Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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4. Juni 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
es gibt Interviews, die man nicht vergisst. Ein knappes Jahr nach der Änderung des Asylgrundrechts im Jahr 1993 habe ich mit dem damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Gespräch darüber geführt, was diese Grundgesetzänderung bewirkt habe.  Kanther äußerte sich hochzufrieden. Wir sprachen auch über den Brandanschlag von Solingen: Drei Tage nach der Asyl-Abstimmung im Bundestag waren bei einem Brandanschlag fünf türkische Frauen und Mädchen von Rechtsextremisten ermordet worden. Den entsetzen Kommentar dazu konnte man damals auf eine Hauswand gesprüht lesen: „Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch“. Kanther sah das anders. Er sagte: „Jetzt kommen nicht mehr 30 000, sondern 10 000 Flüchtlinge (Anm.: im Monat). Das ist immerhin etwas, dieses Ergebnis bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung – die natürlich auch Hitzegrade erzeugt hat.“ Er sagte tatsächlich „Hitzegrade“! 

Zwanzig Jahre lang hatte der Asylstreit bis dahin gedauert. 1973 war im Bundestag zum ersten Mal von Asylmissbrauch die Rede gewesen. Die Debatte darüber hatte sich in den späten Achtzigerjahren ins Orgiastische gesteigert. Über den Artikel 16 des Grundgesetzes wurde geredet, als sei er der Hort von Pest und Cholera. Der sogenannte Asylstreit hat das politische Klima in Deutschland verändert wie kaum eine andere Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik. 

Was Fliehkraft bedeutet 

Davon handelt mein heutiger SZ-Plus-Text („Asylbetrüger … sind nicht Flüchtlinge, die Schutz vor Verfolgung und Hilfe in der Not suchen – sondern die Politiker, die ihnen Schutz und Hilfe verweigern“).  Er zeichnet den Weg nach von der deutschen Grundgesetzänderung im Jahr 1993 zu den EU-Elendslagern von heute und zu den Plänen für die „Festung Europa“, die nun bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung verabschiedet werden sollen. 

 50 Jahre Asylstreit insgesamt. Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstandes. Die EU schützt sich vor ihnen wie vor Straftätern. Sie werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa. Man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung. Deswegen wird aus dem „Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit“, wie sich Europa selbst nennt, die Festung Europa. Die Flüchtlinge, die vor dieser Festung ankommen, sind geflüchtet, weil sie eine Zukunft haben wollen. Sie sind jung, weil nur junge Menschen die Fliehkraft haben, die man als Flüchtender braucht. TV und Internet locken noch in dreckigsten Ecken der Elendesviertel mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Noch bleibt der allergrößte Teil der Menschen, die wegen Krieg, Klimawandel und bitterer Not ihre Heimat verlassen, in der Welt, die man die dritte und vierte nennt. Mehr und mehr aber drängen sie an die Schaufenster, hinter denen die Reichen der Erde sitzen. 

