| Liebe Leserinnen, liebe Leser, |
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vielleicht haben einige von Ihnen sich gestern, am 2. Weihnachtstag, an den 26. Dezember vor 20 Jahren erinnert, als an den Küsten von Indonesien, Sri Lanka, Indien und Thailand ein Tsunami alles verwüstete und 230.000 Menschen starben. Ich habe mich, kurz vor Weihnachten, in Berlin mit der Kostümbildnerin Heike Fademrecht und ihren beiden Söhnen getroffen , die diesen Tsunami in Sri Lanka, wo sie damals Urlaub machten, überlebten. Der 14-jährige Sohn Simon hatte den Thriller „Der Schwarm“ von Frank Schätzing gelesen, der 2004 erschienen war, die Tsunamis, die darin vorkamen, hatten ihn so interessiert, dass er in der Schule ein Referat darüber gehalten hatte. Er wusste, als er damals an den Strand ging, was gleich passieren würde, so dass sie sich retten konnten. | Julia Encke | Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin. | |
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| Die Familie gehört nicht zu den einzigen deutschen Urlaubern, deren Leben damals durch die Kenntnis von Schätzings Buch gerettet wurde. Im Gespräch hat mir der Schriftsteller auch von einem Schweizer Ehepaar erzählt: Der Ehemann ging an den Strand und las dort gerade die Tsunami-Passage im „Schwarm“, schaute vom Buch auf – und sah, wie im Roman beschrieben, das Wasser vor seinen Augen auf unheimliche Weise zurückgehen. Für einen Autor sind solche Überlebensgeschichten natürlich beglückend. Zugleich seien sie auch mit einem Unbehagen verbunden gewesen, sagt Schätzing: Science Fiction lebe ja von der Abstraktion. Dass das Erzählte in der Realität konkret werde, gehöre nicht zum Plan: „Vielleicht haben Sie Steven Spielbergs Version von ,Krieg der Welten‘ gesehen, die Verfilmung von H.G. Wells‘ gleichnamigem Roman“, so Schätzing. „Ein wahrhaft düsteres Panorama eines Genozids, doch das Vergnügen an der Apokalypse ist statthaft, weil die Übeltäter eben keine Nazis, sondern außerirdische Monster sind. In solcher Referenzlosigkeit, in der Komfortzone reiner Fiktion, verletzt man niemandes Gefühle – was sich schnell ändert, wenn die Fiktion uns einholt, überholt.“ In diesem Jahr hat Frank Schätzing seinen Roman „Helden“ veröffentlicht , einige von Ihnen haben ihn sicher schon gelesen. „Helden“ ist die Fortsetzung von „Tod und Teufel“, der bereits 1995 erschienen ist. Ein Mann – es ist der rothaarige Jacop – will darin nach oben, und das in einer Zeit, Mitte des 13. Jahrhunderts, in der eine Umwälzung sich vollzieht und das Altbewährte in Gestalt von Klerus und König erbitterte Verteidigungsschlachten gegen das Neue, gegen die Händler und Kaufleute, ausficht. Wie immer in seinen Romanen hat Schätzing ausgiebig recherchiert, hier vor allem zur Welt der Ökonomie. *** Unsere Leseempfehlungen der Woche: Die Verlagsbranche steht vor einer Disruption: Microsoft und Tiktok haben eigene Imprints gegründet Die Massengräber unter dem Schnee: Sandra Kegel über den Roman „Unmöglicher Abschied“ der Nobelpreisträgerin Han Kang Frank Schätzings neuer Bestseller „Helden“: Ein dezidiert moderner Mittelalter-Roman *** Ob es für ihn beim Schreiben Parallelen zwischen Science Fiction und historischen Romanen gebe, habe ich ihn gefragt. „Eine Menge!“, sagte er. In der Science Fiction spekuliere man – ausgehend von gesicherten Fakten –, wie es möglicherweise werden wird, im historischen Roman, wie es möglicherweise war: „Im einen Fall antizipieren, im anderen rekonstruieren wir“, so Schätzing im Gespräch, „und stoßen verlässlich an dieselbe Grenze. Zwar kann Science-Fiction vorausdenken, wie Gesellschaften in 100, 200, 300 Jahren leben werden, gestatten uns historische Romane Reisen in versunkene Welten, die wir detailgetreu nachbauen. Aber weder können wir wie Bewohner der Zukunft noch der Vergangenheit über ihre jeweilige Epoche denken und empfinden.“ Wir seien Jetztgeschöpfe, sozialisiert in den Moralgebäuden des 20. und 21. Jahrhunderts. Grundlage unserer Annahme, was Menschen gewollt haben oder wollen werden, bleibe unser Wertekanon der Gegenwart, nur hatte man eben im 13. Jahrhundert die Erfahrungen der Neuzeit noch nicht gemacht, sie konnten nicht einfließen in die Urteilsfindung. Frank Schätzing sieht die Herausforderung beim Schreiben historischer oder utopischer Romane vor allem darin, dass man aus seiner Zeit, seinen Denkschemata, aus sich selbst heraustrete und die Welt der anderen durch deren Augen sehe. Je besser das gelinge, desto überzeugender die Fiktion, meint er. Wenn er Vorträge über Transformation halte, verriet er noch, versuche er deshalb auch immer, Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen, indem er daran erinnert, dass die Zukunft nicht existiere. Sie sei ein reines Kosntrukt im Kopf: „Unser einzig möglicher Seinszustand ist das Jetzt, Zukunft ist somit, was jede und jeder als nächstes tut, wodurch wir fortwährend ein neues Jetzt erschaffen! Das ist die Message: Wir alle bauen an der Zukunft mit, in jedem Moment. Jeder hat einen Gestaltungsspielraum.“ Für das neue Jetzt im neuen Jahr wünsche ich Ihnen in diesem Sinne alles Gute, Ihre Julia Encke
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| | | Die Verlagsbranche steht vor einer Disruption: Microsoft und Tiktok haben eigene Imprints gegründet, und gleichzeitig fluten Selfpublishing-Plattformen den Markt mit KI-generierten Titeln. Für Autoren und das Urheberrecht verheißt das nichts Gutes. |
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| | | Am 26. Dezember vor zwanzig Jahren entkam eine deutsche Familie dem Tsunami in Sri Lanka, weil der 14-jährige Sohn Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ gelesen hatte. Und sofort wusste, was gleich passieren würde. Die Fiktion rettete ihr Leben. Eine Begegnung. |
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