Die Perspektiven der laufenden Korrektur
Die Perspektiven der laufenden Korrektur von Torsten Ewert Sehr verehrte Leserinnen und Leser, wenn es „dumm“ kommt, ist bei meinem heutigen Artikel schon die Überschrift falsch – und das gleich doppelt: Erstens ist es zumindest theoretisch möglich, dass die jüngste Korrektur schon vorbei ist und die Rally weitergeht. Dann wäre es aber – zweitens – gar keine Korrektur gewesen, denn die Kursrückgänge blieben bisher bei den meisten Indizes unter -10 %. Und das gilt als Mindestmaß für eine Korrektur, so jedenfalls eine Faustregel… Die Lage im S&P 500 als Lehrbeispiel Aber gut, ich denke, abgesehen von ein paar Hardcore-Bären könnten das die meisten Anleger verschmerzen. Daher wollen wir heute mal ausloten, was diese Korrektur noch in petto hat – wenn es denn eine wird. Als Beispiel wähle ich dazu den S&P 500, und das nicht nur, weil dieser als US-Leitindex gilt und damit auch weltweit vielbeachtet und meist Schrittmacher für andere Börsen ist. Der S&P 500 bietet aktuell vor allem viele typische Aspekte, die bei einer Korrektur aus chart- und stimmungstechnischer Sicht wichtig werden können und eignet sich daher als ideales Lehrbeispiel. Werfen wir also einen Blick auf den Kursverlauf, hier als Wochenchart: Die „einfache“ charttechnische Theorie Es gibt zwei herausragende Niveaus: die runde 5.000-Punkte-Marke und das alte Allzeithoch von Anfang 2022 bei 4.818,62 Punkten. Außerdem gibt es zwei markante Aufwärtstrends: den übergeordneten seit dem Tief im Herbst 2022 und den mittelfristigen, der den Kurs seit dem Herbst 2023 steil nach oben geführt hat. Beide Trends wurden zwischenzeitlich mal verlassen – der große nach oben und unten, der steile in der jüngsten Korrektur (nennen wir sie mal so) nur nach unten. In beide Trends ist der S&P 500 inzwischen wieder zurückgekehrt. Sie sollten daher fortgesetzt werden. Und dann ist da noch der kleine rote Korrekturtrend seit dem jüngsten Hoch. Er wurde durch den Kurssprung am Freitag nach den neusten US-Arbeitsmarktdaten gebrochen und gilt damit als hinfällig. Und da am Freitag auch der steile Trend zurückerobert wurde, sollte es in diesem vorerst weiter nach oben gehen. So weit die „einfache“ charttechnische Theorie. Aber – ich hatte es ja schon erwähnt – Trends können verlassen, aber auch zurückerobert werden. Das gilt auch für den roten Korrekturtrend. Sven Weisenhaus hatte ja am Freitag darauf hingewiesen, dass die Kursreaktion auf die US-Arbeitsmarktdaten nur ein kurzfristiger Jubel gewesen sein könnte. Dafür spricht auch, dass die jüngste Erholung wenig dynamisch verlief, was darauf hindeutet, dass sie nur eine Gegenreaktion in der laufenden Korrektur ist und eine zweite Abwärtswelle folgt. Aufschlussreicher Kursverlauf an der 5.000-Punkte-Marke Aufschlussreich ist auch der Verlauf an der runden 5.000er Marke: Solche runden Niveaus werden häufig zu markanten Widerständen oder Unterstützungen. In diesem Fall mussten die Bullen diese Marke verteidigen – und hier offenbarten sie eine überraschende Schwäche. Schließlich überwanden sie diese psychologisch wichtige Marke im Februar nach einem kurzen Geplänkel relativ problemlos. Und beim Rückschlag im April gelang es den Bullen zunächst, sie ähnlich problemlos zu halten. Doch ausgerechnet am April-Verfallstag rutschte der Kurs dann doch noch darunter (siehe Pfeil). Nun kann man über die Gründe dafür spekulieren: War es nur Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Überheblichkeit der Bullen? Oder war es vielleicht nur ein kalkulierter Fake, um die Anleger auf die falsche Fährte zu locken? Wie auch immer – wenn die Bullen noch so stark sind, wie sie bis März waren, dann hätte die jüngste Erholung zügiger verlaufen sollen. Ein Zeichen der Schwäche der Bullen ist auch, dass sie den steilen Trend bisher nicht klar zurückerobern konnten. Versucht haben sie es ja, wie die starken Schwankungen um die untere Trendlinie zeigen. Und heute läuft sogar schon der nächste Versuch: Die beiden sehr bullishen Szenarien Gut, es ist kein Beinbruch, wenn ein derart steiler Trend aufgegeben wird. Und man kann es sogar positiv sehen: Die Bullen kämpfen immerhin um diesen Trend! Aber wenn der Sprung vom Freitag (siehe Pfeil) auch nur ein Strohfeuer war, dürfte dieser Trend Geschichte sein. Und dann stellt sich eben die Frage, wie es weitergeht – also nach den Perspektiven der Korrektur. Der „logische“ Verlauf sollte sich dabei nach dem größeren Kanal richten: Er wurde einmal nach unten, dann nach oben verlassen, aber der Kurs kehrte immer wieder zurück. Im Idealfall bestätigt er ihn demnächst erneut und setzt ihn fort. Diese Bestätigung ist nach dem bisherigen Verlauf an der Unterkante des Trends zu erwarten – womit wir bei den konkreten Szenarien der weiteren Korrektur sind. Wie schon erwähnt, ist die am meisten bullishe Variante die sofortige Fortsetzung des steilen grün schattierten Trends. Sie ist aber nach dem jüngsten Verlauf recht unwahrscheinlich, sei aber hier der Vollständigkeit halber nochmal erwähnt. Die zweite Variante ist ein nochmaliger Rücksetzer an die 5.000er Marke (oder das April-Tief), wonach die Rally fortgesetzt wird (oberster Prognosepfeil). Dieses Szenario würde ebenfalls für eine weiterhin große Stärke der Bullen sprechen. Zu perfekt, um wahrscheinlich zu sein Die charttechnisch „logischste“ Variante ist eine weitere Abwärtswelle bis an das Hoch von 2022 bei 4.818,62 Punkten. Damit ergäbe sich eine klassische ABC-Korrektur in Form zweier, etwa gleich langer Abwärtswellen (Measured Move; gelbe Rechtecke). Zugleich würde das alte Hoch und damit der Ausbruch darüber bestätigt. Die Bullen könnten danach wieder durchstarten; das übergeordnet bullishe Bild bliebe voll intakt (zweiter blauer Prognosepfeil). Dieses Szenario ist aber fast schon zu perfekt und lehrbuchgerecht. Wahrscheinlicher erscheint mir daher die Alternative, die aber praktisch bedeutungsgleich wäre (graue Prognosepfeils). Dabei setzt der Kurs bis an die Unterkante des großen Aufwärtstrends zurück und bestätigt diesen durch einen Wiederanstieg. Dabei würde er zwar kurzzeitig unter das alte Hoch fallen, jedoch eine Bärenfalle zuschnappen lassen. Die Rally sollte danach ebenfalls weitergehen – eventuell sogar noch dynamischer, weil die Bären danach ausgeknockt wären. Diese drei bzw. vier Szenarien wären aus übergeordneter Sicht allesamt bullish. Die beiden letzteren hätten zudem den Vorteil, dass die zuvor überkaufte Lage wirksam abgebaut würde und es damit tatsächlich Potenzial für einen weiteren kräftigen/längeren Anstieg gäbe. Für den „Doppelboden“ an der 5.000er Marke gilt das nur eingeschränkt. Ab wann es richtig bearish wird Auf einen übergeordnet bearishen Verlauf müsste man sich erst einstellen, wenn der große Trend ebenfalls gebrochen wird, und zwar nachhaltig. (Vorstellbar ist hier auch eine Bärenfalle!) Dieses Szenario hat nur eine geringfügig niedrigere Wahrscheinlichkeit als die Fortsetzung dieses Trends. Einen solchen Fall gab es z.B. 2008 im DAX nach der Rally von 2003 bis 2007. Typischerweise kommt es dabei jedoch zuvor zu einer scheinbaren Bestätigung des Trends; danach kann sich der Kurs aber nicht mehr signifikant von der Trendlinie lösen und fällt schließlich nach unten aus dem Trend heraus (roter Prognosepfeil). So weit zum S&P 500. Beim Blick auf die Charts anderer Indizes werden Sie feststellen, dass die Situation meist gleich ist. Unterschiede gibt es vor allem in dem Abstand, in dem das April-Tief zum Hoch von 2021/22 gebildet wurde. Mitunter gibt es im Bereich der alten Hochs auch eine Unterstützungszone, weil spätere Hochs und/oder Tiefs ebenfalls in deren Nähe gebildet wurden. Grundsätzlich sind die Verhältnisse also ähnlich, auch wenn es meist nicht zu einer so perfekten Measured Move-Relation kommt wie im S&P 500. Der DAX, die große Ausnahme? Die große Ausnahme scheint jedoch ausgerechnet unser heimischer DAX zu sein. Er ist so weit von seinem 2021er Hoch entfernt, dass ihn selbst ein größerer Rückschlag kaum darunter drücken sollte: Doch lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen! Wir schauen schließlich nur auf den „Schummel-DAX“, in dessen offizieller Version ja stets die Dividenden verrechnet werden. Der „ehrliche DAX“, der wie alle anderen Indizes weltweit nur als Kursindex berechnet wird, ist deutlich gefährdeter: Bereits eine zweite Measured Move-Welle würde den Kurs-DAX unter sein altes Hoch zurückwerfen, ein Rückgang im übergeordneten Aufwärtstrend erst recht. Die Lage im „DAX“ ist also keinesfalls so entspannt, wie es scheint. Hoffen wir also, dass es die Bullen an den US-Börsen schaffen, eines der vier bullishen Szenarien umzusetzen. Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert
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