Der Druck vor den Schaufenstern wird stärker werden. Ob uns diese Migration passt, ist nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wie man sie gestaltet. Migration fragt nicht danach, ob die Deutschen ihr Grundgesetz geändert haben und womöglich noch einmal ändern wollen. Sie fragt nicht danach, ob die EU-Staaten sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention hinausschleichen. Die Migration ist da und der Migrationsdruck wird ein ganz großes Thema dieses Jahrhunderts sein. Und das Schicksal zweier Kontinente wird sich darin entscheiden, ob der europäischen Politik etwas anderes einfällt als Abriegelung und Mobilmachung gegen Flüchtlinge.  Seit 1992, seit den „Londoner Entschließungen“ zur Ablehnung von Asylanträgen hat sich EU-Konferenz um EU-Konferenz mit den Bauplänen für die Festung Europa befasst; das Projekt lief immer unter dem Namen „Harmonisierung des Asylrechts“.  Nun, bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung in ein paar Tagen, sollen die Pläne fertiggestellt werden. Es sind keine guten Pläne. Es gibt eine Formel, die eine Schlüsselformel für gute, für bessere Pläne sein könnte: „Asyl ist für Menschen, die uns brauchen. Einwanderung ist für die Menschen, die wir brauchen.“ Es ist dies, es wäre dies der Grundgedanke für eine gute europäische Migrationspolitik. Es braucht eine respektierte Autorität, die sie propagiert.
SZPlus Prantls Blick
Wer die wahren Asylbetrüger sind
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Ich wünsche Ihnen sonnige Junitage. Das Fest „Fronleichnam“ am kommenden Donnerstag ist in etlichen Bundesländern ein Feiertag. „Prangertag“ nannten wir ihn in meiner Kindheit. Ich wünsche Ihnen, dass die Natur prangt – nicht nur dort, wo Feiertag ist.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Kinder und Krieg
Der Frieden ist ausgebrochen
Willi Weitzel ist Moderator von beliebten Kindersendungen im Fernsehen („Willi wills wissen“) und Vater von drei Töchtern. Am Morgen nach dem 24. Februar 2022 kam, so erzählt er, seine Jüngste die Treppe runter und sagte: „Papa, im Kindergarten haben Sie gesagt, da ist was ausgebrochen, aber ich weiß nicht mehr was!“ Die einfachste Antwort war das Wort Krieg, und das, so Weitzel, habe er ihr auch gegeben. Und dann hat sich Willi Weitzel hingesetzt und ein Friedensbuch für Kinder in den Zeiten des Ukraine-Kriegs geschrieben - Verena Wugeditsch hat es schön illustriert. Das Buch ist ein Gespräch zwischen Vater und Kind mit großen Fragen („Wie hört ein Krieg wieder auf“) und kurzen Antworten. Kritiker werden sagen: Dieses Kinderbuch sei zu ansprüchlich, es changiere zwischen zu großer Abstraktion und dann wieder unterkomplexer Elementarisierung. Andere werden sagen, das Buch sei kitschig und überfordere die Kinder. Aber: Der Krieg überfordert auch die Erwachsenen und die Autoren von dicken Sachbüchern. Weitzels Buch ist der höchst respektable Versuch, mit Kindern ins Gespräch zu kommen über Krieg und Frieden. Es ist eine sehr feine Gesprächsanregung.

Willi Weitzel/Verena Wugeditsch: Der Frieden ist ausgebrochen. Das Buch ist bei Bohem erschienen und wird vom Verlag empfohlen für Kinder ab vier Jahren. Es hat 24 Seiten und kostet 15 Euro
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"Letzte Generation"
Ein Dank an die Staatsanwaltschaft
Die besten Helfer der Klimakleber waren und sind die Staatsanwälte von der Generalstaatsanwaltschaft München. Mit ihren überzogenen Ermittlungen gegen „Die letzte Generation“ als  angebliche kriminelle Vereinigung haben sie den Klimaschützern ein Maximum an Aufmerksamkeit beschert - und Sympathien auch bei den Leuten, die die Mittel und Methoden der Klimakleber nicht unbedingt teilen. Weil die bayerische Justiz die Konten der Klimaschützer gesperrt hat, wirbt die Gruppe jetzt um Spenden an den Verein „Gesellschaftsrat jetzt“. Und es hat, so sagt die Gruppe, einen Spendenboom gegeben. Sie kann sich dafür bei der Generalstaatsanwaltschaft bedanken. Seit eineinhalb Jahren kleben sich nun die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation auf Straßen und an Bilder, damit, wie sie sagen, die Menschen endlich aufwachen. Bis zu Durchsuchungsaktionen der Staatanwaltschaft haben sie das nicht geschafft. Die Staatanwaltschaft hat jetzt beim Aufwecken kräftig mitgeholfen. Darüber schreiben Christoph Koopmann und Nadja Tausche am Mittwoch, 31. Mai auf Seite 3 der SZ. Und der Kollege Wolfgang Janisch analysiert in der Freitagsausgabe vom 2. Juni sehr klug und sehr differenziert die rechtliche Situation; er legt ausführlich dar, warum die Klebe-Blockaden aus Sicht des Grundgestzes „friedlich“ sind. Wer darüber hinaus wissen will, wie die Klimakleber das geworden sind, was sie sind und was sie wollen, der lese ihr  Buch: Lina Eichler, Henning Jeschke, Jörg Alt: „Die letzte Generation – das sind wir alle“, das im März im Verlag Droemer Knaur erschienen ist und 18 Euro kostet.
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