Ein früher Blick auf den großen Juni-Verfallstag
Ein früher Blick auf den großen Juni-Verfallstag von Torsten EwertSehr verehrte Leserinnen und Leser, seit geraumer Zeit ist das Timing der Fed „Trader-unfreundlich“: Die US-Zentralbank terminiert ihre Sitzungen – ob gewollt oder ungewollt – meist so, dass sie in der Verfallstagswoche liegen. Auch im Juni ist das so; die Fed-Sitzung findet am 15./16.06. statt, der Verfallstag (18.06.) ist zwei Tage später. Und weil die Kursreaktionen auf die Fed-Sitzung mitunter stärker ausfallen, bringt das die Trader und Stillhalter hin und wieder unter Druck. Warum der Juni-Verfallstag ein besonderer ist Der bevorstehende große Juni-Verfallstag könnte dabei besonders kritisch werden. Zinserhöhungen, eine Reduzierung der Anleihekäufe oder ähnlich drastische Schritte sind zwar nicht zu erwarten, aber selbst wenn die Geldpolitiker nur die Möglichkeit eines Fahrplans für die Drosselung der Liquiditätsflut andeuten, ist die Reaktion der Anleger unvorhersehbar. In der jüngsten Vergangenheit haben sich zwar immer wieder führende Fed-Mitglieder in diese Richtung geäußert, aber ich kann mir vorstellen, dass viele Anleger diese einfach abtaten – nach dem Motto „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Es gibt also einiges Überraschungspotenzial bei dieser Fed-Sitzung. Daher ist die Nähe zum großen Verfallstag besonders kritisch. Starke Kursausschläge nach der Fed-Sitzung könnten nicht nur die „normalen“ Trader und Anleger, sondern vor allem die Stillhalter in die Bredouille bringen, wenn die Kurse gegen sie laufen. Sie müssten entsprechende Absicherungsmaßnahmen ergreifen, die bekanntlich die Kursausschläge verstärken können, Und weil bei großen Verfallstagen die Positionen besonders groß sind, ist dieser „Verstärkungsfaktor“ entsprechend größer. Das aktuelle Verfallstagsdiagramm Wir schauen daher schon heute auf die Verfallstagpositionierung, um möglichst frühzeitig Tendenzen oder Extreme zu erkennen, die den weiteren Kursverlauf beeinflussen können. Beginnen wir wie immer mit dem Blick auf das aktuelle Verfallstagsdiagramm: Der DAX hat sich in der Vorwoche an die 15.700-Punkte-Marke herangepirscht. Im Verfallstagsdiagramm sehen Sie, dass er damit schon ein Stück in den absolut bullishen Bereich der Positionierungen zum Juni-Verfallstag hineingelaufen ist, der ab ca. 15.500/15.600 Punkten beginnt. Dieser Bereich ist dadurch gekennzeichnet, dass sich dort kaum noch Put-Positionen (rote Balken) befinden, sondern fast ausschließlich Call-Positionen (blaue Balken). Was hinter den jüngsten Kursbewegungen des DAX steckt Das könnte die jüngsten Kursbewegungen des DAX (zum Teil) erklären; siehe folgender Chart: Seit Anfang April strebt der DAX seitwärts. Die genaue Begrenzung dieser Seitwärtsbewegung ist schwer zu fassen, dazu gibt es einfach zu viele stärkere Ausschläge. Aber die Kurse kehrten immer wieder in eine Spanne zurück, die etwa zwischen 15.100 und 15.450 Punkten liegt. Ich habe hier einmal das gelbe Rechteck gewählt, um diese Seitwärtsbewegung zu veranschaulichen. Bemerkenswert ist dabei, dass insbesondere Vorstöße nach oben zunächst stets im Bereich zwischen 15.500 und 15.600 Punkten zurückgeworfen wurden (siehe rote Pfeile). Gut, in dieser Zeit zeigten sich auch die US-Indizes eher verhalten, so dass die Bären leichtes Spiel hatten. Aber diese Umkehrzone stimmt auffällig genau mit der Grenze zum bullishen Bereich im Verfallstagsdiagramm überein, die ich oben erwähnt hatte. Es liegt also nahe, dass bei den Fehlausbrüchen auch die Stillhalter ihre Finger im Spiel hatten, die den DAX so wieder in den für sie sicheren Kursbereich drückten. Das ist neu seit Anfang Juni Seit Anfang Juni hat sich das aber geändert. Am vergangenen Dienstag sprang der Kurs schon deutlich weiter nach oben als bisher (siehe grüner Pfeil 1). Allerdings gelang es den Stillhaltern und Bären zunächst noch, den Kurs wieder zu drücken. Dadurch entstand eine bearische Umkehrkerze mit sehr langem „Docht“, ein sogenannter Morning Star. Doch dieses kurzfristige bearische Signal zeigte keine Wirkung. Die Kurse fielen nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern steigen weiter. Am vergangenen Donnerstag versuchten Stillhalter und Bären noch einmal, den DAX zurückzuwerfen. Dabei schlug der Kurs auf die Oberkante des gelben Rechtecks auf (siehe grüner Pfeil 2). Die Stillhalter haben umgeschaltet Doch diesmal hielten die Bullen dagegen und schoben den Kurs wieder nach oben. Dadurch entstand eine kurzfristig bullishe Kerze, ein sogenannter Hammer, mit langer „Lunte“. Und sie entfaltete Wirkung: Der Kurs stieg zunächst weiter. Grund dafür könnte