Urheberrechtlich nichts Gutes, ist unser erster Reflex. Denn die KI stiehlt sich natürlich ihre Motive, Formen, Sätze und Bilder aus den Archiven des Internets zusammen, um sie zu einem neuen Stück zu kombinieren. Man kann sie sogar damit beauftragen, etwas im Stil von Balzac, Billy Wilder oder Banksy hervorzubringen. Wir werden sehen, welche Fortschritte sie dabei macht, aber wir dürfen sicher sein, dass sie Fortschritte machen wird. Erinnern wir uns an die Schachcomputer.
Jürgen Kaube
Herausgeber.
Sollen wir darüber Klage führen? Kopieren war auch bei der natürlichen Intelligenz, die sich Menschen zuschreiben, gang und gäbe. Molière schrieb einen „Amphytrion“, Kleist schrieb den seinen ihm nach, und als Jean Giraudoux 1929 eine Komödie mit demselben Stoff publizierte, nannte er sie „Amphytrion 38“, weil er die vorliegenden Fassungen gezählt hatte. Neulich berichteten wir über einen Urheberrechtsprozess , bei dem es um die Umnutzung einer Fotografie durch Andy Warhol ging, der sie ein wenig koloriert hatte, womit, wie seine Rechteverwerter behaupteten, ein Original geschaffen war. Und so weiter und sofort. „Unreife Dichter imitieren, reife Dichter stehlen“, meinte der Lyriker T.S. Eliot, fügte allerdings hinzu, dass die reifen Dichter ihr Diebesgut in einen neuen, einzigartigen Zusammenhang einfügen.
Kurz: Literatur lebt sowohl von Wiederholung wie von Überraschung. Wir können das gut an der sogenannten Genre-Literatur beobachten. Der Kriminalroman etwa wiederholt seit 150 Jahren das Schema „Leiche – Detektiv – Spuren – Widersprüche – Überführung des Täters“, und seine Leser können nicht genug davon bekommen. Mit anderen Worten ist ein Teil der Tätigkeit der Kriminalautoren ebenfalls mechanisch. Sherlock Holmes hat Doktor Watson, Nero Wolfe hat Archibald Goodwin – aber wollten wir hier von einem Plagiat sprechen? Wenn der KI nun auffiele, dass viele Detektive einen Assistenten haben, den sie ständig belehren, würde sie das womöglich für ihre „Künstliche Investigation“ nutzen. Dürften wir uns beschweren? Wir haben es ihr vorgemacht.
Liebe Leser und Leserinnen, ich wollte mit diesen Hinweisen nur anzeigen, dass die Fragen der Originalität und des Bedürfnisses nach Einzigartigem bei uns Lesern komplizierte Fragen sind. Angst davor, die Maschine ersetze die Autoren demnächst, müssen wir nicht haben. Sie ersetzt womöglich nur diejenigen Autoren, die selbst zu berechenbar schreiben. Wenn ich eine Wette abschließen müsste, würde ich darauf setzen, dass William Shakespeare und John Donne, Marcel Jouhandeau und Julien Gracq, Gerald Murnane, Emily Dickinson und Wendy Cope noch ein paar Jahrzehnte davor sicher sind, von der Künstlichen Intelligenz eingeholt zu werden.
Das Otfried-Preußler-Gymnasium in Oberbayern will nicht mehr nach dem Schriftsteller benannt sein. Die Gründe dafür sind nur schwer nachvollziehbar. Von Tilman Spreckelsen
Die Schriftstellerin Ronya Othmann wurde nach einem offenen Brief von Aktivisten und nach Hetze in sozialen Medien vom Karachi Literature Festival ausgeladen. Nun reagiert das Goethe Institut, das sie mit eingeladen hatte – drei Tage später. Von Julia Encke
Jil Sander hat der selbstbestimmten Frau eine ideale Garderobe auf den Leib geschneidert. Hochwertige Materialien, reduziertes Design. Warum sie ihrer Zeit voraus war, erklärt Maria Wiesner. Von Kai Spanke
So wie Kunst über Jahrhunderte der Natur nachempfunden wurde, produziert Künstliche Intelligenz nach der Vorlage der Kultur. Ein Gastbeitrag mit ein paar Antworten auf verbreitete Vorbehalte. Von Viktoria Kraetzig und Jannis Lennartz
Jede Woche fragen wir Menschen aus dem Kulturbetrieb, was sie lesen und welches Buch in ihrem Schrank sie ganz bestimmt nicht lesen werden. Diesmal antwortet der Pianist Kit Armstrong.
