Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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21. Mai 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
in der kommenden Woche hat die Bundesrepublik Geburtstag, es ist der Vierundsiebzigste: Am 23. Mai 1949 wurde unser Grundgesetz verkündet. Was schenken wir ihm? Das überlegen wir uns jetzt ein Jahr lang, um dann im kommenden Jahr, zum 75. Jubiläum, ganz groß zu feiern. Was ist dann die Geburtstagsüberraschung? Ich würde dem Grundgesetz gern ein neues Grundrecht schenken. Grundrechte sind die Fixpunkte, die Haltepunkt, die Glanzpunkte des Grundgesetzes. Sie sorgen sich um die Grundlagen des Zusammenlebens, sie sind Schutz und Schild für Minderheiten. Es gibt nun eine ganz große Minderheit im Land, um die sich derzeit niemand kümmert, auch das Grundgesetz nicht. Es sind die Menschen, die mit der neuen digitalen Welt nicht zurecht kommen oder nicht zurecht kommen wollen. Sie dürfen nicht ausgeschlossen werden, sie dürfen nicht ausgeschlossen bleiben. Für sie müssen wir ein neues Grundrecht schaffen, das ihnen die Teilhabe sichert: das Grundrecht auf ein analoges Leben. Ich habe schon in meiner SZ-Kolumne mit dem Titel "Wer kein Handy hat, wird ausgeschlossen" dafür geworben. (SZ Plus)

Verfassungen sollen dafür sorgen, dass das Zusammenleben funktioniert

Verfassungen, so hat einmal jemand süffisant gesagt, sollen so sein, dass sie die Verfassung der Bürgerinnen und Bürger nicht ruinieren. Das ist viel zu wenig. Verfassungen müssen dafür sorgen, dass das Miteinander gut funktioniert. Verfassungen sind so etwas wie Liebeserklärungen an ein Land und seine Menschen. Und sie sind so verschieden, wie Liebesbriefe es sein können: Es gibt Verfassungen, die wurden geschrieben wie im Rausch, da hört man noch die Glocken läuten und die Orgel brausen. So eine Verfassung war die erste deutsche Verfassung, die von den ersten deutschen Demokraten 1848/49 gegen die Truppen der Monarchen auf den Barrikaden erkämpft und dann im Namen des Volkes von der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche beschlossen wurde. Deshalb heißt sie auch Paulskirchenverfassung.

Es gibt auch Verfassungen, die sind wie Liebeskummerbriefe, geschrieben in einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung. So eine Verfassung ist das Grundgesetz aus dem Jahr 1949, entstanden nach dem Ende des Zweiten Weltkries, als Deutschland in Trümmern, in Schutt und in Elend lag, als das Land zerteilt war und die vierzigjährige deutsche Spaltung begann. Unter miserableren Voraussetzungen ist kaum je eine Verfassung geschrieben worden. Das Grundgesetz ist so karg wie die Zeit, in der es geschrieben wurde. Damals war niemandem nach Feiern und großen Worten zumute. Und in dem Satz, mit dem es, kurz wie eine SMS, beginnt, steckt noch das Entsetzen über die Nazibarbarei: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Ich habe vorhin überlegt, wie ein Geschenk für das Grundgesetz zum großen Jubiläum aussehen könnte. Nun, die Parteien der Ampel-Koalition und CDU/CSU haben sich über ihr Geschenk schon geeinigt: Sie wollen den Artikel 39 Absatz 1 Grundgesetz ändern, in dem die Dauer der Wahlperiode für den Bundestag geregelt ist. Sie wollen die Wahlperiode von derzeit vier auf künftig fünf Jahre verlängern. Das aber ist ein Geschenk, das die Parteien nicht dem Grundgesetz, sondern sich selbst machen. Es erinnert mich an den Fabrikantensohn in meinem Heimatort, der seinem uralten Vater zu Weihnachten ein Jagdgewehr schenkte, das er sich selbst schon lange wünschte. Was für und was gegen die Verlängerung der Wahlperiode spricht – darüber schreibe ich heute in meinem SZ-Plus-Text.
SZPlus Prantls Blick
Weniger Wahlen, mehr Demokratie?
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In einer Woche ist Pfingsten. Es ist ein geistreiches Fest, im Christentum ist es das Fest des Heiligen Geistes. Bert Brecht hat das Pfingstfest mit einem spottenden Vers bedacht: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten, während Ostern, Geburtstag und Weihnachten was einbrachten.“ Schenken Sie sich selbst etwas, was nicht gering zu schätzen ist – ein paar Tage Muße.