sein, dass bei diesen steigenden Kursen weitere Stillhalter ihre Positionen absichern mussten. Dazu mussten sie long gehen, was die Kurse weiter treibt. Die Stillhalter haben also zunächst kapituliert. Sie versuchen nicht mehr, den DAX zu drücken, um ihre Positionen aus dem Geld zu halten, sondern sichern sich ab und unterstützen damit die Bären. Klettert der DAX zum Verfallstag bis auf 16.000? Wie weit kann dieser Anstieg nun weitergehen? Dazu wieder ein Blick auf das Verfallstagsdiagramm ganz oben. Dort sehen wir bei 16.000 Punkten eine sehr große Call-Position, die größte der aktuellen Positionierungen überhaupt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Stillhalter auch diese Position ins Geld laufen lassen, dazu ist sie zu groß. Und falls die Bullen es tatsächlich schaffen sollten, den Kurs so weit nach oben zu treiben, dürften sie auch einen Großteil ihres Pulvers verschossen haben, so dass die Stillhalte relativ leichtes Spiel haben sollten. Aber wie realistisch ist es, dass der DAX bis zum Verfallstag noch die runde 16.000-Punkte-Marke ansteuert? Und welche Alternativen oder gar Kursziele zum Verfallstag gibt es? Dazu der DAX-Chart noch einmal aus einer anderen Perspektive: Auch „Trompeten“ finden sich im DAX Wir finden im DAX nicht nur verschiedene Seitwärtsbewegungen, sondern auch verschiedene „Trompeten-Formationen“! Eine davon habe ich in diesem Chart eingezeichnet. Solche divergierenden Dreiecke, die wir aus naheliegenden Gründen „Trompeten“ nennen, deuten stets auf Unsicherheit hin. Und eine Unsicherheit habe ich eingangs erwähnt (Was macht die Fed?). Andere sind die Unsicherheiten darüber, wie sich Inflation und Zinsen entwickeln oder ob die Impfkampagnen schnell zu den gewünschten Erfolgen führen oder Lieferengpässe und knappe Rohstoffe und Vormaterialien die Konjunktur beeinträchtigen. Wie auch immer. Wenn der DAX einfach weiter der oberen roten Trendlinie folgt, kommt er bis zum Verfallstag (gestrichelte senkrechte Linie) auf jeden Fall in die Nähe der 16.000er Marke. Gleiches gilt, wenn er der schwarzen gestrichelten Trendlinie folgt. Beides sind eher konservative (Aufwärts-)Szenarien – er kann jederzeit seinen Aufwärtstrend beschleunigen. Ein konkretes Kursziel zum Verfallstag lässt sich nur im „Nahbereich“ bestimmen. Von seinem globalen Abrechnungs-Optimum nach der Max-Pain-Kurve (unter Teil des Verfallstagsdiagramms) bei 13.950 Punkten ist er aktuell einfach zu weit entfernt, um es ernsthaft in Betracht zu ziehen. Es sei denn, der DAX steuert tatsächlich nochmals die Unterseite seiner Trompeten-Formation an… Mögliche weitere Kursziele für den DAX bis zum Verfallstag Aber das ist vorerst hypothetisch. Aus aktueller Sicht ist es anhand der aktuellen Verfallstagspositionierung recht einfach, mögliche Kursziele zu bestimmen: Es sind die Werte, an denen auch die nächsten größeren Put-Positionen liegen. Und dies ist bei 15.500, 15.000 und 14.500 Punkten der Fall. Alle drei Werte stimmen mit markanten charttechnischen Marken überein oder liegen zumindest in deren Nähe: Bei 15.500 Punkten befindet sich die Oberkante der bisherigen Seitwärtsbewegung. Die runde 15.000er Marke wurde im Mai ebenfalls mehrfach angesteuert. Und knapp unterhalb von 14.500 Punkten verläuft eine kleine Unterstützung vom März. Das naheliegendste Kursziel – sowohl räumlich als auch prognostisch – ist natürlich die 15.500-Punkte-Marke. Sie könnte durch einen weiteren Rücksetzer jederzeit getestet werden. Allerdings rechne ich damit eigentlich vor dem Verfallstag – so wäre es jedenfalls bei einem „normalen“ charttechnischen Verlauf „logisch“. Was Sie bei Ihrem Trading unbedingt beachten sollten Die anderen Marken – insbesondere das 14.500er Niveau – könnten bei größeren Rückschlägen angesteuert werden, die durch andere, externe Ereignisse ausgelöst werden. Dafür kommt vor allem die Fed-Sitzung infrage. Bis dahin sollte der DAX im Bereich zwischen 15.500 und 16.000 Punkte pendeln. Beachten Sie aber bei Ihrem Trading, dass in diesem Kursbereich stets die Absicherungen wirken! Bei steigenden Kursen werden die Stillhalter weiter/mehr Absicherungen aufbauen und damit den Anstieg tendenziell verstärken. Bei fallenden Kursen werden sie wiederum Absicherungen abbauen, was den Kursrückgang verstärkt. Beides nimmt umso mehr zu, je näher der Verfallstag rückt. Die Kursausschläge sollten also volatiler werden – eigentlich sehr gute Voraussetzungen fürs Trading. Wenn man auf der richtigen Seite steht… In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihren Trades! Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert
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