Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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3. März 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
bei der Nachricht über die Verhaftung der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette kam mir der 20. April 1998 in den Sinn; es war ein Montag - und es herrschte Aufregung in der Redaktion: Bei der Nachrichtenagentur Reuters war ein acht Seiten langes Schreiben der RAF eingegangen: „Heute beenden wir dieses Projekt“, hieß es darin. Ich las das Schreiben einmal, ich las es noch einmal. Ich traute der verquasten Rhetorik nicht, hielt das Schreiben, in dem die RAF ihre Auflösung erklärte, für einen Schwindel, für eine Fälschung. Wie sollte man das kommentieren?

Ich rief bei dem Mann an, dessen Urteil ich am meisten traute – bei Horst Herold, damals 74 Jahre alt. Er war von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamts gewesen: der oberste RAF-Ermittler, der die erste und die zweite Generation der RAF zerschlagen hatte. Herold wohnte damals, aus Sicherheitsgründen, mit seiner Frau in einem Häuschen auf dem Gelände der Grenzschutzkaserne in Rosenheim - „als letzter Gefangener der RAF“, wie er selbst in feinbitterer Ironie sagte. Hier verbunkerte er sich vor Anschlägen der RAF, hier versteckte er sich vor der Öffentlichkeit. Hier saß ihm, wie er bedrückt erzählte, in schlaflosen Nächten der tote Hanns Martin Schleyer auf der Brust. Herold hatte den von der RAF entführten und erschossenen Arbeitgeberpräsidenten trotz der von ihm genial ausgeklügelten Computerfahndungsmethoden nicht retten können – wegen einer Fahndungspanne, die er nicht verschuldet hatte.

An Hitlers Geburtstag

Ich fragte den pensionierten Chef-Ermittler an diesem 20. April also, ob er nun, nach der Auflösungserklärung der RAF, erleichtert sei, ob er selbst nun so etwas wie eine persönliche Befreiung spüre. Ich hörte einen langen Seufzer und dann den Satz: „Ich kann das kaum glauben.“ Warum nicht, fragte ich. Es wäre dies, erklärte Herold, „eine Geschichtsanomalie; an Hitlers Geburtstag erklärt die RAF nicht ihre Auflösung“. Herold hatte die Schriften der RAF und ihre Ideologie so sorgfältig studiert, wie kaum ein anderer und sie für seine kriminalistischen Zwecke destilliert. Er zweifelte daher an dieser Auflösungserklärung herum. Er wolle sie aber nun erst einmal, so sagte er, eine Nacht lang penibel analysieren. In dem Interview, das wir am nächsten Tag führten, kam er dann doch zu einem anderen Ergebnis: Er hielt den Text zwar für „unausgewogen und RAF-historisch kenntnislos“. Trotzdem sei er als „gruppenauthentisch“ anzusehen. Die Publikation durch die Nachrichtenagentur an Hitlers Geburtstag sei ein Zufall, der Text lange vorher geschrieben worden und schon vor dem besagten Montag bei der Nachrichtenagentur eingegangen. Aber, so fuhr Herold fort: „Die Autoren geben zu erkennen, dass sie von der alten RAF nichts verstehen.“ Der Text stamme von den Nachgeborenen, also von der 4. Generation.

Nach Herolds Zeit, nach seinem Gang ins Kasernen-Exil, war das Morden der RAF weitergegangen. All diese Taten sind bis heute nicht aufgeklärt. Warum Selbstauflösung? Weil keine Terroristen mehr nachwuchsen? Oder starb der RAF-Terrorismus der dritten Generation einfach auch daran, dass keiner mehr auf ihn achtete? Herold erlebte das Ende der RAF als Pensionist auch selbstzweiflerisch. Was ist, wenn der Terrorismus kommt und wieder vergeht, so wie ein Vulkan ausbricht und sich wieder beruhigt? Wenn es sich also um eine eruptive Zwischenphase der Geschichte handelt, gegen die man ein paar Schutzmaßnahmen treffen, aber nichts Entscheidendes ausrichten kann? Ist es womöglich so, fragt er sich in seinen privaten Aufzeichnungen, die er „Lehren aus dem Terror“ überschrieb, „dass massivste Verfolgung und Repression terroristische Gewalt eher am Kochen halten, als sie diese beenden?“
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Die Reste der RAF
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Als in der vergangenen Woche die Nachricht über die Verhaftung der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette kam, habe ich an die langen Gespräche mit dem alten Chefermittler gedacht, aus dem ein Kriminalphilosoph geworden war. Er ist vor vier Jahren gestorben. Seit der RAF-Auflösung sind Ex-RAF-Mitglieder noch mit Geldbeschaffungs-Raubüberfällen in Erscheinung getreten. Solche Raubüberfälle werden auch Daniela Klette angelastet. Das Auflösungspapier von 1998 war, so Herold, „ein Grabstein, den sich die RAF selbst setzt“. Es gab und gibt ein Leben unter diesem Grabstein.  Die Verhaftung von Daniela Klette lässt Erkenntnisse darüber erwarten.

