keine Geschäfte mehr geben, die noch besucht werden können. Der ehemalige bayerische Justizminister Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU) erklärt in einem Interview mit der Nürnberger Zeitung: „Wenn es einen milderen weniger einschränkenden Weg gibt, die Gefährdung anderer Menschen und die Überlastung des Gesundheitssystems abzuwenden, dann ist dieser zu beschreiten.“ Die Suche nach milderen Mitteln gehört zum Einmaleins der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Außerhalb dieser juristischen Grenzen treffen drei Welten aufeinander: Das Recht, Fairness und – wenn auch nicht im Vordergrund – der Schutz der eigenen Daten, die mittels Impfpass und Testergebnis der Außenwelt preisgegeben werden. Ansonsten zu früh gefreut Der Ruf nach allgemeinen Lockerungen wird lauter, der Zusammenhalt im Kampf gegen Covid-19 schwindet. Wenn dem Drängen vorschnell nachgegeben wird, könnte uns das auf die Füße fallen. Die Auswirkungen der Virusmutationen sind nicht vorhersehbar. Einen weiteren Lockdown überstehen viele Wirtschaftsbeteiligten nicht, keiner will Krankenhäuser und Altenheime am Limit sehen. Wenn Geschäfte nun zumindest für Nicht-Infizierte öffnen, wäre dies ein gangbarer Mittelweg zwischen Vor- und Nachsicht. Was spricht dagegen? Vernünftig geäußerte Kritik an Corona-Maßnahmen ist legitim und notwendig, um Grundrechtseingriffe in Grenzen zu halten. Deswegen möchten wir uns an dieser Stelle auch den Argumenten gegen Sonderregeln für Geimpfte bzw. negativ Getestete widmen. Impf- und Testpflicht durch die Hintertür Die Politik wird nicht müde zu betonen, dass es eine Impfpflicht nicht geben werde. Es den Unternehmen zu überlassen, über eine Öffnung nur für Geimpfte zu diskutieren, führt allerdings zu einer Impf- bzw. Testpflicht durch die Hintertür. Kein Wunder: So lässt sich der schwarze Peter wunderbar der Wirtschaft zuschieben. Würde die Impfung gesetzlich zur Pflicht erklärt, fiele das dagegen auf die Politik zurück. Aus den Diskussionen um den Immunitätsausweis hat man wohl gelernt. Zurück bleibt die Frage nach der Freiwilligkeit. Kann man wirklich von einer Impfung bzw. einem Test aus freien Stücken sprechen, wenn ich ansonsten nicht an meine grundrechtlichen Freiheiten komme? Und wie freiwillig ist es von den Unternehmen, eine Impfung bzw. einen Test zu verlangen, wenn sie – nach monatelangen Schließungen – ohne Einschränkung auf Geimpfte/negativ Getestete umfangreiche Hygienemaßnahmen zu wahren und damit weniger Kunden hätten? Daten? Gesundheit! Prof. Dr. Bausback hat Recht, wenn er angibt: „Das Datenschutzgrundrecht steht nicht absolut über allen anderen Grundrechten. Es ist gerade im Zeitalter der Digitalisierung ein wichtiges Grundrecht, aber es gilt nicht schrankenlos.“ Dennoch täte man gut daran, mal einen Moment über Datenschutz nachzudenken, bevor man sich auf die vermeintliche Rettung stürzt. Ob man infiziert, bereits genesen ist oder infolge Impfung nicht mehr an Corona erkranken kann, stellt ein Gesundheitsdatum im Sinne des Art. 4 Nr. 15 DSGVO dar, dessen Verarbeitung nur in eng begrenzten Fällen möglich ist, Art. 9 Abs. 1, 2 DSGVO. Ich fühle mich nicht gerade wohl dabei, der Privatwirtschaft, die ja ansonsten auch nicht gerade durch Datenschutzkonformität glänzt, die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten zu überlassen. Ob die Datensicherheit bei einer App oder einem digitalen Impfausweis wirklich gewährleistet wird, lasse ich mal dahinstehen. Das bisschen Hausrecht Für Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) besteht im Hinblick auf die Privilegien-Diskussion kein Problem: „Es macht einen großen Unterschied, ob der Staat Grundrechte einschränken muss oder ob Private Angebote für bestimmte Personengruppen machen möchten.“ Stichwort: Privatautonomie. Grundrechte sind primär Abwehrrechte gegen den Staat, über eine mittelbare Drittwirkung können sie jedoch durchaus auch Private treffen. Diese Drittwirkung von Grundrechten ist dann relevant, wenn eine zivilrechtliche Norm einen Begriff enthält, der grundrechtliche Wertungen impliziert. Das hieße, § 307 Abs. 1 BGB (Prüfung auf unangemessene Benachteiligung durch AGB), wäre im Geiste des Grundgesetzes zu betrachten. Der Vertragsschluss nur nach Vorzeigen der Impfung/des negativen Testergebnisses könnte entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, weil – mangels wirklicher Freiwilligkeit – ggf. gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen würde. Das pauschale