Herzlich
Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Musik
Das Gänsehaut-Lied der deutschen Revolution
Ein solches Album, ein CD-Album mit Liedern der deutschen Revolution von 1848, habe ich mir immer gewünscht: zum Nachlesen, zum Lernen, zum Mitsingen. Kurz vor der Rede des Bundespräsidenten zum 175. Jubiläum des Paulskirchenparlaments am vergangenen Donnerstag habe ich entdeckt, dass es dieses Album schon gibt; die Sängerin Joana hat es im November 2019 aufgenommen. Sie singt Barrikadenlieder, Liebeslieder, Gassenhauer, Spottverse; sie singt das Hunger-Lied, das Hambach-Lied, das Hecker-Lied, sie singt das Lied der Auswanderer nach Amerika ("Halleluja, hallelujah, / wir wandern nach Amerika"), und sie singt das Badische Wiegenlied, das daran erinnert, wie die vom badischen Großherzog zu Hilfe gerufenen Truppen des Preußenkönigs gegen die revolutionären Demokraten gewütet haben: "Schlaf, mein Kind, schlaf leis, dort draußen geht der Preuß / deinen Vater hat er umgebracht, deine Mutter hat er arm gemacht, / und wer nicht schläft in guter Ruh‘, dem drückt der Preuß die Augen zu". Es ist dies, 175 Jahre später, immer noch ein Gänsehaut-Lied.

Wir hören gesungene Demokratiegeschichte: Wilde Lieder, bittere Lieder, berührende Lieder, Lieder voller Hoffnung und voller Verzweiflung - bissig, packend, anrührend. Die Chansonette Joana hat sie wunderbar interpretiert, ohne Schmalz und Pathos, mit feiner Farbe. Die Liedtexte sind im schönen Booklet zur CD abgedruckt und von der Sängerin mit Kurzinfos in den geschichtlichen Zusammenhang gesetzt. Meine Empfehlung ist also diesmal eine Lese- und eine Hörempfehlung. Und sie ist eine Singempfehlung, denn die Lieder regen zum Nachsingen an – "auch im ehrenvollen Erinnern an diejenigen, die sie verfasst haben", wie die Sängerin schreibt. Es sind dies Demokraten wie Georg Herwegh, Wilhelm Weitling, Heinrich Heine, Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Ludwig Pfau. Am vergangenen Donnerstag erinnerte der Bundespräsident in der Frankfurter Paulskirche sehr klug an die "schwierigen Lehrjahre der Demokratie". Wie schwer sie waren, das lehren die Lieder von damals. Sie lassen spüren, wie aufreibend, wie gefährlich und wie erbittert damals gerungen wurde. Als ich die Festrede von Frank-Walter Steinmeier noch einmal nachgelesen hatte, legte ich mir die CD von Joana auf. "Tun wir was dazu", heißt sie; und ich fühlte: Diese Geschichte gehört zur Gegenwart.

Joana: Tun wir was dazu. 19 Lieder aus der Deutschen Revolution von 1848/49. Veröffentlicht bei Wolkenstein  (Mäule & Gosch). Gesamtspielzeit 53:10. Das Album kostet 18,95 Euro.
SZPlus Ukraine
Korruption in der Ukraine
Der Kollege Florian Hassel zitiert den ukrainischen Präsidenten Selenskij mit seiner Beteuerung beim Weltwirtschaftsforum vor einem halben Jahr: Es werde in der Ukraine "keine Korruption geben und gibt sie auch heute nicht". Es wäre schön, wenn es so wäre, aber es ist nicht so. Zahlreiche Skandale sprechen eine andere Sprache. Der Korruptionsskandal beim Obersten Gerichtshof, dort hat sich dessen Präsident kaufen lassen, ist bloß der letzte einer langen Reihe. Florian Hassel schildert diesen Fall und eine Auswahl von Bestechungen und Bestechlichkeiten auf allen Ebenen in der Ukraine; und Hassel stellt fest: Die Korruption geht im Krieg "scheinbar ungebrochen weiter". Er geht auch der Frage nach, ob und wie der Präsidialapparat Selenskijs seine Finger im Spiel hat.
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