Ich wünsche Ihnen eine Woche, in der Sie den Frühling sehen und spüren.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Ein Liebesbrief in Zeiten der Konfusion
Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet – nach den Regeln, die man miteinander bestimmt hat. Zukunft! Miteinander! Gestalten! Das ist Demokratie. Und sie findet jeden Tag statt. Die Grundregeln für dieses Gestalten stehen im Grundgesetz. Peter Zolling schreibt diesem Grundgesetz zum 75. Jubiläum einen 224 Seiten langen Liebesbrief. Es ist dies aber keine Schwärmerei, keine Schwelgerei, keine Anbetung. Das Buch ist auch ein Liebeskummerbrief, es ist ein Liebesbrief in Zeiten der Konfusion. Den Autor des Buches bekümmern Umfragen des Jahres 2023, wonach 25 Prozent der Deutschen mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden sind, zehn Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Der Autor analysiert die Radikalisierungsschübe in der Gesellschaft und fragt danach, wie bedrohlich sie sind für die Verfassung. Er ist besorgt, aber optimistisch. Sein Buch endet mit dem Satz „Die wehrhafte Demokratie“ ist gefragt.

Die Ur-Ausgabe des Buches von Peter Zolling ist 2009 zum sechzigsten Geburtstag des Grundgesetzes erschienen. Seitdem ist ungeheuer viel passiert: Corona-Pandemie, Klimawandel, der Ukraine-Krieg. Zolling bezieht das in die überarbeitete Neuausgabe ein – und vertraut dabei der Kraft des Grundgesetzes und der Kraft des Bundesverfassungsgerichts, das er, im Falle der Corona-Pandemie, zu viel lobt: in der Pandemie hat es sich seiner Verantwortung nicht gestellt. Gleichwohl und vielleicht auch deswegen ist und bleibt das Gesamturteil Zollings richtig: „Die überaus gestresste Gesellschaft befindet sich in deutlich schlechterer Verfassung als das Grundgesetz selbst“.

Als die Erstausgabe vor 15 Jahren in Hamburgs „Patriotischer Gesellschaft“ im Rahmen einer Podiumsdiskussion vorgestellt wurde, habe ich über das Buch rühmend gesagt: „Am liebsten hätte ich es selbst geschrieben“. Das gilt für die überarbeitete Neuauflage auch. Es ist ein feines Geburtstagsbuch.

Peter Zolling: Das Grundgesetz. Die Verfassung unserer Demokratie. Das Buch, das soeben bei dtv in der „Reihe Hanser“ erscheint, hat 224 Seiten und kostet 12 Euro.
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Der Spektakulator und die deftige Eleganz
Ich war, ehrlich gesagt, noch nie bei einem Salvatoranstich, ich war noch nie beim Starkbier-Spektakel auf dem Münchner Nockherberg. Aber ich weiß natürlich, wie das Salvatorbier und seine vielen Varianten schmecken, nämlich stark und malzig. „Salvator“ heißt das Gebräu bei Paulaner, „Triumphator“ bei Löwenbräu, „Suffikator“ beim Bürgerbräu in Bad Reichenhall, „Maximator“ bei der Augustiner-Brauerei. Neulich, im Bayerischen Wald, habe ich einen „Regenator“ der Brauerei Falter aus dem niederbayerischen Städtchen Regen getrunken. Vorzüglich!

Und vor allem weiß ich, wer das Starkbier als solches erfunden hat und wo der Erfinder, also der Braumeister, herkommt: Er wurde 1750 als Valentin Stephan Still in meinem oberpfälzischen Heimatort Nittenau (Ortsteil Fischbach) geboren, war Sohn des Brauers Georg Still, trat mit 23 Jahren als Laienbruder Barnabas in Paulanerorden ein. Mit ihm als Braumeister wurde deren Klosterbrauerei in München-Au zur Großbrauerei – und alle Jahre am 2. April servierte er dem Landesvater, dem Kurfürsten Karl Theodor, die erste Maß des damals „Heilig-Vater-Bier“ genannten und von ihm gebrauten Fastenbiers Salvator.

In Nittenau-Fischbach plätschert heute der Dorfbrunnen zu seinen Ehren. Und ich trinke mein Starkbier heute Abend auf den Kollegen Franz Kotteder, der in der vergangenen Woche das Starkbierspektakel und dessen Protagonisten auf dem Nockherberg in der SZ mit deftiger Eleganz beschrieben hat. Sein Stück „Der Bierbaron tritt ab“ über den bisherigen Paulaner-Chef Andi Steinfatt ist herzhaftes Beispiel für bajuwarischen Journalismus.
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