Abschmettern jeglicher Kritik durch Verweis auf das Hausrecht ist also zu kurz gegriffen. Zwei-Klassen-Gesellschaft Auf der einen Seite stehen die in die Normalität zurückgekehrten Geimpften bzw. negativ Getesteten, auf anderen die weiterhin eingeschränkt Lebenden – ist das eine erstrebenswerte Zukunft? Nun wird häufig argumentiert, dass man sich ja impfen bzw. testen lassen könne, dann hätte man auch keine Einschränkungen mehr zu befürchten. Dem möchte ich folgende Gedankenspiele entgegenhalten: • Was ist mit Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, z.B. Allergiker? • Wie sicher ist so ein negatives Testergebnis? Fälschlich als negativ Eingestufte wären fatal. • Woher möchte man wissen, dass das negative Testergebnis zum Zeitpunkt der Wahrnehmung der Grundrechte noch Bestand hat? Mittlerweile könnte man doch positiv und infektiös sein – immerhin dürfte der Krankheitsverlauf bzw. die Geschwindigkeit bei Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Muss man daher unmittelbar vor dem Restaurantbesuch getestet werden? • Ist es auszuschließen, dass mit dem Impfstoff von AstraZeneca Geimpfte nicht anders behandelt werden als diejenigen mit Impfstoff von Biontech/Pfizer? • Wird zwischen Krankenkassen- und Privatpatienten unterschieden? Diese Liste ließe sich wohl ewig fortführen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir wird da ganz mulmig. Kein Plan? Kein Problem… …denn selbst die Bundesregierung tappt im Dunkeln. Noch ist unklar, ob Geimpfte die Krankheit nicht dennoch verbreiten könnten. Wie lange die Impfung hält, weiß ebenfalls kein Mensch. Gegenüber Mutationen könnte die Impfung zudem machtlos sein. So viele Fragen, denen die Politik aus dem Weg geht. Es ist an der Zeit, diese zu stellen. Geplant ist ein Covid-19-Schnelltest, den jeder bei sich zuhause machen kann. Absolut vertrauenswürdig, das Ding. Selbstverständlich würde da nie auch nur einer auf die Idee kommen zu lügen. Selbst die Schnelltests in Apotheken und Arztpraxen dürften innerhalb kürzester Zeit zur Neige gehen. Für jeden Einwohner Deutschlands stehen ca. neun zur Verfügung (Der Bund hat 800 Mio. für dieses Jahr eingekauft). Denkt auch nur irgendeiner mal an die Senioren? Es mag ja die ein oder andere Oma geben, die mit Smartphone, Tablet und Co. jongliert, aber die Mehrheit der über 80-Jährigen dürfte bei digitalen Impfnachweisen sowie Testergebnis-App an ihre Grenzen stoßen. Sorry, Opa. Familienbesuch ist nicht drin für dich, du hast kein Internet. Geschweige denn ein Handy. Letztlich ist auch zu befürchten, dass die Bereitschaft der weiterhin Benachteiligten, sich an die Maßnahmen zu halten, sinken wird. Wenn Menschen zunehmend ohne Maske herumlaufen und Freunde treffen, warum dann nicht auch der Rest? Kontrollieren kann das eh keiner. Große Klappe, aber nichts dahinter In der Politik scheint es zum guten Ton zu gehören, große Reden zu schwingen, ohne auch nur einen Gedanken an die Umsetzbarkeit zu verschwenden. Solange sich die Impfquote der hiesigen Bevölkerung im niedrigen einstelligen Bereich bewegt, ist eine Diskussion über Sonderregeln für Geimpfte entweder bereits vorgegriffen, um die Stimmung hierzulande auszuloten oder pure Ablenkung. Wovon? Eine kleine Auswahl: • Das Impfdebakel geistert noch immer durch die Medien. Diese Blamage lässt sich am besten mit einer Scheindiskussion verdecken, die die Spaltung in begeisterte Befürworter und skeptische Gegner bewirkt. Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte. • Nun, wo Zahlen, Inzidenz und R-Wert gesunken sind, fällt es zunehmend schwerer, die Aufrechterhaltung von Einschränkungen zu rechtfertigen. Selbst der Verweis auf Corona-Mutationen zieht nicht mehr so richtig. Die schrittweise Aufhebung der Grundrechtseingriffe für alle ist aber ein politisches Wagnis: Ein weiterer Lockdown hätte katastrophale Wahlergebnisse zur Folge. Mit dem In-Aussicht-Stellen von Lockerungen für einen Teil der Bevölkerung gibt man jedoch Hoffnung, ohne wirklich Zugeständnisse zu machen. Und Hoffnung ist das, was Vertrauen schafft. Auch in der Wahlkabine. Letztlich rührt die Sonderregel-Debatte die Werbetrommel für die Corona-Impfung. Und wie wir alle wissen, bleibt bei übereifrigen Marketingkampagnen Datenschutz häufig auf der Strecke. – Was ist Ihre Meinung dazu? Halten Sie Sonderregeln für Geimpfte bzw. negativ Getestete für angemessen? Oder würden Sie lieber davon (Corona-)Abstand halten? 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