| | | | | 9. Juni 2024 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | âEs gärt in Europa. Ob es Wein oder Essig werden wird, ist ungewissâ. Der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg hat diesen Satz vor gut 230 Jahren während der Französischen Revolution notiert. Seine Beobachtung gilt heute für die Europäische Union. Es gärt in Europa. Eine nationalistische Front macht quer durch Europa Front gegen Europa. Sie macht Front gegen die Werte der Aufklärung, gegen die Achtung von Minderheiten. Sie macht Front gegen ein Europa der offenen Grenzen. Sie sucht das Heil also wieder dort, wo einst das europäische Unheil begonnen hat. Aber je mehr eine Zivilisation sich einmauert, desto weniger hat sie am Ende zu verteidigen. Europa hat Fehler, es macht viele Fehler. Und trotzdem ist es so viel mehr als nur die Summe seiner Fehler. Die europäischen Verträge sind die Ehe- und Erbverträge ehemaliger Feinde. Die Europäische Union wurde gebaut aus überwundenen Erbfeindschaften. Es ist die späte Verwirklichung so vieler Friedensschlüsse, die den Frieden dann noch nicht gebracht haben. Es ist ein welthistorisches Friedensprojekt. Und es wäre beglückend, wenn Europa nicht nur seine Waffen, sondern auch seine Befriedungspotentiale in der Ukraine zum Einsatz bringen könnte. Europa â wir zagen nicht, trotz alledem Wir kennen die Weltwunder der Antike: die Hängenden Gärten der Semiramis, den Koloss von Rhodos, das Grab des Königs Mausolos, den Leuchtturm auf der Insel Pharos, die Pyramiden von Gizeh, den Tempel der Artemis in Ephesos, die Zeus-Statue von Olympia. Ein Weltwunder der Neuzeit ist die Europäische Union, ein Weltwunder ist die demokratische Versammlung der Europäerinnen und Europäer, also das Europäische Parlament, das gerade neu gewählt wird. Es ist weltweit die einzige direkt gewählte supranationale Organisation. Eine solche Versammlung hat es in der Weltgeschichte noch nicht gegeben. Es ist ein Parlament, in dem kluge Köpfe sitzen, in dem geistreich debattiert wird, in dem die Kunst der vielsprachigen, aber kurzen und klaren Rede herrscht. Die Europäerinnen und Europäer sollten diese Debatten in Liveübertragungen erleben. Dann kann man, dann könnte man sehen, wie die Parlamentarier mit den Kommissaren aus Brüssel und ihren Apparaten, wie sie mit dem EU-Ministerrat ringen, wie sie klagen und hoffen, wie sie resignieren und beschwören, wie sie sich eloquent weigern, ein kaltes Europa des Freihandels und des Geldes zu akzeptieren.
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| | | Es gärt in Europa. Wird es Wein oder Essig? | | |
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| Das Europäische Parlament braucht nicht nur mehr Kompetenzen, es braucht Repräsentativität: Die Europawahlen müssen künftig aus den nationalen Kontexten herausgelöst, sie müssen europäisiert werden. Das Europäische Parlament ist ja nicht mehr, wie früher, die Vertretung der europäischen Völker, sondern die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten. Das Wahlrecht hat dies noch nicht nachvollzogen, die Abgeordneten des Parlaments werden immer noch nach den nationalen Wahlrechten gewählt. Solange die gewählten europäischen Repräsentantinnen und Repräsentanten sich nur gegenüber den Wählern ihrer Heimatländer verantworten müssen, bestimmen nationale Befindlichkeiten, nationale Egoismen, nationale Taktiken und kurzatmige nationale innenpolitische Themen ihre Agenda â nicht aber das europäische Gemeinwohl. Europa braucht bei der nächsten Europawahl ein einheitliches europäisches Wahlrecht. Ferdinand Freiligrath, der deutsche Revolutionär, hat 1848 geschrieben. âDoch sind wir frisch und wohlgemut. Und zagen nicht trotz alledem!â Das wünsche ich mir, das wünsche ich uns für Europa. Ihr
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| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
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| | | | | | | | | Die EU-le - Musik ist eine verbindende Kraft | | Deshalb hat der britische Kinderbuchautor und Illustrator Rob Biddulph beschlossen, sämtliche EU-Länder als Musikinstrumente darzustellen. Sie alle spielen gemeinsam die âOde an die Freudeâ also die Europahymne. Ausnahme ist GroÃbritannien, das Vereinigte Königreich, das als einsamer Trompeter aus dem Abseits zusieht. Der Illustrator zitiert einen amerikanischen Schriftsteller: âNiemand kann allein eine Symphonie pfeifen. Um sie zum Klingen zu bringen, bedarf es eines ganzen Orchesters.â Das Orchester-Bild findet sich im schönen Buch âZeichnen für ein Europaâ, erschienen 2019 im Verlag Beltz & Gelberg. Das Vorwort hat Axel Scheffler (Bild oben) geschrieben. Er hat die Europa-Bilder von 45 Illustratorinnen und Illustratoren zusammengetragen â herauskommt ein âleidenschaftliches Plädoyer für Freiheit, Toleranz und Vielfaltâ, wie es auf der Rückseite des Buches zu Recht heiÃt. Scheffler ist bekannt als Illustrator des Bilderbuch-Klassikers vom Ungeheuer âGrüffeloâ, das sich vor der kleinen Maus fürchtet. Axel Schefflers Vorschlag für ein europäisches Wappentier ist übrigens die EU-le â âweil sie als Symbol der Weisheit und griechische Göttin Athene stehtâ. Er hat sie auch gleich gemalt. Axel Scheffler, Zeichnen für ein Europa. Bilder von 45 Illustratorinnen und Illustratoren. Verlag Beltz & Gelberg, 2019. Das Büchlein kostet 12,95 Euro | | | | |
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| | | | | Jeden Tag einen Marathon | | Das müssen Sie lesen: Die Kollegin Tina Baier hat ein hoch informatives, spannendes und packendes Stück geschrieben über âDie dunkle Seite der Milchâ. Auch in den besten Betrieben haben Milchkühe ein hartes Berufsleben. Mit durchschnittlich 4,7 Jahren sind sie ausgelaugt und werden geschlachtet. Dabei könnten Kühe eigentlich bis zu 20 Jahre alt werden. Tina Baier fragt, ob man Milch überhaupt tierfreundlich produzieren kann. Das Stück über die Milch, die Kühe und die Milchbauern finden Sie im âWissenâ der Wochenendausgabe. | | | |
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| | | | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Ãberblick | |
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