| | | | | 1. November 2024 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | seit 1992 ist der erste Dienstag im November für mich etwas Besonderes, zumindest alle vier Jahre. An diesem Tag nämlich wählen die Amerikaner ihren Präsidenten â bisher war es immer ein Mann â , weil das der US-Kongress im Jahre 1845 so festlegte. Und 1992 war âmeineâ erste Präsidentenwahl: Ein Jahr zuvor war ich als SZ-Korrespondent nach Washington umgesiedelt. Als ich in Washington ankam, fand ein paar Tage später die Siegesparade der US-Streitkräfte nach Desert Storm statt, dem Irakkrieg von 1991. General Norman Schwarzkopf war im Juni 1991 an der Spitze seiner Truppen die Mall hinuntermarschiert, über das Washington Monument donnerten die Kampfflugzeuge, und vor der Präsidententribüne wartete George Bush, der Vater, um den sandtarngefleckten General offiziell zu begrüÃen. Wohl niemand dachte an jenem Tag daran, dass Bush knapp anderthalb Jahre später sein Amt an Bill Clinton, den mäÃig bekannten Gouverneur von Arkansas, verlieren könnte. Ich wusste über Arkansas 1991 so wenig, dass ich in alter Friedrich-Gerstäcker-Tradition zuerst von âArkänsesâ sprach, bevor ich sehr schnell lernte, dass man es ÉËkÉnsÉË(akänsow) ausspricht, im Prinzip weil die Franzosen die Gegend mal so nannten. In den USA gibt es sehr viele sonderbare Dinge. Unter anderem wird der Präsident nicht direkt gewählt, sondern vom electoral college, vom sogenannten Wahlmännergremium, was dazu führen kann, dass der Kandidat mit den meisten Wählerstimmen nicht Präsident wird, weil sich eine solche Stimmenmehrheit nicht unbedingt in dem Wahlgremium widerspiegelt. 2016 bekam Hillary Clinton 48,2 Prozent der Wählerstimmen, Donald Trump erreichte 46,1 Prozent. Im Wahlkollegium aber hatte Trump eine Mehrheit von 74 Stimmen, weil die electors bestimmt werden nach der Zahl der Senatoren (zwei pro Staat) und der Zahl der Abgeordneten, die jeder Bundesstaat ins Repräsentantenhaus schickt. Auch in diesem Jahr könnte Ãhnliches geschehen. Diese Art der Präsidentenwahl ist anachronistisch (sie stammt aus dem späten 18. Jahrhundert) und kann die Mehrheitsverhältnisse verfälschen. Zu einer wirklichen Reform, gar zur Direktwahl des Präsidenten, ist es nie gekommen. Wird es auch wohl nicht, weil dafür eine verfassungsändernde Mehrheit notwendig wäre, die sich in den nicht mehr vereinigten Staaten zwischen Demokraten und Republikanern nicht ergeben wird. Die USA haben sich seit der Entscheidung von Bill Clinton gegen George Bush so drastisch verändert, wie ich es damals nicht für möglich gehalten hätte. Dass 2016 eine Vielzahl von Nichtwählern (die Wahlbeteiligung lag nur bei 60 Prozent), das seltsame electoral college sowie eine schwache demokratische Kandidatin einen gefährlichen Dummschwätzer â das ist keine Beleidigung, sondern eine Beschreibung â ins WeiÃe Haus brachten, hat mein Verhältnis zu den USA sehr verändert. Das muss Sie nicht weiter interessieren, aber ich gehöre nun mal zu jener Generation, die Amerika einerseits oft furchtbar fand (Vietnam, Rassismus, das ebenso polternde wie nach innen gewandte Auftreten als Besserwisser-Weltmacht). Andererseits aber war es der Traum â oder wenigstens Teil eines Traums: die persönliche Freiheit für viele, das Aufbegehren gegen Provinzialität und Dummheit, Woodstock, Andy Warhol und Allen Ginsberg, Joan Baez und Jack Kerouac, die Route 66 und der Highway 1. Einen Sonnenaufgang in den Canyonlands von Utah möchte ich gerne noch mal erleben. Sollte Trump am Dienstag gewinnen, ist, zumindest für mich, der Traum von Amerika wohl endgültig zerbröselt. Ja, ich weiÃ, das Land ist gespalten, die Hälfte der Wahlberechtigten hat auch dann nicht für Trump gestimmt, und überhaupt: Was können die Sonora-Wüste oder die Blue Ridge Mountains dafür, dass Abermillionen Amerikaner und Innen es für richtig halten, einen Mann zum Präsidenten zu machen, der ein frauen- und menschenfeindlicher Lügner ist, dessen Narzissmus pathologische Züge hat und der alles verkörpert, was am globalen Hang zum Autoritarismus schrecklich ist? Gewiss, die Welt würde auch vier weitere Jahre Trump überstehen. Vermutlich, hoffentlich. Und natürlich bleiben die USA ein Eckpfeiler der deutschen AuÃenpolitik, auch wenn sich deren Präsident dann wahrscheinlich wie ein Gerichtsvollzieher gegenüber jenen Nato-Staaten benehmen würde, für die Trump schon in seiner ersten Amtszeit kein Fitzelchen von Empathie übrig hatte. Die USA, aber das ist eigentlich kein Stoff für eine persönliche Kolumne, sind ohnehin dabei, sich allmählich aus der nordatlantischen Sicherheitsgemeinschaft peu à peu zu verabschieden. Unter Trump würde das mit Getöse fortgesetzt werden; unter einer Präsidentin Harris freundlich und mit gegenseitigen Beteuerungen über gemeinsame Werte. Der russische Ãberfall auf die Ukraine hat das etwas verzögert. Aber nur etwas. Jedenfalls würde nichts so sehr auch die Erosion des âgutenâ Amerika signalisieren wie eine zweite Präsidentschaft Trumps. Ja, ich weiÃ, dieses âguteâ Amerika ist bei mir auch eine mittelmäÃig eurozentrisch gespeiste Wahrnehmung: Frischs eskapistische Liebe in âMontaukâ, Wim Wendersâ âParis, Texasâ, Uwe Johnsons âJahrestageâ, die Suche nach der eigenen Seele in der Weite des Landes. Kitsch? Ja, auch. Aber auch Sehnsucht und Sympathie für ein Land, das es vielleicht nie gab, aber geben sollte. Hoffentlich gewinnt Trump die Wahl nicht. | |
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| | | | | | | | | | Der Kampf um die Swing States | | Wer sie gewinnt, gewinnt die US-Wahl: Nirgendwo treten Kamala Harris und Donald Trump so häufig auf wie in diesen sieben Bundesstaaten, nirgendwo flieÃt mehr Geld für die Wahlkampagnen â und nirgendwo ist der Ausgang der Wahl so ungewiss. Eine Ãbersicht. | | | |
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