Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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19. November 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
das Schönste an der Schuldenbremse ist das Wort Schuldenbremse. Das Wort klingt nach schwäbischer Hausfrau, es klingt sympathisch, es klingt nach verantwortungsvollem Handeln. Das Gegenteil ist richtig. Die Schuldenbremse aus dem Jahr 2009 gehört zum Unsinnigsten, was je ins Grundgesetz geschrieben wurde. Es war seinerzeit der von Populismus getriebene Versuch, eine gleichfalls vom Populismus getriebene Schuldenmacherei plakativ zu unterbinden. Was nun daraus geworden ist? Ein Desaster: Die Schuldenbremse verhindert bitter notwendige Investitionen, sie erschwert eine antizyklische Wirtschaftspolitik und sie bremst die Klimapolitik, statt sie anzutreiben. Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Unsinn soeben mit seinem Schuldenbremsen-Urteil die Krone aufgesetzt. Das höchste Gericht hat die Schuldenbremse scharf gestellt, sie hat der Politik eine Vollbremsung verordnet.

Die Schuldenbremse darf keine Begründung sein dafür, dass das Elterngeld gekürzt wird und die geplante Kindergrundsicherung so mickrig ausfällt, dass sie diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Es ist einfach nur traurig, wenn armen Kindern der Weg aus ihrem Erbgefängnis verstellt wird „wegen der Schuldenbremse“. Und es ist bitter, wenn der Pflegenotstand ein Pflegenotstand bleibt, weil „wegen der Schuldenbremse“ kein Geld für menschenwürdige Pflege da ist. Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht die Würde der schwarzen Null.

Aus Sinn wird Unsinn

Das Verfassungsgericht hat diese Bremse aber nun in einer Weise betätigt, die den Sinn der Schuldenbremse in Unsinn verwandelt: Das Gericht erschwert ökologische Konjunkturprogramme, die wichtig und unabdingbar sind, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Das Urteil ist also ein Anti-Klima- und ein Anti-Wirtschafts-Urteil. Das Urteil sabotiert auch Investitionen in Schulen und Kitas, es zerschlägt Förderprojekte für Kinder, für Familien und für alte Menschen. Es schadet also der Gesellschaft. Das Urteil fordert und fördert ein hirnloses Sparen. Das Bundesverfassungsgericht ist dafür da, die Verfassung zu schützen. Es ist aber nicht dafür da, die Verfassung der Menschen zu ruinieren.

Die Verfassungsartikel, mit denen die Schuldenbremse konstruiert wurde und die jetzt von Karlsruhe maßlos interpretiert wurden, heißen 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115 und 143 d. Sie sind lang und weitschweifig, unübersichtlich, detailversessen. Sie lesen sich nicht wie Grundregeln, sondern wie deren Ausführungsbestimmungen. Sie liegen in der vor 75 Jahren kurz und bündig formulierten Verfassung wie grammatische Monster. Sie sind qualliger Ausdruck dessen, dass die Parteien ihren Erfolg bei Grundgesetzänderungen daran messen, wie viele Details sie in die neuen Formulierungen hineinpressen können: So ist es beim neuen Europa-Artikel 23 aus dem Jahr 1992; so ist es beim neuen Asyl-Artikel 16 a, so ist es beim neuen Artikel 13, mit dem 1998 die Verletzlichkeit der Wohnung durch den großen Lauschangriff beschlossen wurde.

Diese unglaubliche Detailversessenheit zu beklagen, ist keine Frage bloß der Ästhetik. Der Staatsrechtler und ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm hat schon vor langem festgestellt, dass die ausschweifenden Grundgesetzänderungen einen Verstoß gegen demokratische Spielregeln darstellen: Wer in das Grundgesetz Dinge schreibt, die eigentlich in einfache Gesetze oder sogar nur in deren Durchführungsbestimmungen gehören, der macht neuen politischen Mehrheiten das Leben schwer; diese müssen nämlich dann, wenn sie politisch etwas ändern wollen, die Verfassung ändern. Je mehr also durch die Verfassung festgeschrieben wird, umso schmaler ist der Raum für neue Mehrheitsentscheidungen. Das rächt sich nun bei der Schuldenbremse ganz bitterlich.
SZPlus Prantls Blick
Hirnloses Sparen
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Am morgigen Montag ist der zehnte Todestag des großen Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Er fehlt. Er war der einzige Mensch, der, wenn er eingeladen war, rote Nelken mitbrachte. Es waren seine Blumen. Warum Nelken? „Es ist bald 1. Mai!“, sagte er. Er sagte das auch im Herbst und im Winter. Der Tag der Arbeiterbewegung war ein wichtiger Tag für ihn; nicht so sehr das Datum, sondern der Wert, für den dieser Tag steht: Solidarität.

Ich wünsche Ihnen eine Rote-Nelken-Woche.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Letzte Zugabe
„Große Koalitionen“, so hat er einmal gesagt, „sind nicht einfach dazu da, um endlich große Probleme zu lösen, sondern um vier Jahre um sie herumzutanzen“. Dieter Hildebrandt war ein heiterer Mensch, ein begnadeter Pointierer, ein Improvisator, ein gnadenlos-zielsicherer Kommentator der Zeitläufte, einer, der komplexesten Dingen die Komplexität nehmen konnte.  Seine Kunst schraubte den Leuten das Brett vor dem Kopf weg, ohne dass sie es merkten; das ist subversiv. Seine Größe war die subversive Bescheidenheit, mit der er seine Sätze stammelte und haspelte, bis sie sich zusammenzogen wie ein gut geworfenes Lasso. Er war kein Clown, er war kein Comedian, er war auch nicht einfach nur Kabarettist – er war ein politischer Kommentator der Extraklasse, zärtlich verliebt in das, was man Gemeinwohl nennt. Vor zehn Jahren ist Dieter Hildebrandt gestorben. Wer spüren will, wie sehr er fehlt, der lese das letzte Buch von ihm und mit ihm.

Dieter Hildebrandt: Letzte Zugabe. Mit Zeichnungen von Dieter Hanitzsch. Das Buch ist 2014 im Karl-Blessing-Verlag erschienen. Es hat 272 Seiten und kostet 9,99 Euro.
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Wer rot ist und wenn ja, wie lange
Bei Goethe, in seinem klassischen Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, findet sich der schöne Satz „Man verliert nicht immer, wenn man entbehrt“. Nach dem Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht und Co haben die Linken soeben auf ihrem Parteitag in Augsburg versucht, aus dieser Erkenntnis Honig zu saugen. Der Nutzen, den der Austritt und die Gründung der neuen Wagenknecht-Partei hat, soll größer sein als ihr Schaden. Ob das wirklich so sein wird? Die Positionen im linken Kosmos liegen weit, sehr weit auseinander. Wie weit, das zeigt der SZ-Kollege Boris Herrmann sehr anschaulich in der Wochenendausgabe der SZ am Beispiel der Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst und Clara Bünger. Der bayerische Gewerkschaftsfunktionär Ernst, der jetzt aus der Partei Die Linke ausgetreten ist, hat die Partei einst mitbegründet; links ist für ihn vor allem klassische Arbeitnehmerpolitik. Das ist Clara Bünger zu eng und zu wenig. Links sein bedeutet für sie, so schreibt der Kollege Boris Herrmann, „vor allem gegen rechts zu sein.“ Wer ist links, was ist links, wer steht künftig politisch für die Farbe Rot?
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