Die zahlreichen Anti-Woke-Bücher spiegeln vor allem die unsichere Gefühlswelt der Etablierten. Die Empirie zeigt: Unsere Gesellschaft ist nicht so gespalten, wie viele behaupten. Von Carolin Amlinger
Das Gute wird ausgemerzt: Die Neuverfilmung von Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ elektrisiert das russische Publikum. Die Teufeleien im Moskau der Stalinzeit erscheinen wie ein Spiegel der Gegenwart. Von Kerstin Holm
Die Schuldfrage wird nach der Verhaftung geklärt: Karin Henkel inszeniert Franz Kafkas Romanfragment „Das Schloss“ am Münchner Residenztheater. Von Hannes Hintermeier
Vor 125 Jahren wurde er geboren, vor 50 Jahren ist er gestorben: Erich Kästner hat in seinen berühmtesten Figuren wie Fabian oder Emil und den Detektiven soziale Konflikte gezeigt, die uns auch heute beschäftigen. Ein Gastbeitrag. Von Markus Steinmayr
Der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann ist tot. Er starb in Konstanz nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren. Ein Nachruf. Von Patrick Bahners
Dieser Bäckersohn kennt alle Zutaten zum seligen Leben: Dem Schweizer Mystikforscher Alois M. Haas ist der seltene Brückenschlag zwischen Wissenschaft und öffentlicher Wirksamkeit gelungen. Heute wird er neunzig Jahre alt. Von Oliver Jungen
Hörgeschichtsbuch von 1945 bis 2000 ohne Deep Fake-Gefahr: Der zweite Teil des großen „Jahrhundertstimmen“-Projekts zeigt berührend die Last der deutschen Geschichte. Von Wolfgang Schneider
Der Tag, an dem er Felice Bauer traf: Franz Kafkas Schreiben ist einem Leben abgetrotzt, das unter ganz anderen Auspizien begonnen worden war. Rüdiger Safranskis Studie fragt nach dem Schreiben Kafkas als innre Notwendigkeit. Von Tilman Spreckelsen
Der politische Islam erschließt sich immer mehr Territorien, auch in Europa. Wo künftig sein Zentrum liegen könnte, untersuchen die Autoren eines Sammelbandes. Von Thomas Thiel
Ist überhaupt noch Verständigung möglich? Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk versucht den Universalismus gegen einen drohenden Kampf der Identitätsgruppen zu verteidigen. Von Mark Siemons
Bits und Gene als Bausteine: Mustafa Suleyman denkt darüber nach, welche Risiken sich rasant entwickelnde Technologien wie Künstliche Intelligenz und synthetische Biologie bergen. Von Friedemann Bieber
Von seiner Sorte könnten wir heute wahrlich mehr gebrauchen: Der Verfasser dieses Gedichts war ein heimatverbundener Weltbürger, voller Zuversicht und Heiterkeit. Von Detlev Schöttker
Bald siehst du Sterne, bald hörst du Geigen: Arne Rautenberg rät allen, die noch zaudern, in einem wunderschönen Mutmachbuch mit Bildern von Wolf Erlbruch, ruhig auch mit den dicksten Ochsen in den Ring zu steigen. Von Jan Wiele
Es hat verheerende Folgen, dass sich der moderne Mensch im Gegensatz zur Natur versteht: Sascha Mamczak und Martina Vogl zeigen in ihrem neuen Jugendsachbuch, dass der Mensch Teil des Lebensnetzes ist, das er zerstört. Von Fridtjof Küchemann
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