Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
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14. April 2023
Deutscher Alltag
Guten Tag,
als diese Woche der FC Bayern – keine Sorge, dieser Text fängt nur aus dramaturgischen Gründen mit Fußball an – gegen Manchester verlor, dachte ich an Bertolt Brecht. Der hatte 1953 mit einem Gedicht auf ein Flugblatt des stalinistischen Schriftstellerverbands der DDR reagiert, in dem es hieß, das Volk habe das Vertrauen der Regierung verscherzt, weil es am 17. Juni auf den Straßen protestiert habe. Dieses Vertrauen müsse das Volk nun, schrieb der Flugblattverfasser Kurt Barthel, ein extrem linientreuer Parteidichter, „durch verdoppelte Arbeit zurückerobern“. Brecht beantwortete das mit dem Jahrhundertsatz: „Wäre es da / Nicht einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?“

Ja, wäre es nicht auch einfacher, der Vorstand des FC Bayern löste die Mannschaft auf, anstatt in immer kürzeren Abständen immer teurere Trainer zu engagieren? Offenbar liegt beim FCB das Problem ähnlich wie damals beim DDR-Volk: Die Leute verhalten sich nicht so, wie es die Regierung will, ganz egal ob gerade Walter Ulbricht oder Thomas Tuchel der Cheftrainer ist. Und das, obwohl doch die Regierung, jedenfalls glaubt sie das, nur das Allerbeste für das Volk, also die Mannschaft, gar die Fans will?

Nun gibt es seit 1953 gewisse Fortschritte, unter anderem den, dass bei deutlichem Nichtfunktionieren des Volkes erst mal der Chef (oder auch die Chefin) ausgewechselt wird. In der DDR gab es, lässt man den schönen, späten Egon weg, in 40 Jahren nur zwei Chefs. Beim FCB waren es in den letzten zehn Jahren (einschließlich des Zwei-Wochen-Trainers Willy Sagnol) acht Trainer. Das deutet darauf hin, dass die Bayern von der DDR gelernt haben. Allerdings offenbar nicht genug.

Das Auswechseln der Führung gilt auch außerhalb des Fußballs immer noch als eine beliebte Methode, die performance zu verbessern. Das sehen Betriebsrat und Aufsichtsrat erstaunlicherweise oft ähnlich, wenn auch aus verschiedenen Motiven, um nicht zu sagen: Weltanschauungen. Die durchschnittliche Betriebsrätin ist davon überzeugt, dass die Fehler so gut wie immer vom Management gemacht werden. Nichts ist einfacher, als der Belegschaft zu erklären, der Geschäftsführer habe, wie das jüngst beim FC Bayern hieß, die Kabine verloren, also das Volk. (Jaja, Metaphern sind oft nur zu 57 Prozent treffsicher, weil zum Beispiel das Mannschafts-Volk beim FCB Lambo fährt, das Volk bei der Stadtreinigung dagegen Fahrrad.) Dennoch meint der Betriebsrat oft, dass der Chef ausgewechselt werden muss. Ach, denkt die Betriebsrätin, das Management ist schuld.

Der Aufsichtsrat sieht das ebenfalls oft nicht anders. Der durchschnittliche Aufsichtsrat grübelt auf den langen Fahrten zwischen den venues seiner diversen Aufsichtsratsmandate im Fond seines A8 oder Siebener vor sich hin, ob und wann es denn nun Zeit wird, den Dr. Dings abzulösen. Die Umsatzrendite ist nicht so, wie sie sein sollte, und schon gar nicht so, wie sie die Eigner, vor allem der eine, haben wollen. Die Kosten sind eigentlich auch nur marginal gesenkt worden (was beim FCB ungefähr dem frühen Ausscheiden aus dem Pokal entspräche). Und ob das Konzept Factory 2030 wirklich mehr ist als nur beratergetriebenes Präsentationsgeplapper? Ach, denkt der Aufsichtsrat, das Management ist schuld.

Also wird der Mann an der Spitze (in letzter Zeit auch häufiger die Frau) in manchmal stillem Einvernehmen von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung abgelöst. Das ist teuer. Aber immerhin geschieht was. Nicht immer, aber relativ häufig tritt dann mehr oder weniger schnell – siehe 0:3 gegen Manchester – die Ernüchterung ein, dass auch der Neue irgendwie Walter Ulbricht und eher weniger Jupp Heynckes mit anderen Mitteln ist. Die Betriebsrätin fühlt sich bestätigt: Das Management ist schuld, schon wieder. Der Aufsichtsrat seufzt und grübelt im Fond darüber nach, warum die Manager dieser Generation alle so ähnlich sind, so deloittemckinseypricewaterhousemäßig. (Disclaimer: Beim FCB sind der Olli und der Hasan überhaupt nicht deloittemäßig. Null. Das ist auch wieder schlecht.)

Jedenfalls wäre es nötig, mal eine GANZ andere Führungsstrategie zu entwickeln. Wenn es nix bringt, aber einen Haufen kostet, die Leute oben auszutauschen, und wenn es gleichzeitig nicht möglich ist, das Volk, die Mannschaft, die Belegschaft aufzulösen – gäbe es da nicht irgendwas in der Mitte? Monarchie, Sozialismus, eine Doppelspitze aus Betriebsrätin und Aufsichtsrat?

Wie war das eigentlich, als Bayern noch das Triple gewann? 2013 unter Jupp Heynckes, eher Betriebsrat und so was wie Franz Müntefering. Dann noch mal unter Hansi Flick, bei dem schon allein das „i“ sagt, dass er zu Heynckes wesensverwandt war, also gewissermaßen ein Franzi Müntefering. Beide waren keine Haarnachhintenkämmer oder Andentegernseezieher. Sie waren Chefs, die der Aufsichtsrat bald, die Betriebsrätin etwas später ablösen würde. Vielleicht sollte man, trüge man denn Verantwortung für eine Firma, eine Mannschaft, eine Belegschaft, erst die Betriebsräte und Innen intensiv nach ihren Absichten fragen, und dann die Aufsichtsräte (Innen gibt es da nicht so viele). Sollte es Firmeneigner geben, müsste man auch wissen, was die so denken.

Und wenn man das dann alles weiß, sollte man einfach das Gegenteil von dem tun, was die Befragten vorschlugen. Wenn man schon nicht das Volk auflösen kann.
Kurt Kister
Redakteur
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Wo gibt es das eigentlich sonst, außer beim FC Bayern und seinen Konkurrenten: dass eine Firma alle paar Monate ihre jeweils wichtigste Führungskraft wieder loswerden will?
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