alles, was begrenzt ist, ist auch kostbar. Das gilt selbst für die Rückseite von Büchern. Die wenigen Zeilen, die dort Platz finden, sind für den Erfolg eines Buchs mindestens so entscheidend wie Titel und Cover. Das jedenfalls sagen Verlagsleute, wenn man sie fragt. Blurbs heißen diese Kürzest-Texte, die von Autoren, Kritikern oder Presseabteilungen der Verlage stammen und in Tweet-Länge das Kunststück vollbringen sollen, Inhalt und Ton eines Buches zu spiegeln und auch noch zum Kauf zu animieren.
Früher waren es vor allem Verlagsleute, die sich der Herausforderung widmeten, Bücher zu loben, ohne andauernd von „Jahrhundertroman“ zu sprechen. Später dann wurden Sätze aus Literaturkritiken herausgeschnitten und auf den Buchdeckel gedruckt. Inzwischen ist es gängige Praxis, dass Kritiker, aber auch Autorenkollegen bereits vor Erscheinen gefragt werden, ob sie nicht einen Blurb verfassen könnten.
Ein Blick auf die Bücher, die gerade in der Redaktion herumliegen, zeugt vom rückwärtigen Balanceakt. Jörg Hartmann, dessen Buch „Der Lärm des Lebens“ im Handel noch gar nicht erhältlich ist, wird da gepriesen als „Meister des Gegensätzlichen“. „Scharfkantig, trotzdem sensibel“ lauten die versammelten Attribute, „witzig, offen, herzlich“. Man fragt sich, ob die Autoren der Zeilen das Debüt gelesen haben, oder es sich sich um Zitate aus Fernsehkritiken über den Schauspieler handelt, den wir alle als Dortmunder „Tatort“-Kommissar Faber kennen. Ein anderer Roman wird mit den Worten beworben: „Ein Buch wie das große Kino von Ozon und Sorrentino“. Über noch einen anderen heißt es: Der Autor sei ein „Genie“, sein Roman „ein Meisterwerk, das alles auf den Kopf stellen wird“. Schon 1963 attestierte der spätere Verleger Heinz Gollhardt in seiner Dissertation „Studien zum Klappentext“ den „Ruf der Lächerlichkeit“.
Die Lektorin Katja Scholtz hat deshalb für die geneigten Leserinnen und Leser der F.A.Z. ein Glossar zur Dechiffrierung von Blurbs verfasst. Diese überaus lustige Übersetzungshilfe soll uns lehren, zwischen den Zeilen zu lesen, was die Verfasser der Miniaturprosa tatsächlich meinen: „nachdenklich“ bedeutet demnach „langweilig“, „zu Herzen gehend“ meint „kitschig“, und „eindringlich“ will in Wahrheit sagen, dass das Buch völlig humorlos ist.
Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels hatte mal den Berater einer Firma befragt, mit der Verlage gern zusammenarbeiten, um ihre Zielgruppen zu identifizieren. In der heiklen Rückseitenangelegenheit hat dieser eine „tierische Kundentypologie“ der Buchkäufer entwickelt: Der „Hai“ will demnach nur „Fakten, Fakten, Fakten“, die „Eule“ dagegen ist „traditionsbewusst“, die „Giraffe“ schätzt das Besondere, sie „will Geheimtipps, keine Besteller“. Das „Pferd“ unter den Lesern hingegen „sucht die Nähe zu anderen, ist familienorientiert, will auf der Gefühlsebene angesprochen werden – und steht für die größte Gruppe der Leser. Für diese Klappentexte gilt: keine Angst vor Emotionen!“
Sie können nun selbst überlegen, ob Sie sich in einer dieser Kategorien wiederfinden, ob Sie beim Buchkauf eher Haifisch-Anlagen mitbringen oder es lieber mit dem Pferd halten. Bevor Ihnen bei all dem Geklapper die Bücher aus der Hand fallen, widmen Sie sich lieber dem neuesten Literaturrätsel von Jürgen Kaube . Die Fragen jedenfalls – „Kann man einen Roman über eine einzige Minute schreiben?“, „Wer hat die Abhandlung über den Chronometer geschrieben?“ – lassen sich nicht anhand von Blurb-Lektüren lösen. Da muss schon die ganze Romanstrecke gekannt werden. Nur deshalb wurden diese Bücher geschrieben. Hätte der Autor sich kürzer fassen können, hätte er keinen Roman verfasst, vielleicht nicht mal einen Klappentext. Schicken Sie uns gern die schlimmsten oder lustigsten Blurbs, die Ihnen untergekommen sind an [email protected].
Jede Woche fragen wir Menschen aus dem Kulturbetrieb, was sie lesen und welches Buch in ihrem Schrank sie ganz bestimmt nicht lesen werden. Diesmal antwortet die Kommunikationswissenschaftlerin und Buchautorin Miriam Meckel.
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