| Guten Morgen, ein Zeichen setzen müsse man jetzt, sagte Michael Müller gestern Vormittag, als hinter verschlossenen Senatstüren erneut heftig gestritten wurde. „Wir können jetzt nicht hier rausgehen und sagen: Wir warten noch mal drei Tage ab“, soll der Regierende wütend vor allem in Richtung des Grünen-Justizsenators gesagt haben, der sich die rasant steigenden Corona-Zahlen gern noch ein wenig länger angeschaut hätte. Es musste auf Chefebene beraten und vertagt werden, bis das Zeichen ganz von selbst kam: Zwanzig Minuten vor der anberaumten Sondersitzung am Nachmittag sprang die zweite Corona-Ampel auf Rot und auch dem Letzten wurde klar: Der Sommer ist vorbei, Berlin hat seine Freiheit verspielt. All das Zusehen, Wegsehen, Hoffen, dass wir vielleicht besser durchkommen als Madrid und Paris, wo schon wieder Lockdown ist – es hat nichts geholfen. Die Realität kommt mit all ihrer Härte zurück und die sieht ab Samstag, 0 Uhr, bis mindestens 31. Oktober, so aus: Zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens müssen Gaststätten, Bars, Supermärkte und Spätis schließen, Tankstellen dürfen nur noch Fahrzeuge betanken. Treffen dürfen sich in dieser Zeit nur fünf Personen auf einmal oder Personen aus zwei Haushalten. „Ausschank, Abgabe oder Verkauf von alkoholischen Getränken zwischen 23 Uhr und 6 Uhr des Folgetages“ sind laut Bußgeldkatalog mit einer Strafe von 5000 bis 10 000 Euro zu ahnden und Lokalitäten bei Renitenz zu schließen, sagte Behrendt. „Wir bringen die Stadt zur Ruhe.“ Beruhigen musste sich zunächst allerdings erst einmal Müller selbst, der leicht rotbackig am frühen Abend zurückkeilte in Richtung der Spahns und Söders, die ihm zuletzt in seine Stadt hineingepoltert hatten (Söder gestern: „Ich befürchte, das ist am Rande der Nicht-mehr-Kontrollierbarkeit“). „Unerträglich“ sei es, „wie einige hier Haltungsnoten vergeben. Diejenigen, die sich eigentlich sonst nicht für Berlin interessieren und auf einmal ganz genau wissen, wie die Situation in Berlin ist und was hier zu tun ist.“ Müller führte die lange Liste der Großstädte auf, in denen die Zahlen ähnlich infektiös sind wie hier (München, Köln, Frankfurt/Main, Essen, Bremen). „Wer kann eigentlich mit dieser Grundlage mit dem Finger auf wen zeigen?“ Kurz mal umgesehen: Alle aufeinander. Denn an der Ausbreitung der Pandemie sind die Unvernünftigen ebenso schuld wie jene, die sie den Sommer über durch mangelnde Kontrollen und zu viel (Nach)Lässigkeit haben gewähren lassen. Dass nun Gastronomiebetriebe und Bars eingeschränkt werden, erscheint auf den ersten Blick ungerecht, da doch vor allem private Feiern in geschlossenen Räumen das Infektionsgeschehen zu treiben scheinen – Treffen mit Freunden, Hochzeiten, Geburtstage: Auch sie dürfen ab Sonnabend drinnen nur noch mit maximal zehn Leuten stattfinden. Den symbolischen Effekt der Sperrstunde sollte man aber nicht unterschätzen: Den Lockdown ins Gefühl zurückrufen. War da nicht etwas? Die Gastronomen trifft es nun vor allem, weil wirklich niemand kontrollieren kann, ob drinnen nur Schnitzel serviert werden oder auch Shots. Werden nicht noch heute in vielen Raucherkneipen die Buletten unterm Tresen gereicht? Mit der Freiheit, das haben die letzten Wochen gezeigt, kann Berlin nicht umgehen. Es gehört zur Folklore dieser Stadt, dass sie sich nicht an die Regeln hält. Und wenn niemand kontrolliert, wird Ansteckung serviert. Nun heißt es: Den Aufwand minimieren. Licht aus? Weiterfahren. Damit sich Barbetreiber nicht zwischen Konkurs und Illegalität entscheiden müssten, kündigte Kultursenator Lederer (Linke) finanzielle Hilfe an. Behrendt allerdings konkretisierte: Für Bars, aber nicht für Restaurants. Die hätten ihr Geschäft um 23 Uhr schließlich bereits gemacht. Die gebeutelten Gastronomen würden ihm dafür vermutlich gern ein liegengebliebenes Steak um die Ohren hauen. Nicht nur, dass viele im Normal-Berlin bis weit nach Mitternacht brutzeln, sie haben aufgrund von Abstandsregeln, fehlenden Touristen und allgemeiner Zurückhaltung bei Genuss und Geld in den vergangenen Monaten große Verluste erlitten. Und gestern kündigte nun auch noch Berlins oberste Touristenwerber von Visit Berlin an, bis auf Weiteres keine Touristen mehr werben zu wollen. Wenn die Herren Regiermeister und Senatoren auch im nächsten Jahr nach der Senatssitzung noch gepflegt speisen wollen, vegetarisch oder nicht, dann sollten sie hier noch mal über einen zweiten Gang nachdenken. Lauwarm schmeckt nur Kartoffelsalat, und den leckersten gibt’s leider in Bayern. | |