Liebe Frau Do, das sperrige Wort von der Exit-Strategie hatten wir an dieser Stelle schon einige Male. Gemeint ist das Nachdenken darüber, wie und vor allem wann die geltenden Einschränkungen für uns alle zurückgenommen werden sollten. Die Bundeskanzlerin findet, noch sei es zu früh, über Lockerungen überhaupt nur nachzudenken. Nun widerspricht Angela Merkel einer der Männer, die ihr nachfolgen möchten: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet fordert in einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“, man müsse schon jetzt nach vorne schauen. „Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch.“ Welche Anforderungen diese erfüllen müsste, hat unsere stellvertretende Chefredakteurin Eva Quadbeck in ihrem Leitartikel aufgeschrieben. Einer, der sich über den Vorstoß freut, ist Düsseldorfs OB Thomas Geisel, der in einem Gastbeitrag in der Rheinischen Post schon vergangene Woche ähnlich argumentiert hatte. Ich habe daraufhin viele kritische Zuschriften bekommen und bin nicht sicher, ob die Bundeskanzlerin nicht doch recht hat. Aber ich schätze den politischen Schlagabtausch, erst recht, wenn er wie hier wirklich relevanten Themen gilt. Ganz offensichtlich führt die Krise aber zu mehr Einigkeit in der Gesellschaft. Jedenfalls könnte die Groko zum ersten Mal seit fast zwei Jahren mit einer Mehrheit rechnen, wenn am Sonntag gewählt würde. Vor allem profitiert allerdings die Union, und was das für die K-Frage bedeutet, hat Eva Quadbeck recherchiert. Um welche Dimension es bei dieser Krise geht, hatte die Bundeskanzlerin deutlich gemacht, als sie von der größten Herausforderung „seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg“ sprach. Auch Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz spricht von der größten Belastung der Nachkriegszeit für die Bundesrepublik. Unser Politikchef Dr. Martin Kessler hat sich in seiner Analyse um eine historische Einordnung bemüht. Der große Vorteil dieser Krise sei, dass sie berechenbar sei, schreibt er. Aber dank ihrer Jahrhundertdimension könne der später notwendige Lastenausgleich Jahrzehnte dauern. Wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt, klingt Exit-Strategie geradezu niedlich. Überhaupt nicht niedlich ist, was derzeit einige große Einzelhändler treiben: Weil die Krise auch sie trifft, zahlen sie einfach ihre Miete nicht. Sollen doch andere den Schaden haben. Die Gesetzeslage gibt das dank der Krisenbeschlüsse her, auch die Mietverträge haben möglicherweise entsprechende Klauseln – aber was legal ist, muss nicht legitim sein. Adidas hat flugs klargestellt, dass man privaten Vermietern doch nichts schuldig bleiben will. Unsere Wirtschaftschefin Dr. Antje Höning zeigt in ihrem Leitartikel klare Kante gegen solche Schamlosigkeiten in der Krise. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans erkennt ein Verhalten „jenseits allen gemeinschaftlichen Anstands“, wie er unserer Redaktion sagte. Vermissen Sie eigentlich die Fußball-Bundesliga? Morgen soll eine Entscheidung fallen, wie es weitergeht. Gianni Costa und Patrick Scherer haben recherchiert, wie die Stimmungslage bei den Vereinen ist. Die Mehrheit scheint dafür zu sein, die Saison in Geisterspielen durchzupeitschen. Nun bin ich kein großer Fußballexperte. Aber in den vergangenen Wochen habe ich gelernt, dass in dieser Krise nur Demut hilft. Für mich macht die Bundesliga ohne Zuschauer in den Stadien keinen Sinn. Klar, dann haben wir in Zeiten der Kontaktsperren wieder spannenderes Fernsehen, einverstanden. Aber warum überträgt die Bundesliga nicht gleich die Videospiele der E-Sport-Ableger ihrer Vereine? Dann können sie sich die teuren Spieler sparen, und spannend ist das auch. Nein, das war nicht ernst gemeint. Aber ich bin dafür, die Sehnsucht nach dem Ende der Krise nicht mit Unfug zu füllen, den man nachher nicht mehr los wird. Genießen Sie, was der Tag und die neue Woche an guten Dingen bringen. Die schlechten ärgern uns schließlich von alleine. Herzlich Ihr Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |