Weihnachten steht vor der Tür. Die Zeit, in der mehr Bücher gekauft, verschenkt und gewiss auch gelesen werden als während des restlichen Jahres. Selbst diejenigen, die gern Selbstgemachtes unter den Baum legen, sind bei Büchern richtig. Denn so professionell diese von Verlagen auch aufbereitet werden, bleiben sie Eigenproduktionen, kaum anders als vor hundert Jahren: Ein Mensch hat eine Idee, greift zu Papier und wahlweise Stift, Schreibmaschine oder Computer und legt los.
Mit dem Aufkommen von KI ist dieses Arbeitsmodell neuerdings unter Druck geraten. Das hätte sich wohl selbst Enzensberger nicht ausmalen können, dass sein legendärer „Poesieautomat“, der auf Knopfdruck lyrische Texte produzieren kann, heute von der Wirklichkeit derart überholt werden würde. Von Enzensberger in den Siebzigerjahren zunächst nur als Idee formuliert, nahm sein Automat im Jahr 2000 tatsächlich Gestalt an. Er steht heute in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall.
Sandra Kegel
Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton.
Das Aufkommen moderner Chatbots wie ChatGPT oder Midjourney, die Texte und Bilder in Sekundenschnelle fabrizieren, stellt den Buchmarkt vor tiefgreifende Veränderungen. Nicht nur Kochbücher kommen auf den Markt, deren Rezepte niemand je zuvor ausprobiert hat, weil sie von Maschinen erdacht wurden. Auch die Fotos der Gerichte sind Fiktion – nur essen muss der Mensch noch selbst. Inzwischen finden sich überall solche Mensch-Maschinen-Elaborate, so dass die Erkundigung, ob ein vorgelegter Text auch wirklich selbst verfasst wurde, inzwischen Standard ist.
Fragt man beim Frankfurter Verleger Joachim Unseld nach, wird während des Gesprächs klar, wie sehr das Thema die Branche umtreibt. „Schauen Sie sich nur das Thema Übersetzungen an“, sagt er. Die hätten sich in den vergangenen Jahren derart verbessert durch KI, dass es heute eine regelrechte Konkurrenzsituation gebe zwischen Mensch und Maschine. Wie man Menschen- und Maschinengemachtes voneinander unterscheiden kann, ist daher für den FVA-Verleger auch die Schlüsselfrage der Zukunft. Zumal wir, wenn wir uns nur noch auf die Algorithmen verlassen, stehenbleiben würden, da sie ja nur bereits Vorhandenes perpetuierten und wiederholten, während die Kreativität menschlichen Schreibens weit darüber hinausgehe. Das gilt für heute: „Aber ich weiß nicht“, so Unseld weiter, „wie diese Maschinen lernen – und ob sie irgendwann in der Lage sein werden, über die Kombinatorik hinaus wirklich kreativ zu arbeiten“.
Experimente finden gerade überall statt. Sei es mit der Toniebox, die millionenfach in deutschen Kinderzimmern steht und Märchen für kleine Zuhörer erfindet, die mit computergenerierter Stimmen vorgelesen werden. Sei es bei einem seriösen Wissenschaftsverlag wie Springer Nature, der unlängst ein Wirtschaftsfachbuch von ChatGTP gemeinsam mit Autoren hat verfassen lassen, um herauszufinden, wie man davon profitieren könne. Amerikanische Schriftsteller wie Jonathan Franzen, Dan Brown und Margaret Atwood streiten derweil vor Gericht gegen die Nutzung ihrer urheberrechtlich geschützten Werke. In einer Sammelklage wollen sie die Betreiberfirma OpenAI darauf verpflichten, ihre Arbeiten nicht ohne Zustimmung, Quellenangabe und Vergütung zu nutzen.
Die Bestsellerautorin Zoë Beck kann der KI wiederum auch Positives abgewinnen. Bei Schreibblockaden zum Beispiel könne es hilfreich sein, sich auszutauschen, bekannte sie neulich, am besten mit einem Gegenüber, und warum nicht mit ChatGPT? Auch die Literaturwissenschaft hat das „kollaborative Schreiben“ als Forschungsgebiet für sich erkannt. Dass die Erfindung leistungsfähiger KI gerade nicht zum Ende der Literatur führt – , davon ist Christian Metz im Gespräch mit der F.A.Z. überzeugt. Vielmehr begründe sie „faszinierende poetische Kooperationen, in denen zwischen Mensch und Maschine ganz neue Gefühls- und Stilgemeinschaften ausbuchstabiert werden“, sagt der Aachener Literaturwissenschaftler, der sich von literarischen Experimenten wie etwa Jörg Pirnaers „günstige Intelligenz“ beeindruckt zeigt.
Die Vorstellung also, dass wir es in diesem Winter mit einem Schneeballsystem zu tun haben, in dem Fake-Autoren Fake-Texte verfassen, die von Fake-Lesern gelikt werden und doch nur Phantome sind, ist womöglich selbst schon wieder ein Schauermärchen. Fragt man bei Chat GPT nach, ob KI den Buchmarkt zerstöre, erhält man vom KI-Assistenten zur Antwort, dass er keine persönlichen Meinungen haben könne, aber „ich kann dir sagen, dass Künstliche Intelligenz zweifellos Auswirkungen auf den Buchmarkt hat, insbesondere im Bereich des digitalen Publizierens und des E-Books. Es ermöglicht beispielsweise automatisierte Übersetzungen, personalisierte Empfehlungen und verbesserte Suchalgorithmen. Allerdings gibt es auch weiterhin eine starke Nachfrage nach gedruckten Büchern und das Lesen als kulturelle Praxis bleibt bestehen.“
Damit sind wir ganz einverstanden. Und empfehlen Ihnen Bücher fürs Weihnachtsfest. Sie lassen sich auch viel besser einpacken als ein Algorithmus.
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